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Gewaltfrei kommunizieren
Gewaltfreie_Kommunikation

Ziel einer gewaltfreien Kommunikation ist, durch Empathie und eine gute Beziehung eine starke Kooperationsbereitschaft herzustellen.

„Was ist eigentlich gewaltfreie Kommunikation?“, werde ich in Workshops und Vorträgen immer wieder gefragt. „Soll ich das in meiner Praxis einführen?“ Wie so oft ist die Antwort: „Es kommt darauf an.“ Schauen wir einmal genauer hin, was sich hinter diesem Begriff verbirgt, dann kann sich jeder selbst ein Urteil bilden.

Gewaltfreie Kommunikation geht auf den klinischen Psychologen Marshall B. Rosenberg zurück. Rosenberg vertrat die Ansicht, dass eine konstruktive Auseinandersetzung nur dann gelingen kann, wenn jeder den anderen – unabhängig von dessen Verhalten – als wertvolle Person respektiert. Und das drückt er durch seine Wortwahl, seine Stimmführung und seinen Gesichtsausdruck aus. Ohne eine wertschätzende Atmosphäre, so seine Hypothese, kann keine ergebnisreiche Auseinandersetzung mit einem Thema stattfinden.

Üblicherweise sind wir schnell mit Vorwürfen bei der Hand, wenn uns etwas nervt. „Wäre auch mal wünschenswert, wenn du das Wartezimmer aufräumst“ klingt etwas zynisch und kann den Gesprächspartner verletzten. Möglicherweise kommt eine Person dann zwar schnell ihrer Aufgabe nach, weil sie sich nicht noch einmal von der Chefin ermahnen lassen möchte. Aber wohlfühlen geht anders. „Wohlfühlen soll sich diese Person doch in diesem Moment gar nicht. Sondern verstehen, dass sie einen Fehler begangen hat“, könnten Sie nun entgegnen. Das sieht Rosenberg anders. Auch in den widrigsten Umständen hält er es für wichtig, einen emphatischen Umgang miteinander zu pflegen. Die Ausdrucksweise darf durchaus offen und klar sein.

Keinesfalls aber sollte sie urteilen oder wertend rüberkommen. Umformuliert würde man also sagen: „Ich würde mich sehr freuen, wenn sich alle unsere Patienten in unserem Wartezimmer wohlfühlen können. Wärst du bereit, das Wartezimmer jetzt aufzuräumen?“

Was simpel anmutet, ist im Eifer des Alltags oft schwer umzusetzen. Deswegen hat Rosenberg eine Abfolge formuliert, die man – einmal verstanden – bei jeder Kommunikation anwenden kann. Und besonders dann, wenn man angestrengt ist und die Dinge nicht so laufen, wie man sich das wünscht, kann es helfen, sich an diesem Format zu orientieren. Das Ziel besteht allerdings nicht darin, andere dazu zu bewegen, genau das zu tun, was wir uns vorstellen. Vielmehr geht es darum, durch Empathie und eine gute Beziehung, eine starke Kooperationsbereitschaft herzustellen. Den anderen anzunehmen ist der eine Schritt, die offene Ausdrucksweise der andere. Zusammengefasst hat die Methode vier Schritte.

1. Beobachtung

Eine Situation wird beschrieben, ohne zu urteilen. „Das Wartezimmer ist nicht aufgeräumt“ ist besser als „Das Wartezimmer sieht schon wieder chaotisch aus“. Und nur Beobachtungen zu formulieren, wenn man schon etwas sauer ist, fällt den meisten Menschen gar nicht so leicht. Denn meistens denken wir ja „Oh je, Chaos“ und müssen diesen Gedanken dann in eine möglichst vorwurfslose, neutrale Beobachtung zurück übersetzen. Mit etwas Übung gelingt dieser Schritt immer besser.

2. Gefühle

In Schritt zwei geht es darum, die eigenen Gefühle zu spüren und auszudrücken. „Ich bin darüber verärgert“ oder „Das gefällt mir nicht“ ist besser als „Immer muss ich mich über deine Schlampigkeit ärgern“. Rosenberg – und andere Psychologen auch – gehen davon aus, dass ein Mensch, über den wir uns ärgern, immer nur ein Auslöser für unsere Gefühle ist, nie aber der ausschließliche Grund. Auch Sätze, die mit „Ich habe das Gefühl…“ drücken nicht immer Gefühle aus: „… dass du überhaupt nicht mitdenkst“, sondern formulieren oft Anschuldigungen an die andere Person. Diese Sätze erläutern, wie wir das Verhalten des anderen interpretieren. Oft hat das nichts mit der Absicht zu tun. Deswegen sind sie hier wenig hilfreich und verschließen einen anderen eher, als dass sie ihn zur Kooperation bewegen.

Das Formulieren der eigenen Gefühle fällt manchen Menschen sehr schwer. Sie empfinden eine solche Gesprächsführung als künstlich. Deswegen gilt es zu überlegen, wie formuliert werden kann, dass Gefühle ausgedrückt werden, ohne zu viel „Psycho“ in das Gespräch zu legen.

3. Bedürfnisse

Auch das Formulieren von Bedürfnissen ist für viele Menschen nicht unbedingt leicht. „Mir ist eine gepflegte Praxis sehr wichtig“, wäre hier beispielsweise eine adäquate Formulierung. Oder auch: „Ich möchte, dass unsere Patienten einen professionellen Eindruck von unserer Arbeit bekommen. Und dazu gehört auch das Wartezimmer“ oder gar: „Ich möchte, dass in der Stadt positiv über uns gesprochen wird“. Wenn man Bedürfnisse formuliert, drückt man viel von sich selbst aus. Das kann erst dann gelingen, wenn man in der Lage dazu ist, wahrzunehmen, was sich im Inneren abspielt.

4. Bitten

Abschließend folgt die konkrete Bitte: „Könntest du bitte jetzt das Wartezimmer aufräumen“ ist sehr konkret und kann direkt umgesetzt werden. Es bleiben keine schlechten Gefühle zurück. Denn die angesprochene Person kann sofort der Bitte nachkommen. Es geht hier also nicht darum, einen Schuldigen für das Nicht-Aufräumen zu finden, sondern lediglich darum, einen gewünschten Zustand herzustellen.

Gewaltfreie Kommunikation hat nicht das Ziel, Menschen zu einem bestimmten Handeln zu bewegen. Es geht vielmehr um eine wertschätzende Kommunikation, die mehr Freude bringt und das Gegenüber zur Kooperation bewegt. Die andere Person räumt also gerne das Wartezimmer auf, wenn sie ihrer Chefin damit eine Freude machen kann. Ganz ohne schlechtes Gefühl, weil sie davon ausgehen muss, einen Fehler gemacht zu haben.

Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass dieser Person am nächsten Tag von selbst einfällt, aufzuräumen. Möglicherweise hat sie die Wahrnehmung für Unordnung oder das Bedürfnis nach Ordnung nicht im gleichen Maße wie die Chefin. Deswegen sind einige Erinnerungen notwendig, bis die Person versteht, wie wichtig dieses Thema der Chefin ist. Und idealerweise nach und nach das Aufräumen in den eigenen Arbeitsalltag integriert, weil sie daran interessiert ist, dass die Chefin zufrieden ist. Rosenberg geht davon aus, dass Menschen gerne etwas für andere tun. Wird man jedoch kritisiert oder ermahnt, dann ist man eher mit einer Verteidigung oder mit einer Entgegnung beschäftigt, als mit der Überlegung, wie man hier am besten kooperieren kann.

Fazit

Gewaltfreie Kommunikation wird häufig in der Pflege unterrichtet. Bis ein Team konstruktiv mit den Methoden umgehen kann, dauert es etwa drei Tage. Inzwischen gibt es auch Studien, die messbar belegen, dass gewaltfreie Kommunikation einen positiven Effekt auf den Umgang mit Patienten und auf den Umgang untereinander hat. Eine Begleitung über zwölf Monate hinweg konnte nachweisen, dass es zu weniger Burn-out, Depressivität und zu weniger psychosomatischen Belastungen als in Kontrollgruppen kam. Und die Mitarbeiter bleiben auch lieber in einer Praxis, in der ein wertschätzender Umgang gepflegt wird.

Gewaltfreie Kommunikation ist zwar keine alleinige Lösung für alle Fragen rund um Unternehmensführung und Teamentwicklung, aber ein interessanter Ansatzpunkt für die Kommunikation im Team und zum Patienten. Es kommt also darauf an, welchen Umgang Sie in Ihrer Praxis untereinander pflegen möchten, wie Sie selbst mit sich umgehen und welche Erwartungen Sie an ihr Team haben. Gewaltfreie Kommunikation kann hier einen wertvollen Beitrag liefern.