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Eindämmung der Milchzahnkaries bleibt Herausforderung und gesellschaftliche Aufgabe
Jedes fünfte Kind unter drei von Karies betroffen.

Jedes fünfte Kind unter drei von Karies betroffen.

Fast 80 Prozent der 12-jährigen Sechstklässler in Deutschland haben kariesfreie bleibende Gebisse, der DMF-T* ist mit 0,44 der niedrigste jemals gemessene Wert. Hinsichtlich der Zahngesundheit dieser Altersklasse liegt Deutschland damit zusammen mit Dänemark international an der Spitze. Dies zeigen die Ergebnisse der Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016, kurz DAJ-Studie genannt, die die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege kürzlich veröffentlicht hat. Seit 1994/95, als die erste der inzwischen sechs DAJ-Studien den Mundgesundheitsstatus von Kindern in Deutschland erhob, ist der DMF-T dieser Altersgruppe von damals 2,44 mit jeder Studie gesunken. Über den SIC-Index (Significant Caries Index) kontrolliert die DAJ in ihren Studien auch, wie sich die Karies für das Drittel der Kinder mit den jeweils schlechtesten Werten entwickelt hat: Dieser Wert ist von 5,33 1994/95 auf 1,33 im Jahr 2016 und damit um 75 Prozent gefallen. Alle Gruppen haben also seit Erhebungsbeginn profitiert, das schwächste Drittel jedoch deutlich am stärksten. Damit erfüllt die Präventionsarbeit im bleibenden Gebiss, was der Sachverständigenrat zur Beurteilung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Gutachten 2007 als Kriterium erfolgreicher Primärprävention definiert hat: die Verbesserung der Gesundheit für alle sozialen Schichten und die Verringerung des Abstands zwischen den Schichten.

Entwicklung der Karieserfahrung bei 3-Jährigen, 6- bis 7-Jährigen und 12-Jährigen in Deutschland

Entwicklung der Karieserfahrung bei 3-Jährigen, 6- bis 7-Jährigen und 12-Jährigen in Deutschland

Milchzahnkaries unterschätzt?

Ist es vor diesem Hintergrund überhaupt relevant, dass vergleichbare Erfolge für das Milchgebiss bislang nicht zu verzeichnen sind, wo doch scheinbar mit dem Zahnwechsel alles gut wird? Diese Frage stellen, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, nicht nur Außenstehende, sondern manchmal auch Menschen, die qua Institution in die Umsetzung und Finanzierung der Jugendzahnpflege involviert sind. Um sie zu beantworten, hilft ein genauerer Blick auf die Befunde.

Fakt ist: Der dmf-t 6- bis 7-jähriger Erstklässler in Deutschland ist von 2,89 im Jahr 1994/95 auf nunmehr 1,73 in 2016 gefallen – im Vergleich zur Mundgesundheit der 12-Jährigen kein großer Sprung, aber doch ein Erfolg. Es gilt aber auch zu beachten, dass Milchzahnkaries in dieser Altersgruppe eben nicht das Problem einer kleinen Gruppe ist: 43,6 Prozent der Kinder sind betroffen, weitere 6,5 Prozent haben bereits initiale Läsionen. Da der dmf-t-Wert über alle untersuchten Kinder gemittelt wird – also auch die dmf-t=0-Werte aller gesunden Kinder einfließen –, lohnt sich darüber hinaus der Blick auf einen anderen Wert, um die Krankheitslast der Betroffenen wirklich zu erfassen: den dmf-t-Wert der Kinder mit dmf-t größer 0. Es stellt sich dann heraus: Rund die Hälfte der 6-7-jährigen Erstklässler – also diejenigen mit dmf-t >0 – haben im Schnitt 3,97 von Karies betroffene Zähne. Und: 29 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe haben unbehandelte Karies.

Die Frage, ob all diese Kinder nicht beim Zahnarzt waren, lässt sich aus der Epidemiologischen DAJ-Studie, die lediglich den Mundgesundheitsstatus erhebt, nicht beantworten. Es drängt sich aber doch die Frage auf, ob nicht vielleicht auch mancher Zahnarzt Milchzahnkaries nach wie vor für vernachlässigbar hält.

Prozentuale Anteile der Kinder mit Karieserfahrung nach Altersgruppen

Prozentuale Anteile der Kinder mit Karieserfahrung nach Altersgruppen

Jedes fünfte Kind unter drei betroffen

Nach der letzten DAJ-Studie 2009 wurde vermutet, ein Teil der Kinder brächte die Milchzahnkaries als frühkindliche Karies, die in den ersten drei Lebensjahren entstanden ist, bereits mit in die Kita – deswegen kämen die Präventionsbemühungen in der Kita zu spät. Die DAJ-Studie 2016 legt nun erstmals einen bundesweiten dmf-t für 3-Jährige vor: Er liegt bei 0,48; 13,7 Prozent der Kinder sind betroffen, weitere 5 Prozent haben bereits eine Initialkaries. Damit wird aus der Vermutung aus dem Jahr 2009 eine Tatsache. Fast 20 Prozent der Kinder unter drei Jahren haben eine Karies oder eine Initialkaries. Auch hier stellen wir fest: Die Gruppe der betroffenen Kinder hat erhebliche Karies. Der dmf-t der Gruppe mit dmf-t >0 liegt bei 3,57! Fast alle betroffenen Kinder sind unbehandelt (11, 4 Prozent der Grundgesamtheit).

Drei bis vier kariöse Zähne sind für Kleinkinder kein harmloses „Loch in einem Milchzahn, der sowieso ausfällt“. Die Folgen können Schmerzen, Abszesse, Keimschädigungen der nachfolgenden Zähne und Platzmangel durch zu frühen Zahnverlust für die bleibenden Zähne sein. Dies kann für die betroffenen Kinder zu einer erhöhten Infektanfälligkeit, logopädischen Problemen und im Falle von zerstörten, schwarzen Frontzähnen auch zur sozialen Stigmatisierung führen. Oft kann eine Behandlung, wenn sie denn erfolgt, nur unter Vollnarkose vorgenommen werden, was für die Kinder eine enorme Belastung darstellt.

Gemeinsames Zähneputzen im Kita-Alltag

Die Ergebnisse der DAJ-Studie für die 3-Jährigen bestätigen vom Umfang der Krankheitslast nun auf Bundesebene das, was die zahlreichen regionalen Studien vermuten ließen. Sie erfordern ein integriertes Präventionskonzept, das nach der Geburt über die Frühen Hilfen ansetzt, bevölkerungsbezogene und individuelle Präventionsmaßnahmen systematisch ineinandergreifen lässt, Basisprävention und risikobezogene Strategien konsequent aufeinander abstimmt. Das Zähneputzen mit fluoridierter Zahnpasta ab dem ersten Milchzahn muss zur Selbstverständlichkeit werden. Gerade für Kinder, die im Elternhaus nicht unter (mund)gesundheitsförderlichen Bedingungen aufwachsen, müssen die Bezugspersonen in Kita und Tagespflege durch das tägliche gemeinsame Zähneputzen ein anderes, gesundheitsförderliches Verhaltensmodell etablieren, um eine gesunde körperliche, mentale und psycho-soziale Entwicklung zu fördern.

Die DAJ-Studie zeigt: Die Milchzahnkaries entsteht nur zum Teil vor dem dritten Lebensjahr, der größere Teil entsteht während der Kita-Zeit und wird zu einem Gesundheitsproblem, das fast die Hälfte der Kinder betrifft. Für die DAJ und die in ihr zusammengeschlossenen Partnerorganisationen der Jugendzahnpflege ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die für die unter 3-Jährigen auf den Weg gebrachten Präventionsstrategien der Gruppenprophylaxe für die Kita konsequent umzusetzen, die „Erweiterten DAJ-Empfehlungen zur Prävention frühkindlicher Karies“ aber auch weiterzuentwickeln. Im Zentrum der Überlegungen stehen Strategien, wie das tägliche gemeinsame Zähneputzen mit fluoridierter Kinderzahnpasta im Alltag aller Kitas verbindlich verankert werden kann und wie Maßnahmen für Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko gezielter als bisher implementiert werden können. Die Bekämpfung der Milchzahnkaries ist dabei nicht nur eine zahnärztliche Aufgabe, sondern geht im Sinne von Dental Public Health deutlich darüber hinaus. Sie erfordert eine interdisziplinäre und ressortübergreifende Zusammenarbeit – von der „großen“ Politik bis in jede Kommune und jede Kita, um die Stärkung mundgesundheitlicher Chancengleichheit insgesamt zu fördern.

* Als Maßeinheit zur Beurteilung der Zahngesundheit wurde der dmf-t/DMF-T-Index herangezogen, der die Anzahl der kariösen (=decayed), fehlenden (=missed) oder gefüllten (=filled) Zähne (=teeth) abbildet. Mit kleinen Buchstaben werden dabei die Milchzahnbefunde dokumentiert, mit großen Buchstaben die Befunde im bleibenden Gebiss.