Anzeige
Behandlung: "Zahnmediziner müssen sich in die Lage von Gehörlosen versetzen"

Judit Nothdurft ist Trainerin und gibt Seminare für Zahnärzte, die gehörlose Patienten behandeln. Im DZW-Interview erzählt sie unter anderem, welche Inhalte sie dort vermittelt und was Zahnmediziner bei der Behandlung Hörbehinderter beachten sollten.

DZW: Frau Nothdurft, Sie schulen nicht nur Zahnärzte im Umgang mit hörbehinderten Patienten, sondern beraten auch Praxen dahingehend, was Sie bei der Behandlung von Gehörlosen verbessern können. Woher kommt Ihr Engagement für die Hörbehinderten?

Judit Nothdurft: Ich lebe schon mein ganzes Leben mit der Behinderung. Meine zwei erwachsenen Söhne sind hörbehindert, und auch ich selbst trage ein Hörgerät. In Deutschland gibt es rund 14 Millionen Hörbehinderte, von denen rund 200.000 die Gebärdensprache sprechen. Diese ist allerdings erst offiziell seit 2002 anerkannt. Bis heute haben es Hörbehinderte in der Öffentlichkeit schwer, Akzeptanz zu finden.

DZW: Könnte das auch der Grund sein, weshalb sie so selten zum Zahnarzt oder Arzt gehen?

Nothdurft: Ich habe keine Informationen darüber, ob sie seltener zum Arzt gehen. Eines ist aber sicher: Wenn der Arzt sich mit der Hörbehinderung nicht auskennt, stellt dies eine Barriere dar. Dann können Arzt und Patienten sich schwer oder gar nicht verständigen und sich mitteilen. Demzufolge wissen sie auch nicht, was der Zahnarzt bei ihrem Besuch mit ihnen vorhat und welche Behandlungsschritte vorgenommen werden.

DZW-Redakteur Christoph Ledder im Gespräch mit Kommunikationsexpertin Judit Nothdurft.

DZW-Redakteur Christoph Ledder im Gespräch mit Kommunikationsexpertin Judit Nothdurft.

DZW: Zeigen Zahnärzte Ihrer Meinung nach zu wenig Empathie und Einfühlungsvermögen im Umgang mit Gehörlosen?

Nothdurft: Bei hörenden Patienten kann sich der Zahnarzt auch umdrehen und dabei sprechen. Auch, wenn er einen Mundschutz trägt, verstehen sie ihn. Bei Hörbehinderten geht das nicht. Sie muss man im Blick behalten und versuchen, langsam und deutlich und vor allem ohne Mundschutz zu sprechen. Es gibt leider nur wenige Zahnmediziner, die sich in die Lage von Gehörlosen hineinversetzen können.

DZW: Hierzulande gibt es derzeit nur sehr wenige Zahnarztpraxen, die sich auf die Behandlung von gehörlosen und schwerhörigen Patienten spezialisiert haben. Wollen Sie das mit Ihren Seminaren für Zahnärzte ändern?

Nothdurft: Was ich einerseits bei Zahnmedizinern erreichen möchte, ist, dass sie sich mehr in die Lage von Hörbehinderten versetzen. Andererseits vermittle ich Ihnen in meinen Seminaren allgemeines Wissen über Hörbehinderte. Dazu gehört auch, wie viele Arten von Hörbehinderungen es gibt, oder wie sie Ihre Praxis speziell für diese Klientel barrierefrei gestalten können. Von den 14 Millionen Hörbehinderten sprechen rund 200.000 die Gebärdensprache. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Seminars ist natürlich die Verhaltensweise während der Behandlung.

DZW: Was müssen Zahnärzte hier besonders beachten?

Nothdurft:  Ganz wichtig ist, dass der Zahnarzt immer im Zimmer und im Blickfeld des Patienten sein muss. Neben dem kontinuierlichen Halten des Blickkontakts sollte der Zahnarzt versuchen, langsam zu sprechen. Der Mensch ist ungefähr zu 30 Prozent in der Lage, Gesprochenes von den Lippen abzulesen. Wer also langsam spricht, kurze Sätze bildet und versucht, mit Mimik und Gestik seine Worte zu unterstreichen, findet bei den Gehörlosen Sympathie und kann sich auf deren Wiederbesuch sicher sein.

DZW: Was sind weitere Inhalte Ihrer Seminare?

Nothdurft: Wie bereits gesagt, sollte der Zahnarzt den Patienten immer anschauen und ihm seine Präsenz vermitteln. Das gilt nicht nur für die Behandlung im Behandlungszimmer selbst, sondern auch für das Wartezimmer. Statt den Patienten aufzurufen (er kann es ja nicht hören), sollte lieber eine Praxishilfe den Hörbehinderten aus dem Wartezimmer in den Behandlungsraum führen. So kann man beim Patienten das Eis brechen und ihm die Angst etwas nehmen.

DZW: Wie sollten sich Zahnärzte und ihre Helfer nach der Behandlung der Hörbehinderten verhalten?

Nothdurft: Visualisierung ist hier das Stichwort. Stehen beispielsweise Folgetermine zur weiteren Behandlung an, sollten sowohl Zahnärzte als auch Helfer den Kalender zur Hand nehmen oder auf dem Bildschirm den Gehörlosen mögliche Termine zeigen. Den Patienten ist damit am meisten geholfen.

DZW: Was müssen Zahnärzte tun, wenn gehörlose Patienten zum ersten Mal in die Praxis kommen?

Nothdurft: Zahnmediziner sollten wissen, dass sie mit diesen Patienten anders umgehen müssen. Auch, wenn ein Gebärdensprachdolmetscher zur Stelle sein sollte, muss der Arzt den Patienten anschauen. Das Gespräch darf niemals nur allein mit dem Dolmetscher geführt werden, um den Patienten nicht zu irritieren. Leider gibt es derzeit nur wenige Gebärdensprachdolmetscher in Deutschland.

DZW: Unterrichten Sie in Ihren Seminaren auch Gebärdensprache?

Nothdurft: Ja, das gehört zum praktischen Teil meiner Seminare. Hier unterrichte ich allerdings nur die Grundlagenkenntnisse. Um wirklich fließend gebärden zu können, braucht man schon einige Jahre. Darüber hinaus gibt es verschiedene Dialekte in der Gebärdensprache.

DZW: Dialekte?

Nothdurft: Ja, Hamburger Gehörlose gebärden untereinander anders als Gehörlose in Bayern. Nord- und Süddeutschland benutzen zum Teil unterschiedliche Gebärden, beispielsweise für Wochentage und Monate.

DZW: Also könnte sich ein Hamburger Zahnarzt nicht mit einem Patienten aus Sachsen oder Bayern verständigen?

Nothdurft: Doch, das geht. Genau wie in der Lautsprache gibt es auch bei der Gebärdensprache einen „Grundwortschatz“, und das Mundbild hilft auch.

DZW: In Ihren Seminaren sitzen hauptsächlich Zahnärzte, die keine Erfahrung im Umgang mit Gehörlosen haben. Sind Sie der Meinung, dass die Thematik Hörbehinderung in das Curriculum des Studiums mit aufgenommen werden sollte?

Nothdurft: Unbedingt. Angehende Zahnmediziner sollten schon frühzeitig mit Hörbehinderten in Kontakt kommen und auch über die verschiedenen Arten der Hörbehinderungen Bescheid wissen. Je früher sie in die ganze Thematik eintauchen, desto besser sind später auch die Behandlungserfolge.

DZW: Ist die Behandlung von hörbehinderten Patienten eine Marktlücke für Praxisgründer?

Nothdurft: Da es in Deutschland bislang nur in wenigen Großstädten Praxen gibt, die schwerhörige und gehörlose Patienten behandeln, würde ich die Frage mit Ja beantworten. Beispielsweise gibt es in Nürnberg etwa 1.000 Gehörlose, aber keine einzige Zahnarztpraxis, die auf deren Behandlung spezialisiert ist.


Kommunikation mit Gehörlosen und Schwerhörigen

Judit Nothdurft hat sich auf die Kommunikation mit Schwerhörigen und Gehörlosen spezialisiert. Unter anderem bietet sie Seminare und Workshops zur Inklusion von Schwerhörigen und Gehörlosen und Barrierefreiheit für Hörbehinderte an. Darüber hinaus gibt sie Gebärdensprachkurse mit speziellem Wortschatz für Notfallhelfer. Auf jnc-business.de können Interessenten sie kontaktieren.

Nothdurft hat mit deafservice.de das einzige Online-Serviceportal für Schwerhörige/Gehörlose gegründet. Dort sind sie mehr als 400 Adressen von gebärdensprachkompetenten Ansprechpartnern aus 150 Branchen aufgelistet. Darunter befinden sich auch Ärzte und Zahnärzte.