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Schlafmedizin wird Kassenleistung
Autorenfoto Prof. Dr. Hinz

dzw-Günder und -Herausgeber Prof. Dr. med. dent. Rolf Hinz

Die Behandlung der Schlafapnoe erfolgte bisher von Zahnärzten mit speziellen, nachts zu tragenden Schienen, um durch Öffnung der Atemwege das Schnarchen abzustellen, aber besonders, um den zeitweiligen Verschluss der oberen Atemwege zu verhindern. Die gesicherte Diagnose „Schlaf-Apnoe“ haben wir Zahnmediziner von den uns bekannten Ärzten klären lassen.

Die Behandlung einschließlich der Behandlungsgeräte waren Privat- beziehungsweise Selbstzahlerleistungen, was verständlicherweise vielen Patienten nicht gefallen hat. Mit einem gewissen Überraschungseffekt wurde 2019 bekannt, dass eine als „Nutzungsbewertung“ bezeichnete Studie vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) über die Unterkieferprotrusionsschiene bei leichter bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe (OSA) bei Erwachsenen vorlag, die bereits 2018 in Auftrag gegeben worden war.

Angeregt und beantragt wurde die Behandlung der Schlafapnoe mit Unterkieferprotrusionsschienen (UPS) als zahnärztliche Vertragsleistung durch die Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Obgleich der medizinische Nutzen der CPAP-Maske und die damit verbundene Überdruckbehandlung unstrittig sind, war es kein Geheimnis, dass das nächtliche Tragen dieser Maske von vielen Patienten nicht gewünscht war.

Während der vom IQWIG vorgelegte Vorbericht mehr als 300 Seiten mit umfangreichen Untersuchungen und Stellungnahmen umfasste, wurde etwa vier Monate später die Dokumentation zu dem Vorbericht diskutiert und auf 36 Protokollseiten festgehalten.

Die Kernaussagen im Abschlussbericht der IQWIG-Studie beinhalten zusammengefasst:

Fragestellung 1: Nutzungsbewertung der Behandlung mit einer UPS im Vergleich zu einer Überdruckbehandlung mit einer Maske (PAP)

  • Für die Tagesschläfrigkeit ergab sich ein Anhaltspunkt für einen Nutzen der UPS im Vergleich zu keiner Behandlung.
  • Auch für die Fatigue (Schläfrigkeit) ergab sich ein Anhaltspunkt für einen Nutzen der UPS im Vergleich zu einer Placebobehandlung.

Ebenfalls zusammenfassend ließ sich in Fragestellung 1 ein Vorteil der UPS hinsichtlich des Leitsymptoms der OSA, der Tagesschläfrigkeit, im Vergleich zu keiner Behandlung ohne Einfluss auf die Kieferposition erkennen.

Fragestellung 2: UPS versus Positivem-Atemwegs-Therapiedruck (PAP)

  • Für die Tagesschläfrigkeit konnte ein Hinweis auf eine Nichtunterlegenheit der UPS im Vergleich zur PAP-Therapie abgeleitet werden.

Fazit: kein Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen oder Schaden zur UPS.     

Kein Grund zum Jubeln … zumindest nicht für die damit beschäftigten Zahnmediziner!

Verfolgt man die Beschlüsse des G-BA, die nach aufwendiger Forschung und Testung die Behandlung mit den Unterkieferprotrusionsschienen zur Vertragsleistung der gesetzlichen Krankenkassen machte, so könnte man die anzuerkennenden Bemühungen aller Beteiligten nur loben. Warum, werden Sie sich sicher fragen, dann diese für Zahnmediziner so negativ geprägte Überschrift?

Meine Antwort: Weil wir Zahnmediziner zu „Handlangern“ der ärztlichen Kollegen degradiert und in der Schlafmedizin nur noch durch unsere zahntechnischen Kenntnisse geduldet werden! Meine persönliche Verärgerung wird vielleicht verständlich, da ich mich als Betroffener seit 1990 selbst mit der Schlafmedizin beschäftigt habe und im Jahr 2000 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Schlafmedizin gehörte.

Um eine Alternative zu der von mir abgelehnten CPAP-Therapie zu finden, waren übrigens Cartrights Zungenretainer und Lions Silikon-Gerät die ersten Stationen meiner Suche. Wie bereits erwähnt, ist die Aufnahme der UPS in den Katalog der gesetzlichen Krankenkassen den Patientenvertretern beim G-BA zu verdanken, die offensichtlich die Stimmen der Patienten erhört haben, die mit der CPAP-Behandlung nicht zurechtgekommen sind. Bisher war die kollegiale Zusammenarbeit mit Ärzten problemlos, und ich wünsche mir, dass es so bleiben möge.

Der Beschluss des G-BA vom 20. November 2020 ist lesenswert:

Paragraf 2: Indikationsstellung

Die Behandlung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene darf zulasten der Krankenkasse erbracht werden bei erwachsenen Patienten, bei denen eine behandlungsbedürftige obstruktive Schlafapnoe anhand einer Stufendiagnostik festgestellt wurde, und eine Überdruckbehandlung mit CPAP nicht durchgeführt werden kann.

Paragraf 3: Eckpunkte der Qualitätssicherung

  1. Zur Behandlung einer obstruktiven Schlafapnoe mit Unterkieferprotrusionsschiene berechtigt sind ausschließlich Vertragsärztinnen und Vertragsärzte […]
  2. Die Versorgung mit […] Unterkieferprotrusionsschiene erfolgt durch eine Vertragszahnärztin oder einen Vertragszahnarzt […]
  3. Bei Erstanpassung erfolgt die individuelle Einstellung des Protrusionsgrades durch einen Vertragszahnarzt in Abstimmung mit dem Vertragsarzt. Dieser oder diese überprüft anschließend die Wirksamkeit des eingestellten Protrusionsgrades.
  4. Die laufenden Therapiekontrollen erfolgen durch den Vertragsarzt/Vertragsärztin. Notwendige Nachadaptionen sollen durch den Vertragszahnarzt/in erfolgen und werden anschließend durch die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt überprüft.

Einbindung zahnmedizinischer Kompetenz sichert hohe Qualität der Schienentherapie bei obstruktiver Schlafapnoe

Nicht ganz verständlich ist der Inhalt der Pressemitteilung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) vom 20. November 2020. Da heißt es unter anderem: „Wir freuen uns sehr, dass die Versorgung mit Unterkieferprotrusionsschienen künftig von Zahnärzten und Ärzten gemeinsam gestaltet werden kann. Dieses abgestimmte Vorgehen gewährleistet eine hohe Qualität der Versorgung.“

Auch die klare Regelung, dass nur zahntechnisch individuell angefertigte und adjustierbare Schienen die Anforderungskriterien für eine funktionierende Schienentherapie erfüllen, werde von der KZBV aufgrund der klaren Evidenzlage als folgerichtig begrüßt. Die KZBV habe sich im G-BA erfolgreich dafür eingesetzt, dass Vertragszahnärzte in die Versorgungsstrecke hinsichtlich des Ausschlusses zahnmedizinischer Kontraindikationen, der Anfertigung und Anpassung der Schiene, der Schieneneingliederung sowie der Einstellung des Protrusionsgrades eingebunden werden.

Die Therapie mit einer individuell hergestellten Unterkieferprotrusionsschiene sei künftig auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Indikationsstellung als sogenannte Zweitlinientherapie für leichte, mittelgradige und schwere Schlafapnoe vorgesehen. „Nach Ausschluss zahnmedizinischer Kontraindikationen“, so die KZBV weiter, „verantworten Vertragszahnärzte die Anfertigung und Anpassung der Schiene. Diese Anpassung erfolgt in enger Abstimmung mit den verordnenden Vertragsärztinnen und Vertragsärzten.“

Zum Inhalt der oben wiedergegebenen Passagen aus der KZBV-Pressemeldung ist Folgendes anzumerken:

  • Von einer „gemeinsamen Gestaltung“ des Therapiegerätes selbst wie auch vom Ablauf der Behandlung kann keine Rede sein. Die Kontrolle über jeden Behandlungsschritt bleibt den Vertragsärzten vorbehalten.
  • Dass die seit Jahren bekannte Unterkieferprotrusionsschiene individuell gefertigt und adjustierbar ist, ist nicht neu und muss nicht besonders betont werden.
  • Das Gleiche gilt für „den Ausschluss zahnmedizinischer Kontraindikationen, die Anfertigung und Anpassung der Schiene, die Schieneneingliederung sowie die Einstellung des Protrusionsgrades“: Das haben seit vielen Jahren die schlafmedizinisch tätigen Zahnärzte als ihre Aufgabe betrachtet und durchgeführt.
  • In der Aussage zur sogenannten Zweitlinientherapie „für leichte, mittelgradige und schwere Schlafapnoe“ irrt die KZBV, denn in allen Verlautbarungen und Beschlüssen ist die zukünftige Kassenleistung auf „leichte und mittelgradige“ Schlafapnoe begrenzt, die „schwere“ Schlafapnoe wird an keiner Stelle erwähnt. Da gerade diese behandlungsbedürftig ist, sollte eine entsprechende Klarstellung erfolgen.

Die Zusammenarbeit der Vertragsärzte mit den Vertragszahnärzten ist wichtig und essenziell. Dabei ist nach Paragraf 3 der Eckpunkte der Qualitätssicherung zu beachten, dass nur Vertragsärzte, die über eine Genehmigung nach der Qualitätssicherungsvereinbarung gemäß Paragraf 135 Abs. 2 SGB V zur Diagnostik und Therapie schlafbezogener Atmungsstörungen durch die KZV verfügen, zahnmedizinische Behandlungen erbringen und abrechnen dürfen. Es wäre wünschenswert, dass diese Ärzte namentlich den zuständigen KZVen mitgeteilt werden, um die Zusammenarbeit vor Ort zu ermöglichen, beispielsweise durch ein Ärzteregister.    

Unterkieferprotrusionsschienen = Zweitlinientherapie

Die UPS als „Zweitlinientherapie“ zur Behandlung von obstruktiver Schlafapnoe ist künftig Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung. Die bereits von mir zitierte Pressemitteilung der KZBV vom 20. November 2020 lässt vermuten, dass der stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der KZBV offensichtlich übersehen hat, was die „Zweitlinientherapie“ bedeutet: Die „Zweitlinientherapie“ setzen Mediziner ein, wenn die „Erstlinien-Behandlung“ nicht den gewünschten Erfolg der angewendeten Therapie gebracht hat. Das heißt: Erst wenn die CPAP-Überdrucktherapie keinen Erfolg zeigt, darf der Vertragsarzt dem Zahnmediziner die Anfertigung der UPS, die Anpassung der hergestellten Schiene, die Schieneneingliederung sowie die Einstellung des Protrusionsgrades überantworten!

Als Kieferorthopäde, der mehrere Jahrzehnte in enger Zusammenarbeit mit Schlafmedizinern gearbeitet hat, Fortbildung der Zahnärzte betrieben und den Studierenden die Schlafmedizin für Erwachsene und auch für Kinder (!) nahegebracht hat, bin ich von dieser Deklassierung der Zahnmediziner – denn anders kann ich es nicht empfinden – enttäuscht.

Prof. Dr. Rolf Hinz, Herne

 

PS: Kaum hatte ich meinen Beitrag zur neuen Situation und Behandlung der Schlafapnoe fertig, erhielt ich die 28 Seiten umfassende „S1-Leitlinie zur Anwendung der Unterkieferprotrusionsschiene“. In beispielhafter Koordination ist es Dr. Horst Kares gelungen, mit zehn weiteren Autoren eine lesenswerte und gut verständliche Leitlinie zur zahnmedizinischen Schlafmedizin und zur Anwendung der Unterkieferprotrusionsschiene zu schaffen. Auffällig ist, dass darin die in den Beschlüssen des G-BA enthaltenen häufigen Einschränkungen der zahnmedizinischen Tätigkeit fast keinen Platz finden. Daraus ist zu folgern, dass zwischen kassen- und privatversicherten Patienten zu unterscheiden ist.