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Ein Keim mit systemischer Wirkung
3-D-Bild des Bakteriums P. gingivalis

P. gingivalis verfügt über eine Reihe potenter Virulenzfaktoren, deren Auswirkungen sich keineswegs nur auf die oralen Gewebe beschränken.

Porphyromonas gingivalis ist ein gramnegatives anaerobes Stäbchenbakterium aus der Ordnung Bacterioidales und gehört zu den Leitkeimen bei aggressiven Parodontalerkrankungen. Seine Assoziation mit schweren gingivalen Entzündungen, Alveolarknochenabbau und Attachmentverlust ist hinlänglich bekannt.

In selteneren Fällen findet man ihn auch als Erreger einer bakteriellen Vaginose sowie bei Erkrankungen der Atemwege und des Verdauungstrakts.

Der Keim verfügt über eine Reihe potenter Virulenzfaktoren, deren Auswirkungen sich keineswegs nur auf die oralen Gewebe beschränken. So stimulieren die Lipopolysaccharide von P. gingivalis die Produktion von Interleukin-1 (Il-1), was zu einer Aktivierung von Osteoklasten, vermehrter Knochenresorption, aber auch zu Störungen der unspezifischen Immunabwehr mit Beeinträchtigung der Chemotaxis und der Phagozytosefähigkeit der neutrophilen Granulozyten führt. Eine wichtige Rolle spielt das Kapselpolysaccharid des anaeroben Bakteriums. Es ist nicht bei allen Stämmen identisch aufgebaut, was die Unterschiede in Ausprägung und Ausmaß der Virulenz erklärt.

Gingipaine ermöglichen die Invasion von P. gingivalis in Blutgefäße

P. gingivalis produziert zudem eine Reihe von proteolytischen Enzymen, wie etwa Kollagenasen, die das Bindegewebe angreifen und eine Gewebeinvasion des Keims ermöglichen. Die Fähigkeit zur Proteasebildung ist eine notwendige Überlebensstrategie des Bakteriums, da es keine Zucker für seine Ernährung und sein Wachstum spalten kann und daher auf freie Peptide angewiesen ist. Für seine systemische Pathogenität spielen die Arginin-spezifischen Cysteinproteinasen, besser bekannt als Gingipaine, eine Schlüsselrolle.

Im Speziellen werden Gingipain R und Lysgingipain gebildet. P. gingivalis kann durch seine proteolytische Fähigkeit die Epithel-Bindegewebeschranke der oralen Mukosa überwinden und sogar die glatte Muskulatur und das Endothel der Blutgefäße durchdringen. Diese Fähigkeit wird durch Fimbrien an der Zelloberfläche moduliert. Zudem wird Porphyromonas als Keim des subgingivalen Biofilms bereits bei geringfügigen mechanischen Belastungen wie Zähneputzen oder Kauen aus floriden Läsionen in die Gefäße eingespült und verursacht so eine zumindest passagere Bakteriämie. Dies ermöglicht ihm dann, weit über orale Läsionen hinausgehende Schäden im gesamten Organismus zu verursachen.

So ist P. gingivalis an der Initiation und dem Fortschreiten von Arteriosklerose beteiligt. Rekurrierende Bakteriämien durch P. gingivalis induzieren auch bei primär nicht vorhandener Hyperlipidämie aortale und koronare Läsionen. Das Bakterium kann mittels PCR unmittelbar aus den atheromatösen Plaques der peripheren Gefäße isoliert und nachgewiesen werden. In den Arterien beeinflussen die bakteriellen Gingipaine die zelluläre und humorale Blutgerinnung. Über Rezeptoren an den Thrombozyten werden diese aktiviert und zusätzlich Gerinnungsfaktoren gespalten, was zu Thrombenbildung und Endothelläsionen führt. Zudem dringt P. gingivalis auch in Makrophagen ein und wandelt diese zu Schaumzellen um.

Damit ist die Grundvoraussetzung zur Bildung der zunächst noch weichen atheromatösen Plaques gegeben. In der Folge wird Kalk eingelagert, die Gefäße verengen sich, und damit steigt zunehmend das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko.

Überaktivierung von Inflammasomen begünstigt Lebererkrankungen

P. gingivalis ist auch ein Schlüsselkeim bei Entstehung und Progression der nicht-alkoholischen Fettleber (NAFDL) und der nicht-alkoholischen Fettleberhepatitis (NASH). Der Keim kann bei dieser Patientengruppe doppelt so häufig wie bei lebergesunden Vergleichsgruppen im Sulkus nachgewiesen werden. Durch Alteration des Lipopolysaccharid-TLR2-pathways und die Stimulationen von Inflammasomen fördert der Keim diese Erkrankungen. Toll-like receptors sind wichtige Membranproteine, die eigentlich  für die Erkennung der Keime und die Weiterleitung entsprechender Signale an das Abwehrsystem verantwortlich sind und durch P. gingivalis diese Aufgabe nicht mehr adäquat erfüllen können.

Inflammasome sind Proteinkomplexe an den Zellen der unspezifischen Abwehr, die von diesem Bakterium überaktiviert werden und damit eine Kaskade auslösen, die über Caspase1 zur Induktion proinflammatorischer Zytokine und letztlich zur Interleukin-1ß-Bildung und massiver Entzündungsreaktion führt. Eradikation von P. gingivalis durch entsprechende Parodontaltherapie führt zu einer deutlichen Verbesserung der Leberparameter.

Auch bei der Genese mancher Krebserkrankungen, im Besonderen von oralen Plattenepithelkarzinomen, ist P. gingivalis beteiligt. In Kombination mit Fusobacterium nucleatum fördert er die Kanzerogenese. Man spricht hier sogar von krebsassoziierten Biofilmen, in denen durch die synergistische Beziehung zwischen den beiden Keimen die Expression von onkogenen und inflammatorischen Genen erhöht und damit ein Tumorwachstum gefördert wird. Auch hier sind es wieder die Gingipaine von P. gingivalis, die die Apoptose maligner, entarteter Zellen hemmen und die Migration von Krebszellen fördern.

Induktion von Autoantikörpern bei rheumatoider Arthritis

Zusammenhänge zwischen rheumatischer Arthritis und parodontalen Erkrankungen sind schon länger bekannt. Auch hier spielt P. gingivalis eine wichtige Rolle. Eine Studie an der Universität in Pittsburgh konnte Antikörper gegen P. gingivalis aus der Gelenkflüssigkeit der Rheumapatienten isolieren. Das Bakterium bildet ein spezifisches Enzym, die Peptidylarginindeiminase, die über Zwischenstufen die Bildung von APCAs (anti citrullinated protein antibodies) initiiert. Diese APCAs sind typische Antikörper bei rheumatoider Arthritis.

Besonders spannend sind aktuelle Forschungen, die die Rolle von P. gingvalis bei der Alzheimer-Krankheit behandeln. Der Keim kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und dann vor Ort über seine Gingipaine die Bildung von Tau-Proteinen, dem Bestandteil der Alzheimerplaques, fördern.

P. ginvalis ist zweifellos einer der bestuntersuchten Parodontalkeime. Viele seiner Auswirkungen auf den Gesamtorganismus sind Gegenstand laufender wissenschaftlicher Untersuchungen. Aber auch für andere Spezies wie etwa Aggregatibacter oder Treponema denticola werden immer mehr Zusammenhänge mit systemischen Grunderkrankungen beschrieben. Das Wissen um die dahinterstehenden Pathomechanismen ermöglicht sowohl der Zahnmedizin als auch anderen medizinischen Fachrichtungen neue Strategien für Diagnose und Therapie.

DDr. Christa Eder, Dr. Laszlo Schuder, Wien