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Immobilienkredite: "Ewiges Widerrufsrecht" nach wie vor intakt
Widerrufsbelehrung

Wer eine Immobilie erwerben möchte, geht in der Regel zu seiner Bank und nimmt dafür einen Kredit auf. Zu dem Stapel an Papieren, die vom Kreditnehmer unterschrieben werden müssen, gehört auch die Widerrufsbelehrung des Kredits. Stellt sich heraus, dass diese Belehrungen fehlerhaft sind, können Kreditnehmer unter bestimmten Voraussetzungen von dem Vertrag zurücktreten.

Bund hat Ende von "Widerrufs-Joker" beschlossen

Bislang ist das Widerrufsrecht von Verbraucherkrediten zeitlich unbegrenzt. An dem sogenannten "Widerrufs-Joker" hat der Bund 2016 gerüttelt und das Ende beschlossen. Grund dafür war die Neuregelung des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Aufgrund zahlreicher fehlerhafter Widerrufsbelehrungen bei Immobilienkrediten wurde das bis dato unbegrenzt geltende Widerrufsrecht bei zwischen 2002 und 2010 geschlossenen Immobilien­kredit­verträgen zeitlich befristet.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes am 21. März 2016 war der letzte Termin für den Widerruf der 21. Juni 2016. Bis dahin sollten Kreditnehmer prüfen, ob die Widerrufsbelehrung in den damaligen Verträgen fehlerhaft war und dann gegebenenfalls von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen. Betroffen waren vor allem Verträge, in denen es um Kredite in Höhe von rund 1,6 Billionen Euro ging.

Nach den Beschlüssen soll auf der Grundlage der europäischen Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie das Widerrufsrecht für Immobiliendarlehen automatisch nach einem Jahr und 14 Tagen erlöschen.

Ewiges Widerrufsrecht gilt nach wie vor

Die Kanzlei "GRP Rechtsanwälte Steuerberater" schreibt auf ihrer Webseite, dass das ewige Widerrufsrecht für Immobilienkreditverträge jedoch nach wie vor intakt sei. Dies gelte für Verträge, die ab dem 11. Juni 2010 abgeschlossen wurden. Vorausgesetzt, die Bank oder Sparkasse habe eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung verwendet, sei der Widerruf dieser Darlehensverträge auch heute noch möglich.

Laut GRP bietet der Widerruf  verschiedene Vorteile. Die Zinsen sind in den vergangenen Monaten auf ein historisches Tief gefallen. So würden Darlehensverträge heute zu wesentlich günstigeren Konditionen geschlossen werden als noch vor einigen Jahren. Durch einen erfolgreichen Widerruf würde nach Aussage von GRP der bestehende Darlehensvertrag rückabgewickelt und dem Verbraucher die Möglichkeit  eröffnet, angesichts der niedrigen Zinsen günstig umzuschulden. Je nach Darlehenshöhe und Zinskonditionen würden auf diese Weise nennenswerte Beträge gespart und die Zinslast spürbar gesenkt werden.

Keine Vorfälligkeitsentschädigungen für Verbraucher

Darüber hinaus macht die Kanzlei darauf aufmerksam, dass bei einem Widerruf des Immobilienkreditvertrages keine Vorfälligkeitsentschädigung für den Bankkunden anfällt. Sollte ein Darlehen bereits unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung vorzeitig getilgt worden sein, können sich Verbraucher durch den erfolgreichen Widerruf diese Entschädigung von den Banken und Sparkassen zurückholen.

Dennoch hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit einem Urteil vom 1. Februar 2017 (Az.: I-3 U 26/16) die Klage einer Kreditnehmerin gegen das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Nordrhein auf Rückzahlung einer bereits gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung zurückgewiesen. Das teilt RA Dr. Jens Michael Störring, Kanzlei Classen Fuhrmanns & Partner, mit Sitz in Köln, mit. Die Kanzlei hatte das Versorgungswerk vertreten. Die Rückforderung nach einem so langen Zeitraum und nach Beendigung der Verträge sei ein illoyales Verhalten der Kreditnehmerin, urteilt das OLG. "Für den Erhalt des Rechtsfriedens ist es wichtig, dass bereits abgeschlossene Sachverhalte nicht wieder aufgerollt werden und die Vertragsparteien darauf vertrauen können, dass sich die Angelegenheit erledigt hat", sagt Störring.

Grundsatzentscheidung des BGH

Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. Dieser hat in einem Urteil vom 12. Juli 2016 (XI ZR 501/15, aaO Rn. 41) entschieden, dass Kreditnehmer ihr Widerrufsrecht nach vollständiger Rückzahlung des Darlehens verwirkt haben und auch die Vorfälligkeitsentschädigung nicht mehr zurückerstattet bekommen. „Hier kommt es jedoch auf den zeitlichen Rahmen an, der zwischen der Rückzahlung des Kredits und der Forderung der Vorfälligkeitsentschädigung liegt“, sagt Störring. Bei zwei Jahren haben Darlehensnehmer noch etwas Spielraum. Liegt jedoch eine Zeitspanne von vier oder sogar fünf Jahren dazwischen, habe man das Widerrufsrecht verwirkt. Bislang ist das Urteil des OLG Düsseldorf noch nicht rechtskräftig.

Mehrheit der Verträge hat fehlerhafte Klauseln

Wie das Verbraucherportal Verivox unter Berufung auf die Verbraucherzentrale Hamburg mitteilt, enthielten rund 80 Prozent der Verträge fehlerhafte Klauseln. Wer beispielsweise 2010 ein Darlehen in Höhe von 200.000 Euro abgeschlossen hat, kann laut Modellrechnung von Verivox durch die Rückabwicklung mehr als 15.000 Euro einsparen. Die Rechnung geht davon aus, dass der Kunde ein Darlehen mit 10-jähriger Laufzeit und 4,0 Prozent Zinsen jetzt in einen günstigeren 10-jährigen Kredit mit 1,35 Prozent umschuldet. Die Ersparnis ist berechnet für die Jahre 2016 bis 2020. Dann läuft der Altvertrag aus und der Kunde könnte auch ohne Widerruf einen günstigeren Zins suchen.

"Viele Immobilienbesitzer können ihren Kreditvertrag noch widerrufen. Sie sollten ihre Chancen jetzt prüfen, bevor der Gesetzgeber die Tür zuschlägt", sagt Ingo Weber, Geschäftsführer von Verivox.

Kritik und Forderungen von Verbraucherzentralen

Massive Kritik zur beschlossenen Neuregelung kommt vom Bundesverband der Verbraucherzentrale (vzbv). Dieser kritisiert, dass der Bund an dem Widerrufs-Joker rütteln will. Darüber hinaus sieht er Darlehensnehmer im Nachteil, da sie durch die Neuregelungen auch nach Ablauf der neuen Frist an den Vertrag gebunden sind. Stattdessen fordert der vzbv deshalb strukturierte Beratungsprotokolle, die auch noch Jahre später der Beweissicherung dienen. Es müsse sichergestellt werden, dass Verbrauchern passende Produkte empfohlen und Risiken klar benannt werden.

 

Europäische Immobilienkreditrichtlinie

Anfang 2014 ist die europäische Richtlinie für Wohnimmobilienkreditverträge in Kraft getreten. Danach haben die EU-Staaten zwei Monate Zeit, sie in innerstaatliches Recht umzusetzen.

Das Bundesjustizministerium hat bereits Mitte Juli 2015 seinen Entwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie vorgelegt. Inkrafttreten soll das Gesetz am 21. März 2016.

Das Gesetz regelt unter anderem die Vorfälligkeitsentschädigung für Kredite. Im Falle einer außerordentlichen Kündigung kann die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung kann von der Bank vom Kreditnehmer verlangt werden. Eine Deckelung der Entschädigung ist nicht vorgesehen.