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Psychische Erkrankungen und Mundgesundheit

Zwischen 25 und 38 Prozent der Menschen in Deutschland leiden unter einer psychischen bzw. psychosomatischen Störung. Die Corona-Pandemie trägt ihren Teil dazu bei. Die Bundeszahnärztekammer geht in ihrem Positionspapier vom März 2021 davon aus, dass dies im zahnärztlichen Bereich 20 Prozent der Patienten betrifft.[1] Ein Überblick über stomatognathe Folgen und Auswirkungen der Medikation, die Zahnärzte bei der Behandlung berücksichtigen sollten.

Zahnärzte können psychische Störungen aufgrund der regelmäßigen Vorsorge und orale Auswirkungen oftmals als erste erkennen und entsprechende Maßnahmen empfehlen.[2] Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen und solchen des Mund-Kiefer-Gesichts-Bereichs zeigen sich z. B. bei Depression und Schmerz, Stress und Hyperaktivität der Kaumuskulatur, Essstörungen und Zahnschmelzschäden, Gesichtsschmerz, Zungen- und Schleimhautbrennen sowie dem Burning-Mouth-Syndrom.[3]

Krankheitsbilder

  • Somatoforme Schmerzstörungen
  • Chronischer Gesichtsschmerz
  • Somato-psychische Erkrankungen
  • Zahnbehandlungsangst[4]
  • Depressionen
  • Essstörungen[5]
  • Psychogene Zahnersatzunverträglichkeit
  • Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD)
  • Stressinduzierte Parodontitis[6]
  • Bruxismus

Einfluss von Antidepressiva

Etwa 20 Prozent der Patienten mit psychischen Komorbiditäten nehmen Antidepressiva ein.[7]  Sie haben mitunter direkte orale Symptome zur Folge.

Die gängigsten Antidepressiva sind:

  1. Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI):
    Am häufigsten werden SSRI eingesetzt, unter anderem bei leichten bis mittelschweren Depressionen, Zwangs- oder Panikstörungen sowie Phobien.[8] Bruxismus wird mit Antidepressiva wie SSRI in Verbindung gebracht.[9,10]
  2. Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSNRI):
    Sie haben wie TZA einen analgetischen Effekt.[8,7] Trotz dieser Eigenschaften könnten SSRI und SSNRI einen Risikofaktor für parodontale Gewebe darstellen, sprich, tiefere Taschen, mehr Taschen und mehr Attachmentverlust.[11,12,13]
  3. Trizyklische Antidepressiva (TZA):
    TZA kommen in der Regel wie MAO-Inhibitoren als zweite Wahl zum Einsatz, wenn die SSRI oder SNRI-Therapie z. B. von Depressionen nicht erfolgreich war. Es kann zu Symptomen wie Blutdruckabfall, Mundtrockenheit, Sedierung und Verstopfung kommen.[8]
  4. Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAOI):
    Sie kommen bei Depressionen oder auch Morbus Parkinson zum Einsatz. Überdosierungen führen zu sympathischen Symptomen wie Pupillenweitstellung, Bluthochdruck, Tachykardie, Hyperthermie, Krampfanfällen bis hin zum Koma und Exitus letalis.[7,8]
  5. Johanniskraut:
    Bei leichten oder mittelschweren depressiven Episoden als pflanzliche, nebenwirkungsärmere Alternative.[8]

Wechselwirkungen von Antidepressiva mit zahnärztlichen Arzneimitteln

Antidepressiva können mit verschiedenen Medikamenten der zahnärztlichen Anwendung interagieren. So können insbesondere adrenalinhaltige Lokalanästhetika zu gefährlichen Blutdrucksteigerungen führen. Der Einsatz sollte demnach generell beschränkt werden, bei SSRI und atypischen Antidepressiva scheint es keine Interaktionen zu geben. Eine langsame und gegebenenfalls fraktionierte Injektion kann helfen, die systemische Aufnahme zu reduzieren. Da sie die Adrenalinwirkung potenzieren und verlängern, ist die blutdruck- und pulssteigernde Wirkung bei TZA und SSNRI möglich.[14] Die Einnahme von TZA wird daher in Fachinformationen als Kontraindikation für einen Epinephrinzusatz aufgeführt.[15]

Die Gegenanzeige bezüglich Adrenalin gilt auch für MAO-Inhibitoren und zwar bis zu 14 Tage nach Beendigung der Einnahme.[16] Sie interagieren zwar pharmakologisch nicht direkt mit adrenergen Agonisten, jedoch scheint die endogene Adrenalinausschüttung bei diesen Patienten, z. B. durch Angst oder Schmerzen, eine entscheidende Rolle zu spielen. Auch könnten adrenerge Rezeptoren gegenüber Sympathomimetika sensibilisiert sein. Bei Patienten mit dieser Medikation empfiehlt sich ein kardiovaskuläres Monitoring[15] und der Einsatz adrenalinfreier Präparate, z. B. Ultracain® D ohne Adrenalin.[16,17]

Bei den Antibiotika Gatifloxacin und Moxifloxacin können in Zusammenhang mit TZA gefährliche Herzrhythmusstörungen (Torsades des Pointes) ausgelöst werden. Die zentraldämpfende Wirkung der TZA kann durch Hypnotika, Sedativa (auch Lachgas und Benzodiazepine), Tranquilizer, Diphenhydramin und Doxylamin verstärkt werden.[7,17] Zahnärzte sollten sich des Risikos von Interaktionen, dem lebensbedrohlichen Serotonin-Syndrom durch serotonerge Substanzen sowie hämodynamischen Veränderungen und Blutungen bewusst sein.[18]

SSRI und gegebenenfalls SSNRI erhöhen womöglich die Blutungsneigung durch die Reduktion von Thrombozyten. Bei gemeinsamer Einnahme mit Thrombozytenaggregationshemmern oder Warfarin ist eine Potenzierung zu erwarten; vor allem aber bei nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAID), bei denen Studien eine Erhöhung des Risikos um das 4,25-Fache bis 12,2-Fache fanden.[19,20]