Endodontie – gehasst oder geliebt? Die mehr als 1.300 Teilnehmer/innen des 59. Zahnärztekongresses der Kammer Schleswig Holsteins scheinen diesem Teilbereich der Zahnheilkunde positiv gegenüberzustehen. Zu meinen Studienzeiten noch war Endodontie ein Stiefkind. Ich hatte bis zum Examen keine einzige Wurzelkanalbehandlung praktisch durchgeführt.
Heute ist das anders, ist doch die Endodontie zum Beispiel in etlichen Curricula der Implantologen (!) fester Bestandteil der Ausbildung. Und auch bei unseren Patienten und in den Medien scheint angesichts der Periimplantitis ein Umdenken stattzufinden. Lassen Sie mich als Praktiker über einige Vorträge berichten.
DVT & Co
Müssen wir unbedingt das DVT in der allgemeinen Praxis haben? Dr. Kai Voss aus Kirchbarkau hat sich mit dem Thema bildgebende Verfahren seit vielen Jahren intensiv beschäftigt. Als Mitglied der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein mit dem Spezialgebiet Röntgen referierte zu Indikation, Durchführung und Dokumentation. Regresse im PA Bereich haben extreme Ausmaße angenommen, wenn keine aktuellen Röntgenaufnahmen (innerhalb der vergangenen sechs Monate vor Behandlungsbeginn) vorliegen.
Das OPG war früher ein Exot. Heute ist eine Praxis „ohne“ kaum mehr vorstellbar. Aber muss es denn das DVT für die Endodontie sein? Zitat aus der sK2-Leitlinie: „Kleinvolumige und hochauflösende DVT kann in einzelnen Fällen indiziert sein, wenn zweidimensionale Röntgenaufnahmen bei Vorliegen klinischer Befunde und Symptome keine entsprechenden röntgenologischen Befunde darstellen.“ Forensik? Es gibt laut Voss keine forensische Indikation für eine Strahlenuntersuchung.
Not am Zahn
Wenn wir in der Praxis etwas nicht mögen, dann ist es ganz sicher der endodontische Notfall. Prof. Dr. Edgar Schäfer aus Münster gab uns etwas an die Hand, damit wir angesichts einer solchen Herausforderung unsere sonstigen Terminpatienten nicht zu lange warten lassen müssen. Das Protokoll einer solchen Behandlung:
1. Kausaltherapie (die Ursachen des Schmerzes behandeln).
2. Die Behandlung darf die Prognose des Zahns nicht verschlechtern.
3. Idealerweise sollte die Behandlung des Zahns im Notfall den ersten Schritt der regulären Behandlung darstellen.
4. Aufklärung und Dokumentation in der Krankenakte, dass eine Weiterbehandlung erforderlich ist.
Seine Einstellung zu CA(OH)2-Fertigpräparaten ist eine ganz besondere. Aber er begründet auch, warum die 500-Gramm-Packung Kalziumhydroxid pro Analyse (8 Euro für’s Kilo), angemischt mit profanem Leitungswasser („die paar Bakterien in unserem deutschen Leitungswasser“) eine gute Wahl ist. Eine Alternative zu Ledermix-Paste sei Dontisolon. Redundant eigentlich, aber wichtig die Bemerkung, dass Paraformaldehyd zur „Ruhigstellung“ ein absolutes No Go ist. Da gibt es andere Möglichkeiten. Auch wenn die Antibiose nicht indiziert ist.
Vitalität
Warum sollte ein Zahn möglichst vital erhalten werden? Eine gute Endo, dafür waren wir schließlich auf dem Kongress, gibt doch Ruhe! Nun, was würden Sie für sich wollen? „Die beste Wurzelkanalfüllung ist die vitale Pulpa.“ So Prof. Dr. Gabriel Krastl aus Würzburg. Das moderne Herangehen an die Möglichkeiten, Zähne am Leben zu lassen, gehört nämlich zur Endodontie. Von mir intuitiv und bereits seit längerer Zeit erfolgreich angewandt ist die Mikropulpotomie als Alternative zur direkten Überkappung.
Das abgeschlossene Wurzelwachstum ist eine Voraussetzung. Wir erweitern mit einem wassergekühlten Diamanten (nicht mit dem Rosenbohrer!) in der Turbine die Pulpeneröffung etwas. Dann legen wir, wenn die Blutung steht, Kalziumhydroxid, gefolgt von einem adhäsiven Verschluss. Wenn es stärker blutet, geht das nicht mehr, dann ist die Pulpa infiziert und wir müssen eventuell zur totalen Pulpotomie oder gar zur VitE greifen. Wie wir das bei bleibenden Zähnen kassentechnisch (GKV) abrechnen sollen, weiß ich nicht. Mit Einschränkungen funktioniert die Mikropulpotomie übrigens auch bei kariösen Läsionen und exkavierend bedingten Pulpen-Eröffnungen.
Gemessen
Sie kennen die Scout-Feile? Mit ihr (#10) wird der Beginn des Kanals ertastet. Prof. Dr. Michael Hülsmann aus Göttingen setzt dann auf die Endometrie. Warum trotz der Vorteile der strahlenlosen Messmethode Endometrie überhaupt noch röntgen? Zum Beispiel zur Analyse der Kanalkrümmung, zur Identifikation zusätzlicher Kanäle und einiges mehr.
Auf jeden Fall aber haben Sie, wenn die elektrometrische Länge 3 Millimeter vor dem (röntgenologisch sichtbaren) Apex endet, einen Messfehler. Soweit kranial liegt die apikale Konstriktion nicht. Die taktile Längenbestimmung („Ich spür’s in meinen Fingern …“) ist ungeeignet. Und wie gehen Sie im infizierten Kanal vor? Hülsmann sagt, dass die Arbeitslänge im Idealfall nicht kürzer sein sollte als das am weitesten apikal gelegene Level der Bakterien. Ich frage mich nur, wie ich das rausfinden kann.
Das war ein kurzer Abriss ein einiger Vorträge. Weiter geht es mit Teil 2 in der kommenden Woche
Dr. med. dent. Hans H. Sellmann, Marl
(wird fortgesetzt)