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„Mein Favorit ist der Sieger aus Frankreich : Belgien“
Unsere WM-Analyse des ehemaligen Schiedsrichters Thorsten Kinhöfer

Unsere WM-Analyse des ehemaligen Schiedsrichters Thorsten Kinhöfer

Jede Woche analysieren wir mit unserem Experten und BamS-Schiri Thorsten Kinhöfer, dem ehemaligen DFB- und FIFA-Schiedsrichter, das Spielgeschehen bei der WM 2018 in Russland. Für die DZW stellt Dr. Helge David die Fragen.

Thorsten Kinhöfer

Thorsten Kinhöfer war von 1994 bis 2015 DFB-Schiedsrichter. Im Jahr 2006 wurde er auch FIFA-Schiedsrichter. Kinhöfer leitete internationale Begegnungen in der Champions League, der Europe League und bei der WM-Qualifikation. Kinhöfer lebt in Herne.

Herr Kinhöfer, das wird unser letztes Interview für diese WM. Zeit für ein erstes Resümee. Ihre Einschätzung?

Thorsten Kinhöfer: Die deutsche Mannschaft ist ja mehr als enttäuschend gewesen und verdient nach der Vorrunde ausgeschieden. Was sich jetzt im Nachgang beim DFB abspielt, ist die Folge dieser nicht erbrachten Leistung. Da wird jetzt nachgekarrt. Es müssten und sollten Konsequenzen gezogen werden. Wenn DFB-Präsident Grindel jetzt sagt, dass Özil sich nach seinem Urlaub endlich äußern soll – das sind alles Baustellen, die man im Vorfeld der WM hätte klären müssen, um die Harmonie im Team wiederherzustellen. Man hört jetzt häufig von einzelnen Spielern, dass es eben keine Mannschaft gegeben hat, sondern einzelne Gruppen. Das ist natürlich nicht förderlich, um eine gute Leistung abzuliefern. Man sieht das gut bei den anderen Mannschaften, da erkennt man immer, dass da ein Team auf dem Platz steht. Da reißt sich jeder für den anderen den [Piep] auf, jeder ist willig, alles für den Erfolg zu geben. Als Weltmeister denkt man, wir können das, wir haben es ja bewiesen. Dann fehlen halt die letzten vier, fünf, sechs Prozent – mit dem Ergebnis, dass wir in der Vorrunde rausfliegen. Kroatien und vor allem Belgien zeigen, was man mit einer Mannschaftsleistung und individueller Klasse alles erreichen kann.

Im Halbfinale sind nur noch europäische Mannschaften vertreten, gibt es dafür einen Grund?

Kinhöfer: Die afrikanischen Mannschaften sind alle früh ausgeschieden, von den asiatischen Mannschaften hat es auch nur Japan bis ins Achtelfinale geschafft und da war dann auch Schluss. Jetzt ging es nur noch darum, ob eine südamerikanische Mannschaft – Brasilien, Argentinien oder Urugay – im Konzert der Großen mitspielt. Argentinien hat bei dieser WM nicht die Leistung gezeigt, die die Mannschaft sicherlich in der Lage ist zu zeigen. Brasilien hat gegen sehr, sehr starke Belgier verloren: Form schlägt Klasse. Eine Top belgische Mannschaft kann an einem Tag Brasilien niederringen und schlagen. Doch wenn die zehnmal gegeneinander spielen, dann wird Brasilien vermutlich sieben- oder achtmal gewinnen. Es gibt diese Tage, an denen Form Klasse schlägt. Bei Kroatien sieht es ähnlich aus, so haben sie es auch ins Halbfinale geschafft. Dass der europäische Fußball nun die Krone der Schöpfung ist, trifft sicherlich nicht zu. Die Mannschaften, die es jetzt ins Halbfinale geschafft haben, haben es einfach verdient. Denen muss man Respekt zollen.

Unser Interview findet vor den Halbfinals statt. Können Sie uns kurz die Stärken der verbliebenen vier Mannschaften nennen?

Kinhöfer: Bei Belgien ist es natürlich die Offensive mit Hazard, Lukaku und De Bruyne, die ist schon vom Allerfeinsten. Die haben auch einen sehr, sehr guten Torwart: Courtois hat ein Gardemaß von 1,99 Meter, da muss man erst einmal einen Ball ins Tor bringen. England hat eine sehr junge Mannschaft. Mit Harry Kane verfügen sie über den überragenden Stürmer. Die französische Mannschaft hat den für mich besten Spieler der WM Antoine Griezmann. Das ist schon eine Augenweide zu sehen, was der mit dem Ball alles kann. Und vorne natürlich dieser Wunderstürmer Mbappé. Das ist schon Weltklasse. Die Kroaten haben Modrić, Mandžukić und Rebić und Kramarić, die beiden Bundesliga-Spieler. Das sind viele, viele tolle Spieler, die noch entwicklungsfähig sind. Das sind noch keine Messis oder Ronaldos, aber sie haben Potenzial. Ein Rebić mit 120 Prozent ist nicht schlechter als ein Ronaldo mit 95 Prozent. Das sind die Momente, an denen die Form die Klasse schlägt. Da ist an jedem Tag etwas möglich. Trotzdem bleibe ich dabei, mein Favorit ist der Sieger aus Frankreich gegen Belgien. Der wird dann auch Weltmeister. Ich tippe auf Belgien, das wissen Sie ja.

Was erwartet uns bei den Halbfinals?

Kinhöfer: Ich persönlich freue mich auf beide Halbfinalspiele. Jede Mannschaft hat etwas Besonderes. Das sind richtig schöne Spiele, die wir da erwarten können. Alle vier Mannschaften sind hungrig. Wann waren die letzten großen Erfolge? Kroatien hat noch keine international. Bei Belgien ist es auch schon Jahre her. Auch England hat einiges nachzuholen. Alle vier Mannschaften werden alles geben, sich verausgaben, werden mitreißenden Fußball spielen. Und darauf kann man sich freuen.

Zum Abschluss eine Frage zur Aussicht der deutschen Mannschaft in vier Jahren bei der WM in Katar. Gelingt bis dahin der Neubeginn?

Kinhöfer: Ich weiß es nicht. Das Problem ist, ein Neubeginn bedeutet auch neues Personal. Wenn man sieht, dass der Trainer bleibt, der Teammanger bleibt, stellt sich schon die Frage, wie ein Neustart aussehen wird. Ob Löw über seinen Schatten springen kann und sagt, nach dem Verlauf sortiere ich jetzt verdiente Spieler wie Özil, Khedira, Boateng aus. Ich weiß nicht, ob er diesen Spagat hinkriegt. Wie Neubeginn aussieht, kann man ja bei den Bundesligatrainern sehen. Als Tedesco nach Schalke gekommen ist, hat er gesagt, ich habe eine Philosophie, da passt ein Höwedes nicht hinein. Höwedes war Publikumsliebling, Kapitän, aber der Trainer sagt, er passt nicht in meine Spielphilosophie, der ist raus. Das ist bei neuen Trainern so, sie kommen ohne irgendeinen Rucksack dazu und setzen ihre Philosophie um. Bei einem Trainer, der schon längere Zeit in einem Verein ist und auch seine Strukturen kennt, hat es immer schwer, verdiente Spieler an die Luft zu setzen. Wenn Löw das kann, ist sicherlich in Katar etwas drin, aber ich bezweifele, dass es so einfach ist, wie wir uns das vorstellen. Das Gros der Mannschaft wird bleiben. Für uns wird es schwer. Vor allem das System muss geändert werden. Wenn wir 1.200 Kurzpässe spielen und der Gegner 200 und wir verlieren das Spiel, dann muss man sich fragen, ob Kurzpässe noch die richtige Strategie sind.

Das Team vom Confed Cup hätte sicherlich Zukunft. Das sind junge Spieler mit Brand, Goretzka – aber dann muss ich auch den Mut haben, diese jungen Spieler gegen die arrivierten Khediras – oder wie sie alle heißen – auch aufzustellen. Kann Löw das? Beim Confed Cup hatte er keine anderen, weil die sogenannten Superstars nicht dabei waren. Man hat gesehen das sich da eine junge Mannschaft gebildet hat. Die waren ein Kollektiv. Die waren für einander da. Die haben für einander gearbeitet und gekämpft. Das hat man in diesem Jahr bei unserer Nationalmannschaft so nicht gesehen. Und da bleibt die Frage, ob der Bundestrainer das wieder hinbekommt.

Weitere DZW-Interviews mit Thorsten Kinhöfer lesen Sie in unseren WM-Blog.

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