In Zuundelger, das sich in unmittelbarer Nähe zur mongolischen Hauptstadt Ulan-Bator befindet, steht – anders als in vielen anderen Einsatzorten – vermehrt Aufklärungsarbeit auf dem Programm. Zwar stehen auch hier die Patienten Schlange, aber die lokalen Behörden haben vor allem Eltern angesprochen, damit die ihre Kinder vorbeischicken. Und so stehen Silke Zech und Petra Schüle bei strömendem Regen unter einem kleinen Pavillon vor dem Klinikgebäude, um mit rund einem Dutzend Kinder Zähneputzen zu üben. Zuerst blicken die Kleinen etwas skeptisch auf die beiden Fremden in den weißen Shirts, die von Quadranten und Kauflächen erzählen. Erst als Zech und Schüle ein Zahnputzlied schmettern, tauen die kleinen Patienten auf und klatschen begeistert mit.
„Zahnbürste tanz in meinem Mund, halt die Zähne mir gesund. Hin und her, hin und her, Zähneputzen ist nicht schwer.“
Die Mongolen lieben Lieder. Das Eis ist gebrochen. Jetzt hören die Kinder sogar noch brav zu, als Schüle ihnen Ernährungstipps gibt und den Unterschied zwischen einem nahrhaften Apfel und einer verführerisch süßen Dose Limonade zu erklären versucht. Ob sich die Kinder auch an das Gelernte halten, werden erst die nächsten Einsätze zeigen. „Mir ist es wichtig, nicht nur Geld zu spenden, sondern selbst vor Ort zu helfen“, sagt Schüle und verschwindet mit vom Regen nassem Rücken in die trockenen Behandlungsräume der Krankenstation.
Die Arbeit von Zech und Schüle müssten eigentlich die Schulen oder lokalen Behörden übernehmen, doch dafür fehlt das Geld. Bei den Ausgaben für den Gesundheitssektor kommt das Land im weltweiten Vergleich nicht über einen Platz im hinteren Viertel hinaus. Der für Zahngesundheit aufgewendete Anteil dieses Budgets liegt mit 0,5 Prozent weit unter dem globalen Durchschnitt.
Auch deshalb ist die Mongolian Dental Association (MDA) bemüht, ein dichteres Netz von Zahnärzten im ganzen Land aufzubauen. Nur: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nutzten viele mongolische Ärzte die Chance, nur noch lukrative Behandlungen für Privatpatienten anzubieten. Und das Geld sitzt in der Hauptstadt – und nicht auf dem Land. Deshalb appelliert MDA-Präsident Bazar Amarsaikhan an das soziale Gewissen der Privatärzte: „Demokratie bedeutet nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung.“
Ob seine Mahnung Erfolg hat, wird sich zeigen. Bis auf Weiteres ist das Land auf die Hilfe aus Deutschland dringend angewiesen.
Wo man auch hinkommt, in jedem Einsatzort das gleiche Bild: Die deutschen Helfer arbeiten tagsüber im Akkord, unterstützt von einem Übersetzer und einem einheimischen Zahnarzt. In teilweise winzigen Zimmern richten sie ihre provisorischen Praxisräume ein. Immer dabei: die zusammenklappbaren Behandlungsstühle und die koffergroßen mobilen Dentaleinheiten mit Bohrer, Sauger und einer Polymerisationslampe zum Aushärten von Kompositfüllungen. Die aus Deutschland mitgebrachten Behandlungsmaterialien und Instrumente, meist Spenden großer Dentalfirmen, türmen sich auf Fensterbänken und Tischen. Spiegel, Sonden, Hebel und Zangen werden zwei bis drei Mal am Tag in den Sterilisatoren der Krankenstationen gesäubert, danach notdürftig mit Tüchern abgedeckt. Wenn das Werkzeug aufgrund des hohen Patientenaufkommens trotzdem ausgeht, muss auch mal eine Wischdesinfektion reichen.
Und schon diese in einer deutschen Praxis unvorstellbare Methode ist eine deutliche Verbesserung zu den hygienischen Standards in mongolischen Arztpraxen in jüngerer Vergangenheit. Mangelnde Desinfektion und Mehrfachnutzung von Bestecken und Spritzen – nicht zuletzt bei Zahnärzten – führten zu einer der weltweit höchsten Hepatitisraten. Jeder fünfte Mongole trägt mindestens einen der Virenstämme B und C im Körper – und nur ein Drittel der Infizierten weiß davon. Auch wenn die Zahl der Neuansteckungen zurückgeht: Leberkrebs und andere Folgen einer unbehandelten Hepatitisinfektion sind die zweithäufigste Todesursache im Land.
Die deutschen Helfer gehen pragmatisch mit dem – verglichen zur Heimat – entbehrungsreichen Einsatzalltag um. Für sie steht die geleistete Hilfe im Vordergrund. Und die wird ihnen auf besondere Weise gedankt: Ihre Patienten sprechen Einladungen zu traditionellen Feierlichkeiten aus, schlachten ihnen zu Ehren eine Ziege oder laden auf eine Schale Ayrag, vergorene Stutenmilch, in ihre Jurte. Marine Le Guérer und ihr Team aus Ugtaal haben sogar gegrilltes Murmeltier probiert. „Pures Fett, aber das lieben die Mongolen“, urteilt die Kölnerin. Etwaige kulinarische Bedenken spülen die obligatorischen Wodka- Runden fort. Für die meisten Teilnehmer steht fest, dass es nicht ihr letzter Einsatz gewesen ist. Auf der Einsatzliste von „Zahnärzte ohne Grenzen“ warten noch andere, nicht weniger exotische Ziele auf freiwillige Helfer: die Kapverden, Namibia, Sambia oder Togo.
Malte Werner, Hamburg
Malte Werner ist freier Journalist und lebt in Hamburg. Zusammen mit Fotograf Daniel van Moll verbrachte er rund eine Woche bei den deutschen Zahnärzten in der Mongolei. Die Recherche wurde vom „Global Health Journalism Grant Programme for Germany“ des European Journalism Center finanziert.
Helfer gesucht
Neben ihrem jährlichen Großeinsatz in der Mongolei ist die Stiftung „Zahnärzte ohne Grenzen“ noch in vielen weiteren Ländern aktiv. Freiwillige Helfer werden für die monatlich sowie vierteljährlich stattfindenden Hilfseinsätze in Namibia, Togo, Sambia oder auf den Kapverden gesucht.
Weitere Informationen gibt es hier: www.dwlf.org