TU Braunschweig: Temperaturentwicklung mit Zuckmücken rekonstruieren
Wie war der Sommer in Norddeutschland vor 300.000 Jahren? Wärmer oder kälter? Wie stark haben sich die Temperaturen verändert? Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig Sedimente des ehemaligen Tagebaus Schöningen untersucht, der weltweit zu einem der wichtigsten Orte der Archäologie zählt. Im Fokus ihrer Forschung standen dabei Fossilien eines winzigen Insekts: der Zuckmücke.
Klima der Vergangenheit besser verstehen
Vor dem Hintergrund des Klimawandels wird ein Blick auf die Warmzeitperioden des Mittelpleistozäns (781.000 bis 127.000 Jahre vor heute) immer wichtiger, um das Klima der Vergangenheit besser zu verstehen. Diese Zeiträume können als Vergleichsgrundlage für die natürlichen Klimaschwankungen der gegenwärtigen nacheiszeitlichen Warmzeit (Holozän) dienen und so wertvolle Erkenntnisse über die heutigen, vom Menschen verursachte Klimaerwärmung liefern. Damit können Wissenschaftler auch genauere Klimamodelle entwickeln.
Der ehemalige Tagebau in Schöningen ist bekannt für die Entdeckung der ältesten, hölzernen Jagdwaffen der Welt. Die zirka 300.000 Jahre alten Wurfspeere konnten sich in den kalkreichen Sedimenten eines ehemaligen Sees gut erhalten und bezeugen heute die außergewöhnlichen Fähigkeiten des „Homo heidelbergensis“, einem Vorfahren des Neandertalers, der zu dieser Zeit an den Ufern des Sees Jagd auf Waldelefanten und Wildpferde machte.
Forschung an Bioindikatoren
Neben den Speeren waren in den Sedimentschichten auch Mückenlarven konserviert, die Informationen zu vergangenen Umweltparameter mit einschlossen. Ein aktuelles Forschungsprojekt in Schöningen, unter Federführung des Instituts für Geosysteme und Bioindikation (IGeo) der TU Braunschweig, befasst sich mit sogenannten Bioindikatoren.
Die aquatischen Mikroorganismen können als „Frühwarnsysteme“ dienen, indem sie schnell und empfindlich auf Veränderungen ihres Lebensraums reagieren. Die fossilen Überreste von Zuckmückenlarven (Chironomiden), Muschelkrebsen (Ostrakoden) und Kieselalgen (Diatomeen), die in den Sedimenten erhalten geblieben sind, können somit Aufschluss über zum Beispiel Temperaturveränderungen und, Eutrophierung, also eine Nährstoffanreicherung im See oder Seespiegelschwankungen, geben.
„Zuckmückenlarven eignen sich besonders, um die vergangene Temperaturentwicklung zu rekonstruieren, da ihr Stoffwechsel, ihre Ernährung und ihre Fortpflanzung maßgeblich durch die Wassertemperatur gesteuert werden“, erklärt Doktorandin Sonja Rigterink. „Dabei vergleicht man mit statistischen Methoden die fossile Zuckmückenartenvergesellschaftung mit einem modernen Kalibrierungsdatensatz, der die Temperaturoptima der Zuckmückenarten, also den Temperaturbereich, in dem sich die jeweilige Art am wohlsten fühlt, enthält.“
Sommer waren zwischen 16 und 22 Grad warm
Die Analyse der fossilen Zuckmücken aus den Sedimenten der sogenannten Reinsdorf-Sequenz aus Schöningen ergab jetzt, dass die Sommer zwischen 16 und 22 Grad warm waren. Dabei lagen während kalter Steppe-Phasen die Temperaturen höher als in gemäßigteren Wald-Phasen aufgrund einer ausgeprägteren Kontinentalität mit heißen Sommern und kalten Wintern. Im Vergleich zu heute waren die Temperaturen vor 300.000 Jahren damit im Schnitt zwischen 0,5 Grad niedriger und bis zu 2 Grad höher.
Die aktuellen Forschungsergebnisse wurden kürzlich in zwei Artikeln in der Zeitschrift „Boreas“ veröffentlicht, die sich der interdisziplinären Quartärforschung widmet.
Originalpublikation: Sonja Rigterink, Kim J. Krahn, Bartosz Kotrys, Brigitte Urban, Oliver Heiri, Falko Turner, André Pannes, Antje Schwalb: Summer temperatures from the Middle Pleistocene site Schöningen 13 II, northern Germany, determined from subfossil chironomid assemblages. n: Boreas, 15. April 2024.