Die Reise geht ins mittelsächsische Zschadraß. Malerisch auf einem Hügel gelegen, eine knappe Autostunde von Leipzig entfernt, erhebt sich der kleine Ort mit rund 3.000 Einwohnern über das Sächsische Burgen- und Heideland. Hier, auf dem ehemaligen Gelände der zweitältesten Psychiatrie Deutschlands, hat sich Andreas Haesler sein eigenes kleines Imperium aufgebaut und ist ständig dabei, es zu vergrößern und mit Leben zu füllen. Doch wie kommt man dazu, gerade hier, abseits jeglicher Touristenpfade die Historie der Zahnmedizin zu präsentieren?
"Man muss schon ein bisschen bekloppt sein, um die Keller und Dachböden der Republik nach zahnheilkundlichen Schätzen zu durchforsten. Doch man glaubt gar nicht, was dort alles für Schätze lagern. Die Geschichte der Zahnheilkunde hat soviel Wunderbares hervorgebracht, wovon die Zahnmedizin heute noch profitieren kann. Und einen muss es ja geben, der das entdeckt und der Öffentlichkeit zugänglich macht."
Zahnheilkunde zum Anfassen
Das ist die Mission Haeslers. Sein Ziel ist es, die Geschichte der Zahnmedizin zum Anfassen und zum Erleben zu machen. Jeder, nicht nur Zahnmediziner und Zahntechniker, soll sehen, wie das in der Vergangenheit erworbene Wissen die Dentalwelt noch heute beeinflusst. Mit dem Bewahren zahnmedizinischer Errungenschaften vergangener Jahrhunderte hat sich der gelernte Zahntechniker einer Lebensaufgabe gewidmet, an der manch anderer schon längst gescheitert wäre.
Dabei weiß er nur zu gut, was es heißt zu stürzen. Unzählige Rückschläge hat er als Gründer des einzigen und weltweit größten Dental Historischen Museums hinnehmen müssen. Doch grenzenloser Optimismus, viel Leidenschaft und der stete Glaube daran, der Menschheit mit dem Museum einen Dienst zu erweisen, lassen ihn immer wieder aufstehen und weitermachen. Ein persönliches Kennenlernen sowie ein Besuch der Ausstellungsräume sind daher unausweichlich. Aber weshalb gerade an einem Ort mitten im Nirgendwo?
"Ehrlich gesagt: Würde man mir in Berliner, Hamburger, Londoner oder New Yorker Museen den Platz zur Verfügung stellen, den ich für die ganzen Ausstellungsstücke benötige, wäre ich von heute auf morgen weg." Doch gerade an Zschadraß hängt sein Herz, hier fühlt sich Haesler unabhängig und frei.
Sammlung mehrerer Generationen
Mehr als eine halbe Million Exponate aus der Historie der Zahnmedizin beherbergt das Museum. Dazu gehören neben gut erhaltenen und kompletten Behandlungseinheiten eine Vielzahl an privaten Bibliotheken, die Haesler im Verlauf der vergangenen fünfzehn Jahre aus 500 bis 600 privaten Haushalten über sieben Generationen hinweg geborgen hat.
"Kein Museum dieser Welt könnte mir diesen Platz bieten", erzählt er. Und tatsächlich verteilt sich die komplette Sammlung auf mehrere historische Backsteinhäuser, die aber zum größten Teil für Besucher nicht geöffnet sind. In den einzelnen, unbeheizten und teils abbruchreifen Gebäuden stapeln sich Bananenkisten über Bananenkisten mit zum Teil überwältigendem Inhalt.
Voller Stolz zeigt Haesler sämtliche gebundene Ausgaben des amerikanischen "Dental Medicine Compass" - einer Zeitung, die erstmals 1863 erschienen ist. Neben den Bananenkisten befinden sich in den unfertigen Häusern auch Vitrinen mit Lexika und Enzyklopädien aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die in der heutigen Zahnmedizin wahrscheinlich längst vergessen sind.
Längst in Vergessenheit geraten ist auch die Psychiatrie, die hier einst untergebracht war. Allerdings ist die Aura der vergangenen Zeiten immer noch deutlich spürbar. Auch die Kälte fährt einem bis in die Knochen. Und tatsächlich ist es draußen im Schnee wärmer als drinnen. Das ist auch der Grund, warum Haesler kontinuierlich auf die Anzeige schaut, die die Luftfeuchtigkeit misst: "Bei 60 Prozent Luftfeuchtigkeit geht es den Büchern gut. Das können sie ab."
Kaum zu glauben, aber wahr. Die alten Schinken können wirklich eine ganze Menge vertragen. Anders geht es da schon dem ahnungslosen Besucher. Dem ist kalt, und er sieht, wie sein Atem in dem alten Gebäude gefriert. Sehr herzlich willkommen ist daher der Vorschlag, eine Mittagspause einzulegen – eine weitere Gelegenheit also nachzubohren, weshalb er sich diesem Mammutprojekt stellt, die komplette Geschichte der Zahnmedizin in Zschadraß zu konzentrieren.
Wissen für nachfolgende Generationen bewahren
"Bei mir ist es nicht nur reines Interesse an der Geschichte, und ich sehe mich auch nicht als Jäger und Sammler. Dann bräuchte ich so etwas hier gar nicht aufzubauen. Mir geht es darum, Geschichte lebendig zu machen und nachfolgende Generationen dahin zu bringen, sich mit den Errungenschaften der Zahnmedizin zu beschäftigen.“
Einsatz für den Nachwuchs – soweit so gut. Doch wer ist es nun eigentlich wirklich, der sich eine Gegend verirrt, in der sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen? „Ganz klar, zu mir kommen die Leute nicht in Scharen, das muss ich zugeben. Manchmal biete ich Führungen für Schulklassen an, und vereinzelt verirren sich auch Touristen ins Museum.“ Insgesamt sind es rund 1.600 Besucher pro Jahr. Doch der überwiegende Teil sind laut Aussage Haeslers Professoren und Studenten der Zahnmedizin aus allen Teilen der Welt.
"Ich hatte mal Besuch von einem Professor aus Moskau, der beim Anblick der Sammlung sprichwörtlich in die Knie gegangen ist und mir angeboten hat, einen Großteil davon für mehrere Wochen in Moskau auszustellen." Also fuhr Haesler mit mehreren Lkw nach Russland und residierte während der Zeit des Aufenthaltes nach eigenen Angaben „wie ein König“. Das schönste Hotel, die besten Restaurants und ein Rundum-Service, der an einen Staatsbesuch erinnert. „In der Ausstellungszeit habe ich auch Vorträge an der Uni gehalten“, so Haesler.
Ausflug in die Filmbranche
Das Abenteuer Moskau ist allerdings nur eines von vielen. Weitere persönliche Highlights sind Ausflüge in die Filmbranche. Bei vielen Regisseuren ist er mit seinem Fachwissen zur Historie der Zahnmedizin ein gefragter Mann. So hat er schon einige Male die Möglichkeit gehabt, als Requisiteur Filmsets auszustatten.
Beispiel hierfür ist die Verfilmung des Thomas-Mann-Klassikers "Die Buddenbrocks". "Ich wurde angefragt, ob ich ein typisches Behandlungszimmer aus der Zeit für einige Filmszenen aufbauen könnte. Ich habe natürlich sofort zugesagt." Ein weiterer großer Meilenstein in Haeslers Filmkarriere ist die Begegnung mit dem Regisseur vom "Fluch der Karibik".
„Man ist durch Google auf mich gekommen, und ich wurde gefragt, ob ich nicht Lust hätte, für einen Horrorfilm Zahnarztstuhl und Instrumente so zu präparieren, dass dort Leute gefoltert werden können. Nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte, habe ich den Auftrag angenommen.“ Für mehrere Tage ist er also mit Teilen seiner Ausstellung nach Amerika gefahren und hat dort am Filmset mitgewirkt. „Eine Wahnsinnserfahrung“, erinnert er sich. Doch obwohl er in den ganzen vergangenen Jahren viel von der Welt gesehen hat, ist er bodenständig geblieben.
Der gebürtige Thüringer ist bereits vor dem Mauerfall in die BRD ausgereist. Nach der Wende kehrte er jedoch nach Sachsen in die Nähe von Zschadraß zurück, wo er bis heute mit seiner Familie lebt. Umso trauriger ist es zu erfahren, dass das Geld zur Finanzierung seines gesamten Vorhabens vorne und hinten nicht reicht. "Die Heizung im Haupthaus stelle ich in den Wintermonaten nur sehr selten an. Es ist sonst einfach zu teuer." Für die Unterhaltung der anderen Gebäude ist schon gar kein Geld vorhanden. "Ich kann es mir einfach nicht leisten."
Schranktüren mit St. Apollonia von 1690
Nach dem Mittagessen und den unglaublichen Anekdoten aus seinem Leben erzählt er auf dem Weg zurück zum Museum, dass dahinter eigentlich ein gemeinnütziger Verein steht. Dennoch bürdet sich Andreas Haesler die Hauptlast fast alleine auf. "Im Sommer helfen mir noch meine Frau und von Zeit zu Zeit mein Sohn." Immerhin hat er es geschafft, finanzielle Unterstützung der Landeszahnärztekammer von Sachsen-Anhalt sowie der aus Brandenburg zu bekommen. Und das verleiht ihm Kraft und Mut und seinen grenzenlosen Optimismus und Humor. Und gut gelaunt hat er übrigens auch den Autor dieses Beitrags gegrüßt.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat das auch etwas mit seiner neuesten Errungenschaft zu tun. Aus seinem Auto zieht er zwei sehr gut erhaltene Schranktüren mit einem Motiv der St. Apollonia – der Schutzheiligen der Zahnheilkunde. "Die habe ich gestern von einem Dachboden im Allgäu abgestaubt. Die Türen sowie das Motiv darauf stammen aus dem Jahr 1690."
Nachbau des ersten Behandlungszimmers
Ein anderes großes Highlight des Museums hat auch bereits mehr als dreihundert Jahre auf dem Buckel. Haesler hat es geschafft, das älteste Behandlungszimmer der Welt von 1750 originalgetreu nachzubauen. Und hier spürt man seine Leidenschaft für den Erhalt der zahnmedizinischen Historie erneut. Denn originalgetreu heißt bei Andreas Haesler wirklich originalgetreu. Egal ob Behandlungsstuhl, originalgetreues Fenster oder Holzboden – das Zimmer ist echt und scheint wie in die heutige Zeit transportiert worden zu sein.
"Es war schon ein Haufen Arbeit, da ich mir alles anlesen musste. Ich habe ja keine Ahnung, wie das erste Behandlungszimmer der Welt ausgesehen hat." Und doch hat er es geschafft. Am Ende ist er allerdings noch lange nicht. Seiner Meinung nach lagern auch weiterhin noch viel zu viele historische Schätze der Zahnmedizin in den Privathaushalten dieser Welt. Ob er es jemals schafft, sein Imperium mit dem Museum und den dazugehörigen Häusern fertigzustellen, bleibt ungewiss. Selbst er kann sich auf diese Frage keine Antwort geben.
Alles, was Andreas Haesler möchte, ist, dass die gegenwärtige und künftige Generation von Wissenschaftlern auf den Errungenschaften der vergangenen Jahrhunderte aufbauen kann.
Weitere Informationen zum Dental Historischen Museum findet man im Internet unter dentalmuesum.eu. Geöffnet ist es von Mittwoch bis Sonntag in der Zeit von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Außerhalb der normalen Öffnungszeiten sind auch Besuche nach Vereinbarung möglich.
In Absprache können Besucher auch Kaffee und Kuchen bekommen.
Telefon: 034381/189506
Mobil: 0174/3261161
E-Mail: dentalmuseum@gmx.de