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Täglich sterben drei Patienten
Organspende

Deutschland ist im europäischen Vergleich Schlusslicht bei der Organspende – dabei werden die medizinischen Möglichkeiten immer besser.

Vor 50 Jahren wurde am Transplantationszentrum Freiburg zum ersten Mal ein Organ transplantiert – eine Niere. Es folgten rund 4.670 Transplantationen von Niere, Leber, Bauchspeicheldrüse, Herz und Lunge. Dank verbesserter operativer Techniken und immer besserer Medikamente, die Abstoßungsreaktionen des Körpers beherrschbar machen, ist die Erfolgsrate der Organtransplantationen deutlich gestiegen. „Eine erfolgreiche Organspende ermöglicht oft ein weitgehend normales, unabhängiges Leben“, sagt Prof. Dr. Przemyslaw Pisarski, Leiter des Transplantationszentrums Freiburg.

Deutschland bildet jedoch trotz hoher Qualität der Transplantationsmedizin hinsichtlich der Transplantationsaktivitäten das Schlusslicht unter den Ländern im Eurotransplant-Verbund. In Deutschland gab es 2017 nur 9,3 postmortale Spender pro Million Einwohner. Zum Vergleich: In den Niederlanden waren es 14,3, in Belgien 30,7, in Ungarn 15,4, in Österreich 23,5 und in Kroatien 31,8. Spitzenreiter ist Spanien mit 46,9 postmortalen Spendern pro Million Einwohner.

Das hat erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen, so die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG). Die Wartezeit auf ein Organ sei inakzeptabel lang. Bei uns wartet ein Patient im Durchschnitt acht bis zehn Jahre auf eine Niere, in vielen Nachbarländern hingegen nur zwei Jahre. Das führt dazu, dass in Deutschland viele Patienten, die auf der Warteliste stehen, versterben oder von der Warteliste genommen werden müssen, weil ihr Allgemeinzustand nicht mehr gut genug ist, um eine Transplantation zu überstehen. Täglich sterben drei Patienten, die auf der Warteliste stehen.

Um die Situation zu verbessern, fordert der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), Prof. Dr. med. Matthias Anthuber, die doppelte Widerspruchslösung. Sie sieht vor, dass automatisch jeder als Spender gilt – sofern er nicht zu Lebzeiten ausdrücklich „Nein“ gesagt hat. Im Sinne einer doppelten Schranke sind zudem die Angehörigen zu befragen, die eine Organentnahme bei fehlendem Widerspruch immer noch ablehnen können. Diese Regelung wird nach Auskunft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung europaweit bisher in Belgien, Estland, Finnland, Litauen und Norwegen praktiziert. In Deutschland sind Organentnahmen derzeit nur bei ausdrücklicher Zustimmung erlaubt.

„Überall dort, wo Organspende auf der gesetzlichen Grundlage der Widerspruchslösung geregelt ist, sind die Organspendezahlen deutlich höher als in Ländern mit Zustimmungs- oder Entscheidungslösung“, erläutert Anthuber. Der DGCH-Präsident geht davon aus, dass sich die Menschen in Deutschland durch die Gesetzesänderung in einem höheren Maß als bisher mit Fragen der Organspende und -transplantation auseinandersetzen und in der Folge die Spenderaten ansteigen würden. In diese Richtung weisen auch Umfrageergebnisse. „Circa 80 Prozent der Deutschen stehen der Organspende positiv gegenüber, aber nur rund 20 Prozent haben dies auch auf einem Organspendeausweis unmissverständlich dokumentiert“, berichtet Anthuber, der als Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Klinikum Augsburg tätig ist. Als weiteren Vorteil einer Gesetzesneuregelung führt er an, dass mit einer Widerspruchslösung Druck von den Angehörigen genommen werde. Dass die doppelte Widerspruchslösung ein Eingriff in die Freiheit des Einzelnen sei, wie von Kritikern angeführt, kann der Augsburger Chirurg nicht nachvollziehen: „Niemand wird zur Organspende gezwungen. Die Bürger werden jedoch zur aktiven Entscheidung aufgefordert. Damit bleibt die individuelle Freiheit, ob man Organspender sein will oder nicht, vollumfänglich erhalten.“

Eins der zentralen Argumente für die doppelte Widerspruchslösung besteht für den DGCH-Präsidenten in der Beseitigung eines innereuropäischen Ungleichgewichts. „Wir müssen anerkennen, dass wir unter den derzeit bestehenden gesetzlichen Regelungen bei uns und in unseren Nachbarländern in unangemessener Form von den gesetzlichen Regelungen der Organspende um uns herum profitieren“, meint Anthuber. „Deutschland importiert viel mehr Organe aus dem Ausland, als es in das solidarisch getragene System von Eurotransplant einbringt, und verschlechtert somit die Transplantationschancen von Patienten auf ausländischen Wartelisten.“ Ein Organspender könne über seinen eigenen Tod hinaus bis zu sieben Menschen helfen und damit insgesamt mehr als 60 neue Lebensjahre schenken. Darüber hinaus sei es richtig, die Rolle der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken zu stärken, wie es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plant.

Die Widerspruchslösung allein sei allerdings kein Allheilmittel, wenn wichtige Grundvoraussetzungen fehlen, so die DGT. Maßnahmen, die im Entwurf eines Gesetzes für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende (GZSO) aufgeführt werden, seien dringend erforderlich. „Die Beseitigung der infrastrukturellen Mängel ist eine wichtige Grundvoraussetzung. Doch sie läuft Gefahr zu scheitern, wenn nicht gleichzeitig über die nächsten Jahre eine positive Organspendekultur aufgebaut wird, in der sowohl die Bevölkerung, aber auch konkret die behandelnden Schwestern und Ärzte das Denken an und Tun für die Organspende als normal und nicht wie bisher als Ausnahmefall ansehen. In Deutschland kommt es derzeit pro Jahr nur zu rund 800 Organspenden, obwohl hier jedes Jahr mehr als 900.000 Menschen versterben. Diese katastrophale Quote entsteht, obwohl weit mehr als 80 Prozent der Bevölkerung im Krankheitsfall ein Organ gerne empfangen würden und umgekehrt auch genauso viele einer Organspende grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Nur die Einführung der Widerspruchslösung zusammen mit allen anderen organisatorischen Maßnahmen schafft den geeigneten Rechtsrahmen und beseitigt die bisherigen ungünstigen Umstände für die Organspende“, erklärt Professor Dr. Christian Hugo, Generalsekretär der DTG.