Anzeige

Premium Article

Premium Article
0

Advertorial

Advertorial
0

Ambulante Narkosen – tödliches Risiko für Milchzahnsanierungen?

Seit nunmehr 30 Jahren behandele ich in eigener Praxis Kinder und bewundere sie, wie sie größer werden, erwachsen werden. Aber die Behandlung von Milchzähnen ist manchmal schwierig. Der Zeitbedarf ist manchmal schwer zu kalkulieren. Damit Compliance aufgebaut werden kann, muss zunächst Vertrauen aufgebaut werden. Das war in vielen Fällen nicht einfach. Zappelige Kinder waren genauso dabei wie ängstliche Kinder, die mein Angebot, Tränen professionell mit Pressluft zu trocknen, dankbar annahmen und wir hinterher zusammen lachen konnten. Die Arbeit mit Kindern war mir in all den Jahren stets wichtig, und ich betrachtete die Kinderbehandlung stets als Bereicherung und Herausforderung.

Die Erfahrungen, die ich in meiner Assistenzzeit im Klinikum der RWTH Aachen machen konnte, ließen für mich keine Zweifel aufkommen. Dentalsanierungen in ITN gehörten für mich zum Alltag. In der Regel waren es chirurgische Dentalsanierungen bei Erwachsenen. Aber es waren auch Kinder, die zur konservierenden Dentalsanierung geschickt wurden. Hatten die Anfänger in unseren Reihen noch den Ehrgeiz, profunde Karies konservativ mittels Füllungstherapie zu behandeln, so verschwand dieser Idealismus schnell, wenn das Kind nach dem Aufwachen aus einer 4-Quadranten-Sanierung vor Schmerzen laut schrie. Diesem Schmerzrisiko konnte man als BehandlerIn durch invasive Behandlungsmethoden vorbeugen: Trepanationen und Extraktion waren die Regel, Füllungen die Ausnahme.

Kind beim Zahnarzt unter ITN

Dr. Hans-Werner Bertelsen sieht die Entwicklung hin zu ambulanten Narkosebehandlungen
zur „bequemeren“ Milchzahnsanierung sehr kritisch.

Diametral anderer Ansatz in der eigenen Praxis

Mein Weg in der Praxis verfolgt einen diametral anderen Ansatz: Milchzähne werden einzeln behandelt. Im Ausnahmefall auch schon mal zwei. Frühzeitige Intervention sichert Schmerzfreiheit. Die Früherkennung von mehrfacher Karies ist ein wertvolles Signal und lässt eine Kariesanfälligkeit vermuten.

Dann kommt das volle Programm: Vermeidung zuckerhaltiger Getränke (Fruchtsäfte und „Soft-Drinks“ sind tabu – maximal einmal pro Woche erlaubt!), Anfärbung der Zähne mit Fotodokumentation, damit die Kinder nach vier bis sechs Wochen ihre eigenen Putzerfolge auf dem Monitor erkennen können und dabei das mächtige Werkzeug ihrer Selbstwirksamkeit entdecken. Milchzahnkaries ist weder Schande noch Makel, weder sind elterliche Schamgefühle angebracht, noch müssen Schuldige gesucht werden. Milchzahnkaries als Signal lässt sich hervorragen nutzen, um die Kompetenz der Kinder für die bleibenden Zähne zu entwickeln, zu formen und zu erhalten.

Erschreckende Entwicklung

Umso erschreckender ist für mich die Entwicklung hin zu ambulanten Narkosebehandlungen für Milchzähne. Eltern berichten mir von geäußerter „dringender Notwendigkeit“ und von „bequemer Behandlung in einem Rutsch“. Kürzlich bekam ich die Zuschrift einer Mutter, deren sechsjährige Tochter durch einen „Narkosezwischenfall“ während einer Dentalsanierung ums Leben kam.

Ich kann es nicht glauben, dass es tatsächlich Kolleg:innen gibt, die diese – für das Kind oftmals schlechteste Behandlungsmethode – in ihren Praxen durchführen und die enormen Risiken dabei ausblenden. Beschämend, dass es noch nicht einmal Statistiken zur Häufigkeit dieser völlig überflüssigen und tragischen Todesfälle gibt.

Der Vorsitzende der Vertreter der ambulanten Anästhesisten in Deutschland, Jörg Karst, scheint sich nicht sonderlich daran zu stören, beklagt aber Asche-aufs-Haupt-schüttend grottenschlechte Standards im Tross der Narkose-Vagabunden. Ich habe bei der Bundeszahnärztekammer angefragt, schließlich ist da gerade das Werk der „Daten und Zahlen 2023“ erschienen. Dort sollte man über die Häufigkeit tödlicher endender Milchzahnsanierungen zumindest einen Aktenordner angelegt haben.

Die Namen der Kinder dürfen nicht vergessen werden. Sie mahnen uns, Milchzahnkaries nicht mit einem Polytrauma zu verwechseln, sondern vernünftig, menschlich und minimal-invasiv zu behandeln. So, wie wir es alle an den Uni gelernt haben. Vor dem Hintergrund steigender MVZ-Zahlen ist zu befürchten, dass es in Zukunft wiederholt zu solchen überflüssigen Katastrophen kommt, daher im Folgenden meine Forderungen – sie lauten:

1. Klärung, wie viele Kinder bei dieser Behandlung bis dato ums Leben gekommen sind.
2. Verbot von Milchzahnsanierungen mit „ambulanter Narkose“.

3. Einführung abrechenbarer Zeiteinheiten für die Behandlung von Kindern.

Dr. Hans-Werner Bertelsen, Bremen