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Professionelle Prophylaxe könnte so wichtig sein wie Mundhygiene

Oralmedizin kompakt – Perspektiven: Das Parodont bleibt laut Studien auch bei mäßiger Mundhygiene stabil – Dysbiose-Management (Teil 1)

In einer Reihe von Studien mit Patienten in parodontaler Nachsorge wurde kein Zusammenhang zwischen Plaquemenge und Entzündungswerten oder Attachmentverlust gefunden. Dies stimmt sehr gut mit neueren Erkenntnissen zur Pathogenese der Parodontitis überein. So kann die Immunantwort auf den Biofilm und damit die entzündliche Symptomatik individuell sehr unterschiedlich ausfallen, im ungünstigen Fall mit einem gegenseitigen Verstärkungsmechanismus [18, 19]. Ob eine stärkere oder schwächere Reaktion erfolgt, ist demnach genetisch festgelegt und kann von der Menge, aber auch der mikrobiellen Zusammensetzung des Biofilms unabhängig sein. Werden am Knochenabbau beteiligte Signalstoffe nicht aktiviert, bleibt eine Gingivitis stabil und geht nicht in eine Parodontitis über [20, 21].

Für schnelle Leser

  • Parodontitis entsteht im Zusammenspiel zwischen pathologischen Veränderungen im oralen Biofilm (Dysbiose) und individueller Immunantwort.
  • Es gibt keine Studien höherer Qualität, die eine primär präventive Wirksamkeit guter Mundhygiene gegen Parodontitis dokumentieren.
  • Für den Übergang von einer Gingivitis zu Parodontitis ist die Mundhygiene-Qualität möglicherweise nicht der entscheidende Faktor.
  • Einige Studien mit parodontalen Recall-Patienten zeigen ebenfalls keinen signifikanten Einfluss der Mundhygiene auf das Langzeitrisiko.
  • Mundhygiene-Instruktion und Ursachenaufklärung sind bei geringer Frequenz und als alleinige Maßnahmen präventiv wahrscheinlich unwirksam.
  • Die Rolle von genetischen, systemischen und Lebensstil-Faktoren ist im Zusammenhang mit individueller Prophylaxe ungeklärt.

Auf der Basis dieser molekularbiologischen Erkenntnisse ist bei einem Teil der Patienten die Qualität und Frequenz der Mundhygiene für Entzündung oder parodontalen Attachmentverlust unwesentlich, was klinischen Beobachtungen entspricht. Dies ist auch deshalb nachvollziehbar, weil ein Großteil nicht entfernter Plaque interdental lokalisiert ist und daher von den meisten Patienten nicht oder nicht effektiv entfernt wird [22, 23].

Hinterfragt wird auch zunehmend, ob Gingivitis notwendigerweise eine Vorstufe von Parodontitis ist – und ob sie überhaupt als Erkrankung einzustufen ist [7, 24, 25]. Weiterhin ist die exakte Definition für plaqueinduzierte Gingivitis als Erkrankung unklar. So wurde in einer MRT-Untersuchung festgestellt, dass bei schwerer Gingivitis bereits vor dem Abbau von parodontalem Knochen ein Knochenödem vorliegen kann [26]. Insofern spricht vieles für ein Kontinuum von einer reversiblen Gingivitis zu einer initialen – und noch reversiblen – Parodontitis.

Wichtiger Risikofaktor?

Dennoch besteht Einigkeit, dass in der parodontalen Nachsorge eine Belagentfernung ohne begleitende Mundhygieneinstruktion und Aufklärung über Erkrankungsursachen im Sinne einer vollständigen Prophylaxestunde nicht dem Stand der Technik entspricht [3]. Zudem existieren für diese Patientenkategorie sorgfältig erhobene Daten, die für eine bedeutsame Rolle der Mundhygiene sprechen. So zeigt eine retrospektive Studie aus Deutschland bei 100 Patienten in der UPT nach zehn Jahren, dass in Abhängigkeit von der Mundhygienequalität um mehr als 50 Prozent mehr Zähne verloren gingen (relatives Risiko) [27]. Der stärkste Risikofaktor war eine unregelmäßige Teilnahme an den UPT-Sitzungen (mehr als 300 Prozent mehr Zahnverluste), was in anderen Studien bestätigt wird [28, 29].

Die Professoren Renate Deinzer und Peter Eickholz gehen davon aus, dass die Bedeutung der Mundhygiene für Zahnverluste nach Parodontitisbehandlungen aufgrund der meist kurzen Nachbeobachtungszeiten eher zu gering bewertet wird [6]. Wegen unzureichender Daten zur Mundhygienequalität nutzten sie in ihrer Analyse für das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) ersatzweise auch Indizes für Gingivitis und Sondierungsblutung. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass eine verstärkte gingivale Entzündung ihrerseits die Plaquebildung fördert und damit als Ersatzparameter für Mundhygienequalität fragwürdig erscheint [30]. Eine systematische Übersicht zu Patienten ohne parodontale Vorbehandlung kommt jedoch auf begrenzter Datenbasis ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Mundhygiene als Risikofaktor wichtiger ist als zum Beispiel Rauchen oder Diabetes [31].

Lebensstil und Droge Arzt

In den Arbeiten der Axelsson-Gruppe und der berühmt-berüchtigten Hugoson-Studie („professionelle Belagentfernung klinisch wirkungslos“) erschien ein Teil der Probanden mit hoher Recallfrequenz [22, 32]. Die für diese (gesunden) Patienten sehr guten Ergebnisse lassen sich so interpretieren, dass die Bedeutung der Mundhygienequalität überschätzt und zugleich die motivierende und psychologische Wirkung von Prophylaxesitzungen (Droge Arzt und Prophylaxefachkraft) unterschätzt wird. Nicht zuletzt wirken sich zudem auf individueller Ebene genetische, systemische und Lebensstilfaktoren aus, darunter Ernährung, Rauchen, Stress und psychische Erkrankungen, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen [11, 33–38]. Die qualitative und quantitative Bedeutung dieser sehr heterogenen Einflussgrößen für die Prävention ist noch wenig erforscht.

Schlussfolgerungen

Dieser Artikel ist ein narratives Review mit Thesencharakter, ohne Formulierung fokussierter Fragen und eigene systematische Literaturauswertung [39]. Wie die intensive Diskussion über den Stellenwert von Parodontitistherapie und professioneller Prophylaxe in den vergangenen Jahren gezeigt hat, erlaubt ein solches „evidenzbasiertes“ Vorgehen mangels verfügbarer Daten auch nur sehr eingeschränkte Schlussfolgerungen [40]. Entsprechend sind die oben zitierten Studien und Übersichten zur Bedeutung der Mundhygienequalität bei Gesunden und Parodontitispatienten zum Teil widersprüchlich. Sie basieren auf meist nicht randomisierten und kontrollierten Untersuchungen mit begrenzter statistischer Power und sollten daher mit Vorsicht interpretiert werden.

Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die Qualität des persönlichen Biofilmmanagements für Parodontitis und Karies nur ein Risikofaktor von vielen ist. Die Wirksamkeit einer fachgerechten, ausreichend frequenten und regelmäßigen professionellen Belagentfernung und Remotivation wird dagegen möglicherweise unterschätzt. Der zweite Teil dieses Beitrags untersucht die Rolle der individuellen Risikobewertung, der damit verknüpften Intervalle für professionelle Prophylaxesitzungen und der Patientenmotivation und -adhärenz für den präventiven Erfolg. Im dritten Teil wird versucht, Schlussfolgerungen für eine weiter gedachte präventive Oralmedizin zu ziehen – mit ethischen und wirtschaftlichen Konsequenzen für die Versorgung.

Dr. Jan H. Koch, Freising

wird fortgesetzt: Teil 2 Orales Dysbiose-Management ist eine ärztliche Leistung

Hinweis: Beiträge in der Rubrik „Oralmedizin kompakt“ können nicht die klinische Einschätzung der Leser ersetzen. Sie sollen lediglich – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen.

Der Autor erklärt, dass er folgende Interessenkonflikte hat: Beratungs­tätigkeit und Textbeiträge unter anderem für die Firmen EMS und Philips. Dieser Beitrag wurde im Auftrag des Zahnärztlichen Fach-Verlags (dzw) erstellt.

Dr. Jan H. Koch

Dr. med. dent. Jan H. Koch ist approbierter Zahnarzt mit mehreren Jahren Berufserfahrung in Praxis und Hochschule. Seit dem Jahr 2000 ist er als freier Fachjournalist und Berater tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Falldarstellungen, Veranstaltungsberichte und Pressetexte, für Dentalindustrie, Medien und Verbände. Seit 2013 schreibt Dr. Koch als fester freier Mitarbeiter für die dzw und ihre Fachmagazine, unter anderem die Kolumne Oralmedizin kompakt.

Mitglied seit

6 Jahre 10 Monate

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