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Deutschlands einziges Dentalhistorisches Museum schließt

Das Museum präsentiert mit einer sehr eindrucksvollen Ausstellung die Geschichte der Dentalbranche.

Als ich am 17. Oktober 2018 die „Leipziger Volkszeitung“ aufschlug, stand sofort fest, das Dentalhistorische Museum in Zschadraß bei Colditz zu besuchen, bevor es zum Jahresende schließt. In einem Park der Diakonie gelegen auf halbem Weg zwischen Leipzig und Dresden, residiert das Museum im ehemaligen „Klubhaus“, einem herrlichen, aber dringend ertüchtigungsbedürftigen Backsteingebäude.

Zahntechnikermeister Andreas Haesler und seine Ehefrau haben über viele Jahre Geld, Zeit und Engagement in ein Projekt gesteckt, das an widrigen Umständen zu scheitern droht. Reparaturarbeiten und Personal sind nicht mehr zu finanzieren. Jährlich 8.000 Euro an Nebenkosten muss der Verein allein für die untere Etage des Museums berappen. Bei 2.000 Besuchern und 2.850 Euro über Beiträge der Fördermitglieder pro Jahr ein ungleiches Verhältnis, findet der Museumsinitiator, auf dessen 1.420 „Bettelbriefe“ für die provisorische Dachreparatur nicht einmal das Porto hereinkam.  

Dabei präsentiert das Museum mit einer sehr eindrucksvollen Ausstellung die Geschichte der Zahnärzte, Zahntechniker, Zahnhygiene sowie dentalen Kunst- und Kulturgeschichte. Das Archiv „Quadriga Dentaria“ beherbergt die weltweit umfangreichste Sammlung und bewahrt dieses Erbe für wissenschaftliche Aufarbeitungen sowie öffentliche Nutzung. Zusammengetragen von Zahntechnikermeister Haesler, gehören Werke aus 170 Bibliotheken aus dem In- und Ausland ebenfalls dazu wie die Bestände des Dentalhistorischen Instituts in Wien. Kleinere Sammlungen gibt es zwar an einigen Universitäten, von den acht rein zahnmedizinischen Kollektionen umfasst jedoch keine mehr als 250 Quadratmeter. Haesler präsentiert Exponate auf 300 Quadratmetern, was nur ein Bruchteil der mehr als eine halbe Million Exponate ist, sechsmal mehr als in Utrecht. Während anderswo im Schnitt etwa 5 Prozent des Wissens rund um den Zahn lagerten, seien es allein in Zschadraß 80 Prozent.  Selbst das National Museum of Dentistry in Baltimore und das British Dental Museum kommen an den Umfang der sächsischen Sammlung nicht heran.

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Das Dentalhistorische Museum schließt: Die Kosten sind einfach zu hoch.

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Dentale Seifenkunst

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Ein Kleinod der Zahnheilkunde: Im Dentalhistorischen Museum sind Einheiten „von damals“ zu sehen.

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Das Handwerkszeug des Dentisten  

Überfällig: Eine sichere Museumsperspektive auf breiter Basis

Die Verantwortung für die Schließung nur der Stadt Colditz und dem Freistaat Sachsen anzulasten, ist nicht zielführend, auch wenn deren Handlungsbereitschaft deshalb einen Anstoß verträgt, weil die Politik ständig auf die „Stärkung des ländlichen Raums“ hinweist. Aber was ist mit der „Dentalfamilie“? Es gibt rund 71.000 erwerbstätige Zahnärzte, 200 Dentalfirmen, 9.828 Dentallabore in Deutschland (von denen viele auch soziale und andere Projekte fördern), den freien Verband und ander Verbände und Organisationen, außerdem 17 kassenzahnärztliche Vereinigungen, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK).

Aber: Außer der  Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt  und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayern haben nur die Dr. Walser Dental GmbH, die Bimler Labor KG Wiesbaden und eine Privatperson eine Fördermitgliedschaft unterzeichnet. Der Abstecher der in Leipzig tagenden BZÄK in das Museum brachte außer einem Dankesschreiben – nichts!
Wenn nur ein Teil der Zahnärzte einen kleinen Betrag spendet, alle kassenzahnärztlichen Vereinigungen Fördermitglied werden, Dentalfirmen und Labore als Sponsoren helfen oder bei der IDS 2019, Fortbildungen und in Publikationen auf das Museum und seine Probleme hingewiesen wird, dann wird nicht nur dieses Kleinod der Zahnheilkunde gerettet. Man trägt auch dazu bei, dass in einem strukturschwachen, aber landschaftlich reizvollen Raum Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden. Dass Menschen und Museen nicht nur in einer Großstadt eine Perspektive haben, sondern gerade in der ländlichen Mitte Deutschlands stolz sein können, an einer Sache beteiligt zu sein, die es hierzulande und weltweit sonst nirgendwo gibt.


Kein Museum ist auch keine Lösung

Ich war immer stolz darauf, Zahnmedizin zu betreiben und dies angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte stets mit Respekt und Demut vor den Leistungen unserer oft pekuniär und gesellschaftlich miserabel honorierten Vorgänger. Dieser Respekt gebietet, sich darüber aufzuregen, wie verantwortungslos mit dem engagiert bewahrten Erbe eines ganzen Berufszweigs umgegangen wird. Angefangen bei uns Zahnärzten, unseren Verbänden, der Dentalbranche bis hin zu den Universitäten, denen die Kulturtechnik der anerkennenden Rückschau abhandengekommen ist.
Denn: Kulturelles Erbe hilft lernen. Es vermittelt Wissen aus vergangener Zeit, sei es Technologie, Materialien, Design, Handwerk, Wirtschaft oder soziale Verhältnisse. Es lehrt uns Wertschätzung ebenso unserer Vorgänger wie der damaligen Lebens- und Arbeitsumstände. Leichtfertigkeit im Umgang damit führt zu Vergessen oder der Fehleinschätzung der eigenen Fertigkeiten. Dentalinstrumente, Einheiten, Gegenstände etc. dokumentieren keineswegs die Praxis der Zahnheilkunde in einer Art nostalgisch verstaubten Gruselkabinetts oder sind folkloristische Altlast. Sie stehen auch für handwerkliche Fertigkeiten im sozialen Kontext der Medizin- und Kulturgeschichte. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass der Berufsstand erst seit kurzer Zeit akademische Anerkennung gefunden hat, weshalb seinerzeitige Leistungen nachträglich nicht hoch genug einzuschätzen sind. Das Museum ist ein wertvoller Wissensschatz für uns und unsere nächsten Generationen.


Text und Kommentar: Carlheinz Swaczyna, Krefeld