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Neues von der Bohrinsel: Von Hunden, ­Schildkröten … und dem Händedruck

Beobachtungen aus dem Praxisalltag von Dr. Consuela ­Codrin

Wie ich die labbrige Fischhand oder den dominanten Handzerquetscher am Anfang jeder Behandlung vermisse. Da wusste ich immer sofort, welcher Charakter mir gegenübersitzt. Da wusste ich sofort, wie ich diese Person angehen muss, damit die Sitzung harmonisch verläuft. Ja, die Art des Händeschüttelns war ein aussagekräftiges und verräterisches Indiz dafür, wie der Patient tickt. Der Händedruck lügt nicht. Dieser nonverbale „Diamant der Kommunikation“ ist nun leider verloren gegangen – Corona macht’s möglich.

Dinge von unschätzbarem zwischenmenschlichen Wert hat Corona im Nirwana verschwinden lassen – ohne zweijähriges Widerrufsrecht. So bleibt das Händeschütteln verschollen und keiner darf es wiederfinden, ohne zumindest verbal gejagt zu werden – so fühlt es sich in diesen Zeiten an.

Ich werden aus meinem Gegenüber nicht schlau

Nun sitze ich also vor meinem Patienten (m/w/d), der freiwillig einen Mund-Nasen-Schutz trägt, bis die Behandlung beginnt. Also sehe ich in ein Augenpaar, das vielleicht eine emotionale Regung zeigt, die ich mir eventuell nur eingebildet habe, und höre eine Stimme, die durch den Mundschutz wie die undeutliche Stimme des Navis im Auto klingt. Der Körper zeigt eine neutrale Haltung. Also sitze ich immer noch auf meinem Stuhl und werde aus meinem Gegenüber nicht schlau – der Händedruck fehlt, die Mundpartie fehlt. Ein guter Start, um alles falsch zu machen.

Die Kommunikation vor der Behandlung ist so neutral und nahezu unpersönlich, dass ich auch mit einer Puppe, der Wand oder einem Hund hätte reden können. Während dieses nichtssagenden Gesprächs werde ich unsicher, da ich keine sichtbare und wirklich hörbare Resonanz wahrnehme. Unzählige Fragen ploppen in meinem Inneren auf, während ich mich bemühe, krampfhaft ein Charakterdetail aus allen möglichen Regungen dieses Körpers auf dem Behandlungsstuhl herauszulesen, auszuwerten und adäquat zu reagieren. Will der Patient das überhaupt wissen? Soll ich ihm gleich sagen, worum es geht, oder soll ich mich langsam heranpirschen? Will er klare Worte und Führung, oder muss ich ihn sanft mit (nur psychologisch relevanten) Möglichkeiten an die Hand nehmen? Mein Gehirn raucht. Nonverbale Antworten auf meine Fragen bekomme ich nicht. Verbal kann ich sie sowieso nicht stellen, dann ist die Professionalität hin und mein Ruf gleich mit.

Arbeit bleibt irgendwie unpersönlich und routiniert

Nach dem für mich nichtssagenden Geplänkel nimmt der Patient seine Maske ab. Immerhin läuft er nicht schnellen Schrittes aus dem Zimmer. Dann habe ich wohl doch etwas richtig gemacht. Er bleibt und ich darf wortlos meine Instrumente zücken. Jetzt hilft mir der blanke Mund auch nicht viel. Ja, ich kann meiner Arbeit nachgehen, die aber irgendwie unpersönlich und routiniert bleibt.

Jede Mundhöhle ist im Kern gleich – das Drumherum macht es aber interessant und wichtig, warum es in der Mundhöhle so aussieht, wie es aktuell aussieht. Wenn ich keine Ahnung habe, wie ich das Drumherum, also meinen Patienten als Ganzes, anpacken kann, damit er mir das erzählt, was ich für meine Diagnose, meine Therapie und eventuell auch für deren Erfolgschancen brauche, habe ich ein Problem. Dann fühle ich mich wie eine frisch geschlüpfte Schildkröte, die todesmutig und planlos über einen Strand voller Gefahren heil und glücklich ins Meer gelangen will. Nur ein kleiner Fehltritt genügt, und man ist verspeist. Danach gibt es keine zweite Chance. So ist es auch mit dem Gegenüber auf meinem Stuhl: Wenn du es beim ersten Mal versaust, dann kommt er nicht mehr. Obwohl man sich mutig durch alle möglichen Charakterzüge eines vermummten, handdrucklosen Menschen mit windiger Stimme durchkämpft, reicht ein unpassender Satz, um Geschichte zu sein.

Der Mensch wieder in seiner Gesamtheit betrachten

Der Job als Zahnarzt wird immer herausfordernder – und in Coronazeiten hundertmal mehr. Nun, nach der Pandemie, bleibt der Zahnarzt immer noch ein gebranntes Kind. Die Maske ist nun weg – immerhin eine Erleichterung. Der ganze Mensch kann nun wieder in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Die Mimik als wertvoller Diamant zeigt uns wieder einfacher den Weg zum richtigen Zwischenmenschlichen. Dann klappt auch die Behandlung und ermöglicht ein Wiedersehen. Als einzig Wichtiges fehlt das Händeschütteln, um sich perfekt aufeinander einzustellen – ein Wermutstropfen, der vielleicht irgendwann wieder aus unserem virenbelasteten Denken als positive Geste emporsteigt, die uns weit mehr Nähe beschert als Viren.

Dr. Consuela Codrin, Kelheim

Dr. Consuela Codrin

Dr. Consuela Codrin ist langjährige Fachjournalistin, Kolumnistin und Kinderzahnärztin. Sie liebt das Wort, das Bild und Details. In Kelheim lebt und arbeitet sie. Kontakt per E-Mail an info@consuela-codrin.net

 

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