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DZW Bonner Runde: Zahntechnik 2023 – Wissen bleibt Macht

Ängste und Emotionen sind schlechte Ratgeber. In der Steinzeit waren sie sicher überlebenswichtig. Bei der Unternehmensführung sind jedoch Fakten und Erfahrungen erfolgversprechender für eine gelungene Betriebsentwicklung.

So trafen sich inmitten der emotionsgeladenen Diskussion um die Zukunft – oder nicht Zukunft? – der gewerblichen Dentallabore eine weitgehend unaufgeregte Teilnehmerrunde in der DZW-Redaktion. Der Verunsicherung begegnete man hier, in bekannter Manier, mit einer Analyse der Ist-Situation, einem Ausblick auf mögliche Zukunftsszenarien – Stichwort „Vision 2023“ – und Strategien für die kommenden fünf Jahre.

DZW Bonner Runde Zahntechnik

Was bringt die Digitalisierung der Prozesse für die Labore? Diese Frage war der Ausgangspunkt für die Diskussion der Bonner Runde Zahntechnik 2023 in der DZW-Redaktion. Mit Moderator Rudolf Weiper haben die Teilnehmer verschiedene Strategien herausgearbeitet.

Eine Diskussion braucht Strukturen. Rudolf Weiper, Management Support, Basel, begleitet und moderiert die Bonner Runde souverän seit vielen Jahren. Die DZW-Redaktion als Gastgeber, vertreten durch Chefredakteurin Dr. Marion Marschall und Jutta Noll, hat ihm und den Teilnehmern aus den verschiedenen Ebenen des Labormarkts bereits viele spannende und erkenntnisreiche Tage zu verdanken.

Und weil wir gerade danken: Eine Diskussion braucht eine gemeinsame Grundlage. Die kam in diesem Konstruktivworkshop aus der Runde der Teilnehmer: Karin Schulz, Geschäftsführerin der Sternberg-Dental-Labor GmbH und Vorstandsvorsitzende der Dentagen Wirtschaftsverbund eG, lieferte mit ihrem Startvortrag eine Übersicht über den Prothetikmarkt. Die von ihr skizzierten Entwicklungen und Trends wie Digitalisierung, Globalisierung und Konzentrationsprozesse und deren Auswirkungen auf den Labormarkt lieferten vielfältige Diskussionsansätze für die Teilnehmer.

Die Industrie hat die Zielgruppe „Zahnarzt“ klar im Fokus

„Was bringt die Digitalisierung der Prozesse für die Labore?“ Die Internationale Dental-Schau (IDS) 2017 in Köln hat einmal mehr deutlich gemacht, dass die Digitalisierung der Verfahren und Prozesse in der Praxis und im Labor einen weiteren Schub erfahren wird, lautete die gemeinsame Einschätzung. Vor allem bei den Themen Chairside-CAD/CAM und 3-D-Druck war dieser Trend deutlicher als bisher sichtbar.

Folge: Damit erhöht sich erneut der Druck für die Dentallabore, sich in der fortschreitenden Digitalisierung des Workflows zu positionieren und sich „nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen“. Man könne es, so Stimmen aus der Runde, der Industrie nicht verübeln, dass sie das Chairside-Segment entwickle und bediene, wenn sie international wettbewerbsfähig bleiben und komplette Workflows anbieten wolle.

Verständlich aber auch der Unmut der Labore, schließlich habe die Industrie die Chairside-Systeme „durch unsere Testarbeit überhaupt erst ans Laufen gebracht“, hieß es in Bonn. Früher konnte fast kein Zahnarzt ohne einen Zahntechniker seine Prothetik herstellen. Das ist heute anders und Fakt. „Digital ist jetzt in der Praxis fast alles möglich, bis hin zu festsitzenden dreigliedrigen Arbeiten.“

Die Dünnhäutigkeit mancher Laborinhaber gegenüber Teilen der Industrie- und Handelspartner ist nachvollziehbar. Effektiver ist es, so die Bonner-Runde-Teilnehmer, sich auf die Frage zu konzentrieren: Wie können sich die gewerblichen Labore im Spannungsfeld zwischen veränderter Kundenlandschaft, Praxislaboren und Zahnersatzhandels­unternehmen behaupten?


Zahnärzte und Zahntechniker in Zahlen

  • 2015 gab es laut VDZI 8.328 zahntechnische Betriebe mit 65.663 Beschäftigten und 5.650 Auszubildenden. Die Betriebsgröße (Anzahl der Mitarbeiter) hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Nur etwa 6.000 der Laborbetriebe laufen noch „normal“, die Kleinen laufen dabei schlechter als die Großen.
  • Das Durchschnittsalter der Inhaber gewerblicher Labore liegt bei 58 Jahren. Die nachfolgenden Unternehmer haben oft nicht mehr die ursprüngliche Unternehmerintention wie die Gründer.
  • Deutschlandweit gibt es 8.200 Praxislabore, davon 7.100 in den „alten Bundesländern“.
  • In den „alten Bundesländern“ betrieben laut KZBV-Jahrbuch 2016 im Jahr 2014 zwei Drittel der Praxen (66,5 Prozent) kein Praxislabor, 19,7 Prozent ein Praxislabor mit Zahntechnikern und 13,8 Prozent ein Labor ohne Zahntechniker. Große Praxislabore waren das am stärksten wachsende Segment im Prothetik-Markt.
  • Was lukrativ ist, bleibt in der Praxis? Die 17 Prozent Zahntechniker in Praxislaboren (11.000) erwirtschaften 30 Pro­zent des Technikumsatzes von 5,4 Mrd. Euro (Quelle: Lubberich, Unternehmen Zahntechnik).
  • Laut VR-Branchen gab es 2014 43.659 Zahnarztpraxen, davon 35.527 Einzelpraxen und 8.132 Berufsausübungsgemeinschaften.
  • Nach DZW-Recherchen ist besonders in städtischen Gebieten und speziell in Bayern ein deutlicher Zuwachs an großen Praxisstrukturen zu erkennen. Waren es im Juni 2016 185 Zahnärztliche Medizinische Versorgungszentren (Z-MVZ), wurden im Dezember 2016 bereits 288 Z-MVZ gezählt, davon insgesamt nur 20 in den neuen Bundesländern.

Noch sei offen, ob die „Zahnarzt-Strategien“ der Industrieanbieter auch im deutschen Markt aufgehen. Die Erfahrungen der Workshopteil­nehmer gehen hier mehrheitlich in die andere Richtung: „Die (gemeint ist die Industrie) sind schon sehr weit vom Tagesgeschäft vor Ort weg und leben in der Entwicklung noch wesentlich vom Input der gewerblichen Labore“, so ein Statement, und: „Es wird auch immer weniger Prothetik an der Uni gelehrt. Die jungen Zahnärzte kennen sich immer weniger aus und deshalb funktioniert Maschine und Helferin alleine – noch – nicht.“

Viele Laborinhaber berichten, dass der Zahntechniker sogar immer häufiger mit am Behandlungsstuhl stehe. Der Zahntechniker dürfe da sein (Service- und Kompetenz-)Licht auch nicht unter den Scheffel stellen. Und ein weiterer Aspekt wurde genannt: Für den Zahnarzt habe bei der Digitalisierung die Administration Vorrang (Stichwort: Gematik). „Das Labor und der Zahntechniker vor Ort müssen die persönliche Bindung und den analogen Teil der Prothetik als Anker nutzen“, so die Einschätzung der Laborinhaber. „Wir müssen die Zahnärzte so gut bedienen, dass sie nicht auf die Idee kommen, selbst zu fertigen.“

Die digitale Affinität der Zahnärzte habe sich in den vergangenen zehn Jahren nicht wesentlich geändert. Eine zusätzliche „Bremse“ zum Beispiel für den Intraoralscanner sei unter anderem, dass die Geräte ihren Benutzern gnadenlos die eigenen Fehler aufzeigten, so die Meinung in Bonn: „Das mögen Zahnärzte nicht.“ Der Qualitätspuffer Labor fehle und bügle Schwachpunkte nicht aus.

Bisher sei auch noch kein wesentlicher Unterschied im Verhalten der Generation Y und der abtretenden Baby Boomer zu erkennen, hieß es zum Einwand, die digitale Affinität der Zahnärzte sei eventuell ein Generationenproblem. Eine große Rolle, ob digital eingesetzt wird oder nicht, spiele die universitäre Ausbildung.

Auslandszahnersatz ist hoffähig

Große Labore können ihre Effizienzvorteile gegenüber kleinen an die Zahnarzt-Kunden weitergeben. Während große Labore oft über den Preis gehen, um ihren Kundenstamm und Umsatz deutlicher und schneller auszuweiten – hier ist deren eigene Auslastung der Treiber –, kämpfen kleinere Labore zum Teil mit Kampfpreisen bei sinkenden Margen in der Branche ums Überleben. Nicht wenige versuchen das niedrigere Preissegment selbst mit Auslandsimporten zu bedienen oder durch Outsourcing an (meist industrielle) Fertigungszentren ihre Produktionskosten zu reduzieren.

Steigerte in früheren Bonner Runden allein das Wort „Auslandszahnersatz“ die Betriebstemperatur der Diskussionen, stört heute das Importthema nur noch wenige. Auslandszahnersatz ist hoffähig geworden. These der Teilnehmer: „Ohne Fertigungszentren und Auslandszahnersatz würde es viele Kleine schon nicht mehr geben.“

Die Hintergründe erklärte Moderator Weiper wie folgt: 30 Prozent des Zahnersatzes in Deutschland ist Auslandszahnersatz (laut Berechnungen Weidhüner). Davon entfallen nach Weiper nur etwa 20 Prozent auf die Top Ten der klassischen Anbieter von Auslandszahnersatz (MDH, Interadent etc.). Der weitaus größere Teil von etwa 80 Prozent geht über gewerbliche Labore und Praxislabore, wie auch frühere Bonner Runden zu dem Thema feststellten.

Z-MVZ – der Jackpot für Dentallabore?

In der Laborszene sei die Verunsicherung auch wegen der zunehmenden Zahl an Zahnärztlichen Medizinischen Versorgungszentren (Z-MVZ) groß. Für Zwei-Zimmer-Praxen lohne sich weder Praxislabor noch Chairside, anders wäre die Lage bei großen Z-MVZ, die ohne Weiteres ein großes Praxislabor auslasten könnten. Doch hier ist die rechtliche Lage verzwickt: Die großen Praxislabore sind kaum mehr vereinbar mit der Gesetzeslage, da sie schwerlich als „Hilfsbetrieb“ zu de­fi­nieren sind.

So lukrativ ein Auftraggeber Z-MVZ auch wäre, um solch große Einheiten alleine zu bearbeiten, müssten hier auch Großlabore investieren. Netzwerke von Laboren, so hieß es, wären wünschenswert, haben aber, mit wenigen Ausnahmen, bisher nicht funktioniert. „Jeder geht für sich allein“, lautet – abgesehen von ein wenig „Kollegenhilfe“ – die traditionelle Einstellung der gewerblichen Labore in der Praxis des Marktes. Doch großen Praxisstrukturen nützen kleine Alleingänger wenig, wenn sie für sich selbst verlässliche Prozesse aufbauen müssen.

Viele Labore haben noch keine Akquisitionsstrategien für die wachsende Zahl der Z-MVZ. Das Segment ist noch zu neu. Auch wenn sich größere Ketten von Praxen nur langsam im Markt etablieren werden, empfahlen die Teilnehmer, sich bereits jetzt auf diese neue Zielgruppe einzustellen, denn große Praxisformen werden große Laborformen als Partner suchen, auch suchen müssen, um den Liefer- und Leistungsprozess präzise und effizient steuern zu können.

Hier werden in Zukunft sicher viel stärker kaufmännische Aspekte jenseits der Preissetzung in die Verhandlungen einfließen. Auch darauf heißt es sich einzustellen, die eigenen Kennzahlen zu beherrschen und den Markt intensiv zu beobachten.

Fünf-Jahres-Trends

Wie also den großen Trends begegnen? Wenn Zentralisierung und Konzentration auf allen Marktebenen zunimmt und die Industrie klar ihren Fokus auf die Praxis setzt, sollten die Labore die Industrie nicht selbst noch stärker machen, so die Workshopteilnehmer. Soweit es möglich sei, sollte man mit Lieferanten, die Chairside pushen, weniger intensiv arbeiten. „Die meisten Zahntechniker denken da heute auch schon mehr nach als früher“, hieß es.

Einschränkend wurde aber bedacht, dass die Möglichkeiten begrenzt sind, da bei einem Materialwechsel auch der Zahnarzt mit betroffen ist. Gerade große Labore sind eher materialtreu, weil bei einer Umstellung ihres Materials auch ihre Effizienz im Produktionsprozess zunächst leiden kann.

Und nicht zuletzt: Diese „Statement-Strategie“ bringe den Laboren auch nicht mehr Umsatz. Hier gelte es vielmehr, so Meinungen in der Bonner Runde, die Stärken und Schwächen der Industrie (siehe oben) zu analysieren und Konsequenzen für die eigene Laborausrichtung zu ziehen.

Prognostiziert wurde für den Labormarkt eine langsame Konsolidierung hin zu großen Laboren und Laborgruppen. „Wachsen durch Zukauf von kleinen Laboren“, lautete eine Empfehlung, mit der einige große Dentallabore – mit unterschiedlichen Konzepten – auch schon erfolgreich unterwegs sind.

„Man muss den Zahnarzt für eine engere Kooperation gewinnen“

„Die alten und jungen Kunden haben entweder keine Ahnung von Material und Technik oder – wegen der immer schnelleren Entwicklung – den Anschluss verloren. „Das hilft dem Zahntechniker“, so die Erfahrung der Laborinhaber.

„Mehr Service“ wollen viele gerne bieten, doch dazu müsste präziser geklärt werden, was der Zahnarzt wirklich will und was der Zahntechniker in der Praxis, am Stuhl und vor allem am Patienten tun darf. Hier herrscht keine Einigkeit, was geht und was nicht, selbst nicht vonseiten der Zahnarztverbände. Widerstand zur Einschränkung der Möglichkeiten der Labore kommt auch von den Krankenkassen, die damit verbunden steigende Kosten erwarten und vermeiden wollen.

Und die vielen „Kleinen“? Auch kleine Labore werden überleben können, wenn sie geschickt agieren. Nach dem Motto „Totgesagte leben länger“, haben es auch bisher viele geschafft, Nischen zu besetzen, CAD/CAM zuzukaufen und sich durch besondere Techniken und Services – nicht zuletzt durch ihre persönliche Kundenbindung – unentbehrlich zu machen, so die Teilnehmer.

Kleine Labore können sich andererseits viele Effizienzschritte der großen Labore nicht mehr leisten und sind als Arbeitgeber oft nicht so attraktiv. Werden sie zum „Kanonenfutter“ der Großanbieter? Das „Durchwursteln“ als Strategie, so die Einschätzung in Bonn, wird wohl noch einige Zeit funktionieren. „Die kleinen Labore sterben schon 20 Jahre und sind noch nicht tot“, hieß es.

Die – im Vergleich zu anderen Branchen – noch hohen Margen im Prothetikmarkt werden den Prozess der Konsolidierung verlangsamen, wie bisher auch schon. Auch ein kleiner selbstständiger Laborunternehmer verdiene noch immer weit mehr als ein angestellter Zahntechniker, und auch die Wettbewerbsbedingungen sind relativ gut: Kredite sind billig, man kann vieles leasen, statt es zu kaufen, und wichtige CAD/CAM-Geräte werden immer billiger, nicht zuletzt, weil sich die Industrie auch auf kleine (Praxis-)Labore ausrichtet.

Das letzte Wort haben unsere Teilnehmer:

  • „Man muss sich noch mehr informieren und bereit sein, seine Einstellungen auch mal zu ändern, um Zukunftsentscheidungen zu treffen.“
  • „Alle haben Personal- und Preisprobleme, die großen und die kleinen Labore. Das Know-how im Markt wird insgesamt dünner.“
  • „Auftreten und fachliche Kompetenz ziehen am Ende immer noch.“
  • „Den Zahnarzt abholen, wo er steht und zu unterstützen, ist immer noch der Ansatz, um den Kunden zu binden.“
  • „Keine Angst vor der Industrie: Die haben keine Manpower, um die Dinge zu betreuen, die sie in den Markt drücken.“

Jutta Noll, DZW ZahnTechnik, und Rudolf Weiper, Basel

(Anm. der Red.: Der Bericht erschien zuerst in der DZW ZahnTechnik 6–7/17, die auch als ePaper abrufbar ist.)