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„Dentale Krüppel würden von mittigen Implantaten sehr profitieren“

Prof. Dr. Matthias Kern, Universität Kiel

Prof. Dr. Matthias Kern, Universität Kiel

Prothetik-Professor Matthias Kern nennt auf dem Bayerischen Zahnärztetag Indikationen für Adhäsivbrücken und auf Einzelimplantaten gestützte Unterkiefer-Totalprothesen.

Herr Professor Kern, wann sind einflügelige Adhäsivbrücken indiziert?

Die wichtigsten Indikationen bestehen bei Kindern und Jugendlichen, nach Zahnverlust oder bei Nichtanlagen. Der „Pfeilerzahn“ sollte allerdings vital und kariesfrei sein. Implantate stören das Knochenwachstum und damit die normale Entwicklung. Das ist bei einflügeligen Adhäsivbrücken nicht der Fall. Später können sich Patienten immer noch entscheiden, ob sie ein Implantat haben möchten. Auch Erwachsene sollten über diese Alternative aufgeklärt werden, nicht erst seit dem neuen Patientenrechtegesetz. Erfolgsraten und Patientenzufriedenheit sind absolut vergleichbar [1].

Seit Juli 2016 stehen einspannige Adhäsivbrücken als Regelversorgung im BEMA. Sie waren daran maßgeblich beteiligt. Ist die Regelung Ihr Wunschergebnis?

Nicht ganz, weil auch zweiflügelige Adhäsivbrücken als gleichwertige Lösung bezuschusst werden. Diese schneiden signifikant schlechter ab als einflügelige. Nach 18 Jahren überlebten in einer randomisierten Studie alle einflügeligen Brücken ohne Komplikationen. Bei den zweiflügeligen waren es 50 Prozent und nur 10 Prozent ohne Komplikationen [2]. Das könnte daran liegen, dass mittlere Oberkieferschneidezähne anders ausgelenkt werden als Eckzähne – mit entsprechendem Stress für den adhäsiven Verbund. Hinzu kommt, dass zweiflügelige Brücken schwieriger zu reinigen sind und das Kariesrisiko gegenüber einflügeligen Brücken steigt.

Gibt es Probleme mit Knochenabbau unter dem Brückenglied?

Bei Nichtanlagen ist das kein Thema, weil keine Resorptionsvorgänge stattfinden. Bei Zahnextraktionen sind natürlich geeignete Maßnahmen zum Kammerhalt angezeigt. Eine Studie der Universität Zürich hat gezeigt, dass das ästhetisch entscheidende Weichgewebsvolumen unter Brückengliedern langfristig stabil bleibt [3]. Korrekt gestaltete Brückenglieder scheinen einen funktionellen Reiz auszuüben, der einen Rückgang verhindert, vermutlich auch in Bezug auf den Knochen. Übrigens sind nicht nur metallkeramische Adhäsivbrücken erfolgreich, sondern auch solche aus Zirkonoxidkeramik [4].

Kann man denn Zirkonoxidkeramik wirklich dauerhaft verkleben?

Ja, das ist kein Problem. Das adäquate Vorgehen wird in meinem gerade erschienenen Buch im Detail beschrieben [5]. Dort sind auch viele Fälle dargestellt, die bis zu 15 Jahre problemlos funktioniert haben.

Neues Thema: Warum erforschen Sie Unterkiefer-Totalprothesen mit mittigem Einzelimplantat?

Bis heute ist ein knappes Drittel der über 75-Jährigen zahnlos. Viele haben große Probleme mit ihrem schleimhautgetragenen Zahnersatz im Unterkiefer, können sich aber zwei oder mehr Implantate nicht leisten. Studien zeigen, dass auf einem medianen Implantat abgestützte Totalprothesen zum Beispiel die Kaufähigkeit wesentlich verbessern [6]. Die Implantate haben bei verzögerter Belastung eine sehr gute Prognose [7, 8]. Etwa einmal im Jahr müssen die Kugelkopf-Matrizeneinsätze aktiviert oder auch erneuert werden. Wenn die Prothesenbasis frakturiert, sollte im Rahmen der Reparatur eine Gerüstverstärkung eingearbeitet werden.

Warum hilft die GKV den betroffenen Patienten nicht mit einer solchen Lösung?

Das ist eine gute Frage. Es handelt sich ja um dentale „Krüppel“, die von einer Implantatabstützung sehr profitieren könnten. Laut Literatur sind implantatgestützte Totalprothesen langfristig sogar wirtschaftlicher [9]. Dafür müsste aber das Sozialgesetzbuch V geändert werden, nach dem Implantate aktuell nur in extremen Ausnahmefällen erstattungsfähig sind.

Gibt es keine Anfeindungen von Kollegen? Diese könnten fürchten, dass eine Minimal-Implantologie zum Standard wird.

Es gibt diese Vorwürfe, die ich aber für unbegründet halte. Wer es sich leisten kann, hat immer die Möglichkeit, eine komfortablere und teurere Versorgungsvariante mit mehr Implantaten zu wählen. Die Devise lautet „besser eins als keins“, nicht „besser eins als zwei oder mehr Implantate“.


Literatur

[1] Lam, W. Y., et al.; Clin Oral Implants Res 2014. 25 (1): 67-73.

[2] Botelho, M. G., et al.; J Dent 2016. 45 59-66.

[3] Bienz, S. P., et al.; J Clin Periodontol 2017. 44 (2): 178-184.

[4] Kern, M., et al.; J Dent 2017. 65 51-55.

[5] Kern, M.; Adhäsivbrücken. Minimalinvasiv - ästhetisch - bewährt. Quintessence Publishing Deutschland. 2017.

[6] Passia, N., et al.; J Dent 2017. 65 64-69.

[7] Bryant, S. R., et al.; J Dent Res 2015. 94 (1): 36-43.

[8] Kern, M., et al.; J Dent Res 2017. 22034517736063.

[9] McGill University Montreal; Quintessence Int 2003. 34 (1): 78-79.