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Forscher fordern klare Regeln für Einsatz von Bakteriophagen

Für jedes krankmachende Bakterium gibt es einen passenden Phagen, der es zerstört. Man muss nur den richtigen finden.

Für jedes krankmachende Bakterium gibt es einen passenden Phagen, der es zerstört. Man muss nur den richtigen finden.

Das 1. Deutsche Bakteriophagen-Symposium an der Uni Hohenheim sieht großes Potenzial für Einsatz der Bakterienkiller in Medizin, Tiermedizin und Lebensmittelhygiene. Die mehr als 100 Teilnehmer haben deshalb die Gründung eines „Nationalen Forums Phagen“ beschlossen. Kontaktstelle für das neue Forum ist das Forschungszentrum für Gesundheitswissenschaften der Universität Hohenheim.

Multiresistente Keime, Lebensmittelskandale, Tierseuchen: Eine Lösung für diese und andere Probleme könnten Bakteriophagen darstellen. Dabei handelt es sich um Viren, die sich in Bakterien einnisten und diese abtöten. Für menschliche, tierische oder pflanzliche Zellen sind sie dagegen völlig harmlos In vielen osteuropäischen Ländern sind sie seit Jahrzehnten im Alltag in Gebrauch. In Deutschland allerdings erschweren fehlende Regelungen medizinische und hygienische Anwendungen.

Um dies zu ändern, wurde auf dem 1. Deutschen Bakteriophagen-Symposium in Stuttgart beschlossen, ein „Nationales Forum Phagen“ ins Leben zu rufen. Aufgabe soll es sein, die verschiedenen Disziplinen in Natur- und Umweltwissenschaften, Gesundheitswesen, Medizin, Pharmazie, Landwirtschaft, Ernährungs- und Wirtschaftswissenschaften zu vernetzen, weiterhin die Akteure – Bedarfsträger, Forschung, Wirtschaft, Zulassungsbehörden, Fördermittelgeber und gesellschaftliche Akteure ­– miteinander ins Gespräch zu bringen, um mithilfe von Bakteriophagen neue Lösungen zu entwickeln für human- und veterinärmedizinische Therapien, Lebensmittelhygiene und Umweltsanierung.

Auch die Anwendung in kosmetischen Produkten und in möglichen weiteren Anwendungsfeldern soll gefördert werden. Zudem soll die deutsche Phagenforschung in bereits bestehende internationale Netzwerke eingebunden und produktive Partnerschaften gefördert werden.

Interessierte Wissenschaftler und Fachleute auf dem Gebiet der Phagenforschung und -anwendung können sich ab sofort unter health.uni-hohenheim.de/phagen mit dem Forschungszentrum für Gesundheitswissenschaften in Verbindung setzen.

Großes Potenzial für vielfältige Anwendungen

„Vom Schnupfen über Durchfall bis zur Lungenentzündung: Bereits jetzt lassen sich bakterielle Infekte bei Mensch und Tier mithilfe von dafür geprüften Bakteriophagen bekämpfen“, erklärt PD Dr. Wolfgang Beyer. Ein Ansatz, der auch in Deutschland und Westeuropa endlich Anwendung finden müsse, so die Überzeugung von Beyer, Scientific Director des 1. Deutschen Bakteriophagen-Symposiums.


Phagenforschung & Forschungszentrum für Gesundheitswissenschaften
Organisiert wurde das erste Deutsche Phagen-Symposium durch das Forschungszentrum für Gesundheitswissenschaften (FZG) der Universität Hohenheim. Das FZG bietet eine dynamische Plattform für alle Akteure, die an Themen und gemeinsamen Projekten im Bereich Lebenswissenschaften und Gesundheitsforschung interessiert sind. Es fördert interdisziplinäre Spitzenforschung und ihre Anwendung im Sinne des „One Health“-Konzepts, verlinkt institutsübergreifend Expertise in verschiedenen Themenfeldern, zum Beispiel Biologie, Immunologie, Gesundheitswesen, Medizin, Landwirtschaft, Ernährungs-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, und stärkt die Brücken zwischen Forschung und Anwendung, etwa zwischen Labor, Klinik, Wirtschaft und gesellschaftlichen Akteuren. Im Bereich der Phagenforschung bietet das FZG an, als die nationale Kontaktstelle für Phagenforschung und deren Anwendung zu fungieren. Mehr Infos unter health.uni-hohenheim.de/phagen.


Spezialisierte Viren: Verbündete in der Krankheitsbekämpfung

Das Prinzip der Bakteriophagen sei simpel, erklärt Beyer: Die Viren dringen in die Bakterien ein und töten diese ab. „Für jedes krankmachende Bakterium gibt es einen passenden Phagen, der es zerstört. Man muss nur den richtigen finden. Dann lassen sich viele Infektionen bekämpfen – ganz ohne oder auch in Kombination mit Antibiotika.“

Gegen viele Infekte könne dabei schon ein standardisierter Phagen-Mix helfen. In schwierigeren Fällen könne ein Mikrobiologe den Erreger beim Patienten genau bestimmen und dann den dazu passenden Phagen suchen – eine ganz auf den individuellen Patienten zugeschnittene Behandlung.

Aus Reisen in Osteuropa wisse Beyer, dass es dort Phagen-Mischungen rezeptfrei in Apotheken zu kaufen gibt. In Deutschland hingegen nicht: „Es ist zwar nicht verboten, Phagen in Deutschland zu vertreiben. Um sie als zugelassenes Arzneimittel auf den Markt zu bringen, sind allerdings teure und langwierige Tests nötig. Dieses Zulassungsverfahren gilt es zu beschleunigen, denn die tradierten Antibiotika versagen zunehmend im Kampf gegen multiresistente Keime. Wir brauchen die Bakteriophagen als Alternative, und zwar jetzt.“

Im Kalten Krieg vergessen, von der Forschung aus dem Blick verloren

Dass Bakteriophagen von der medizinischen Forschung in Deutschland und der westlichen Welt so lange nicht beachtet wurden, habe historische Gründe, erläutert Beyer. Entdeckt wurden sie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts; am berühmten Pariser Institut Pasteur forschte man dazu in den 1930er-Jahren ebenso wie im georgischen Tiflis.

Doch mit der Spaltung Europas in Ost und West und dem Siegeszug des Penizillin gerieten Bakteriophagen in den westlichen Ländern nach 1945 zunehmend in Vergessenheit. „Dank des erfolgreichen Einsatzes der Antibiotika hatte man im Westen schlicht keinen Bedarf an Bakteriophagen“, so Beyer. „Heute, im Kampf gegen multiresistente Keime, sieht das anders aus.“

In den Sowjetstaaten blieben die Bakteriophagen jedoch im Einsatz und sind es bis heute, sicherlich auch, weil in diesen Ländern Antibiotika deutlich teurer oder gar nicht zu bekommen waren. „Bakteriophagen erfüllen jedoch die gleiche Funktion und werden dort bis heute als wirksames, aber noch unzureichend erforschtes Medikament eingesetzt.“

Dass Bakteriophagen in der EU nicht generell zur medizinischen Behandlung zugelassen sind, erschwere auch die Forschung: „Medizinische Studien sind schwierig durchzuführen, da Ärzte die Bakteriophagen als alternative Methode nur dann verabreichen dürfen, wenn alle anerkannten Therapien nachweislich versagt haben. Dann ist es für die Patienten jedoch oft schon zu spät.“

Klare Regulierung würde vielfältigen Einsatz ermöglichen

Auch in der Lebensmittelhygiene könnten Phagen zum Einsatz kommen, zum Beispiel, um die Übertragung von Salmonellen durch Geflügelfleisch zu verhindern: „Als Schutz gegen die Bakterien kann man Lebensmittel mit einer Phagenmischung besprühen oder auch die Hähnchen kurz vor der Schlachtung mit Phagen behandeln. Auf das Produkt und den Verbraucher hat das keine Auswirkungen.“ Doch auch hier fehle es an entsprechenden Regularien, so Beyer.

In anderen Ländern dagegen gebe es bereits entsprechende Lösungen: In den USA werden Fleisch und Fisch damit behandelt. In Deutschland ist noch kein solches Mittel zugelassen. Das könnte sich bald ändern: So stehe zum Beispiel eine niederländische Firma aktuell mit deutschen Behörden wegen der Zulassung einer Phagenmischung zur Lebensmittel-Behandlung in Kontakt.

Ein weiteres Einsatzgebiet wäre die Stall- und Umwelthygiene, zu der Beyer forscht: „Ist in einem landwirtschaftlichen Betrieb einmal eine Tierseuche ausgebrochen, müssen Stall und Abfallstoffe gründlich desinfiziert werden. Auch hierbei könnten Phagen sehr effektiv eingesetzt werden“, so der Wissenschaftler vom Fachgebiet für Infektions- und Umwelthygiene bei Nutztieren. 

Risiken sind heute schon vermeidbar

Ein Argument, das gerne gegen Bakteriophagen ins Feld geführt wird, ist die Gefahr des unerwünschten Gentransfers: Bestimmte Phagen können sich in die DNA von Bakterien integrieren. Die Befürchtung: Wenn sie sich wieder daraus lösen und weitervermehren, kann es passieren, dass sie ein Stück DNA des Bakteriums mitnehmen und auf andere Bakterien verbreiten. Vermutlich entstand auf diese Weise das Darmbakterium EHEC.

Beyer warnt jedoch davor, Phagen deshalb pauschal zu meiden: „Die Gefahr des Gentransfers ist ein weitgehend vermeidbares Risiko. Zu einem Austausch von DNA zwischen Bakterium und Phagen kommt es vor allem bei sogenannten lysogenen Phagen, also Phagensorten, die in die DNA ihres Wirts eindringen. Solche Phagen kann man heute erkennen und von der Verwendung ausschließen.“

Symposium soll deutsche Bakteriophagenforschung stärken

Eine andere Befürchtung sei dagegen viel realer, meint Beyer: dass die Bakteriophagenforschung in Deutschland bei diesem hochaktuellen Thema noch weiter ins Hintertreffen gerate.

Dabei gäbe es eine Vielzahl von Forschern, die sich inzwischen damit beschäftigen. „Das haben wir bei den Vorbereitungen für das Symposium gemerkt: Ursprünglich planten wir einen eintägigen Workshop. Doch die Resonanz war so groß, dass wir nun über 150 Wissenschaftler zur Eröffnung des Symposiums begrüßen durften.“

Die Bandbreite der Forschungsansätze reiche dabei von der Grundlagenforschung bis hin zur Anwendung – und Forscher ebenso wie Vertreter von Bundesinstitutionen und Unternehmen hätten großes Interesse daran, sich zu vernetzen. Neben namhaften Experten auf dem Gebiet wie Bakteriophagen-Expertin Dr. Christine Rohde vom DSMZ sind auch Vertreter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, des Paul-Ehrlich-Instituts, des Robert-Koch-Instituts und des Bundesinstituts für Risikobewertung beim Symposium vertreten.