Am 26. Mai 2018 machte sich unser sechsköpfiges Team, bestehend aus Veronika Mayr (Neumarkt St. Veit), Christian Weber (Heilbronn), Stefan Scheinert (Wilhelmshafen) und uns, den LUXXtern 2017 Elena Kieserling, Stefanie Wagner und Therese Nordmann (Bonn), mit der Organisation Planet Action – helfende Hände e.V. auf den Weg in das zweiwöchige Abenteuer „zahnärztliche Nothilfe auf Madagaskar“.
Ursprünglich sollte unser Einsatz im November 2017 stattfinden. Da zu diesem Zeitpunkt auf der afrikanischen Insel allerdings eine große Pestwelle ausgebrochen war, wurde der Einsatz verschoben. Pest? Ja, Sie haben richtig gelesen! Diese Tatsache beschreibt gut, was wir vorgefunden haben: mittelalterliche Zustände gepaart mit Autos und Internet.
Hilfe in der Hauptstadt
Die erste Woche verbrachten wir in der Hauptstadt Antananarivo. Dort kamen wir bei der Einrichtung Soltec unter, gegründet vom deutsch-madagassischen Verein Esslingen. Hier wird 220 mittellosen Jugendlichen eine handwerkliche Ausbildung ermöglicht. Die Leute dort waren also schon vertraut mit den Zahnärzten aus Deutschland, die sich regelmäßig zweimal im Jahr für Behandlungen dort einquartieren. Ein Behandlungsraum mit drei Liegen stand uns zur Verfügung. Selbst eine kleine Küchenzeile war vorhanden, allerdings mussten wir feststellen, dass das Wasser unbrauchbar (weil dreckig) und der Gasherd für unsere Sterilisation nicht angeschlossen war. Wir mussten improvisieren, aber damit hatten wir gerechnet. Das Wasser organisierten wir aus unserem Appartement bei Soltec, und dort kochten wir auch die Instrumente ab. Wir liefen also häufig zwischen Behandlungsraum und Appartement hin und her.
Voller Tatendrang starteten wir unseren ersten Behandlungstag. Zunächst war klar, dass wir die Jugendlichen von Soltec behandelten. Anschließend kamen die Leute von außerhalb dran. Es sprach sich herum, dass Zahnärzte aus Deutschland da waren. Jeden Morgen stieg die Zahl der Patienten, die sich schon früh vor unserer „Praxis“ einfanden. Wir verteilten Zahnbürsten und Zahnpasta und erklärten, wie sie damit ihre Zähne putzen. Für uns eine Selbstverständlichkeit. Aber dort standen uns erwachsene Menschen gegenüber, die noch nie in ihrem Leben eine Zahnbürste in der Hand gehalten haben! Es fehlte an Aufklärung: Die wenigsten kannten den Zusammenhang zwischen Zahnpflege und zerstörten Zähnen. Weil sich dort kaum jemand einen Besuch beim Zahnarzt leisten kann (allein der Termin kostet drei Euro, bei einem täglichen Einkommen von rund einem Euro), harren die Leute wochen- und monatelang mit Zahnschmerzen aus, legen sich zur Schmerzlinderung Tabak in die kaputten Zähne und hoffen, dass sich ihr Problem eines Tages von selbst löst. Unsere Hauptaufgabe bestand also in den Extraktionen zerstörter Zähne. Aufgrund der schlechten Mundhygiene und der nicht vorhandenen Absaugung war dies eine sehr blutige und riechende Angelegenheit. Aber die Madagassen waren nicht zimperlich.
Dank einer mobilen Einheit konnten wir Füllungen legen. Da die meisten Zähne dort durch Fissurenkaries kaputtgehen, war es umso befriedigender für uns, wenn wir dem zuvorkommen konnten. Große Zettel, auf denen die wichtigsten Begriffe auf Madagassi übersetzt waren, halfen bei der Kommunikation. Zusätzlich erklärte ein Übersetzer bei der Erstuntersuchung, welcher Eingriff geplant ist. So teilten wir uns ab Tag zwei auf: Ein Zahnarzt untersuchte die Patienten und gab einen Behandlungsbedarf an, die anderen drei arbeiteten diesen an den Behandlungsliegen ab. So konnten wir unsere Patientenzahl von anfänglich 50 pro Tag auf 80 steigern. An die widrigen Behandlungsumstände und die Gerüche gewöhnt, packten wir Freitagabend unsere Sachen, denn für die zweite Woche sollte es in das 400 Kilometer entfernte Ambalavao gehen.
Stolze Zahnputzschüler
Sonntagnachmittag kamen wir nach zweitägiger Fahrt in der von Ordensschwestern geführten Schule St. Joseph de Cluny an. Wir waren die ersten Zahnärzte, die von Planet Action dorthin geschickt wurden. Die Schwestern waren wenig auf unseren Besuch vorbereitet. Lediglich unsere zwei Schlafzimmer im Gästetrakt waren vorbereitet. Der alte Küchenraum der Schule sollte unsere Praxis sein, und die Küchenzeile diente als Ablagefläche. Die Aspirantinnen brachten drei Holztische mit Kopfkissen als Behandlungsliegen und einen Gasherd zur Instrumentenaufbereitung vorbei. Am Abend wurde uns allerdings ein Problem bewusst: Im gesamten Gästetrakt inklusive unserer „Praxis“ gab es kein fließendes Wasser. Somit mussten wir unser Wasser aus Tanks schöpfen, die zuvor mit Brunnenwasser aus der Stadt gefüllt worden waren. An diese Umstände mussten wir uns erst mal gewöhnen.
Knapp 1.000 Schüler besuchen die Schule. Immer zwei von uns gingen durch die Schulklassen und verteilten Zahnbürsten und Zahnpasta und unterwiesen die Kinder in Mundhygiene. Die Kinder freuten sich sehr über unseren Besuch und waren stolz auf ihre Zahnbürsten. Einige von ihnen wussten tatsächlich schon, wie und warum man die Zähne putzt! Wir konnten in der Woche fast alle Schüler durchsehen. Auch die Nonnen kamen zur Behandlung. Da viele Eltern auch gern zu uns gekommen wären, was in der einen Woche Aufenthalt nicht möglich war, steht dem Besuch eines weiteren Zahnärzteteams nichts im Weg. Nach der Woche wurden wir sehr herzlich und mit einem Fußballspiel, einem leckeren Essen, einer Tanzaufführung der Aspirantinnen und Gastgeschenken der Nonnen verabschiedet.
Fazit: lachende und weinende Augen
Die Zeit auf Madagaskar war sehr intensiv. Wir hatten viel Spaß in unserem Team und mit den Einheimischen, die zusammen mit uns gearbeitet haben. Uns bleiben viele schöne Erinnerungen: Die Natur ist unbeschreiblich schön, die madagassische Lebensart ist sehr entspannt, und die Männer singen herzzerreißend Karaoke. Aber auch Unschönes bleibt uns im Kopf. Die Menschen verbrennen Müll oder lassen ihn am Straßenrand liegen. Es gibt kein Abwasser, und viele Menschen laufen ohne Schuhe. Die hygienischen Bedingungen sind mittelalterlich.
Auch wenn unsere zweiwöchentliche Arbeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein war, weil es den Menschen einfach an Aufklärung und Möglichkeiten fehlt, war es eine unglaublich tolle Erfahrung. Die Dankbarkeit von den Madagassen war immer zu spüren.
Nun sitzen wir wieder in Deutschland an unseren komfortablen Behandlungsstühlen mit Absaugung und Röntgen und ärgern uns über Telematik, Datenschutz und Co. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, wie gut wir es hier haben! Und eins haben wir ganz sicher aus Madagaskar mitgenommen: Mora Mora (frei übersetzt: Bleib entspannt)!
Dr. Therese Nordmann, Bonn