Was fällt einem beim Begriff Silvester ein? Abgesehen von Sekt oder Bleigießen vermutlich das Feuerwerk, das gerne von Privatpersonen mit eigenen Raketen und Böllern ergänzt wird. Doch diese Tradition birgt gleich mehrere gesundheitliche Gefahren.
Zu Beginn des Jahres fällt das Atmen schwerer
Durch die Feuerwerkskörper steigt die Feinstaubbelastung in Deutschland zu Neujahr auf Werte, die weit über den gesundheitlich vertretbaren Höchstwerten liegen. Laut Umweltbundesamt schießen die Deutschen in jeder Silvesternacht 5.000 Tonnen Feinstaub mit Feuerwerkskörpern in die Luft. Die Feinstaubmenge, die durch Raketen und Böller ausgestoßen wird, macht fast einen Fünftel der jährlichen Gesamtmenge durch den Straßenverkehr aus.
Laut Gesetz darf der Tagesmittelwert für Feinstaub (PM10) an jeder Messstelle höchstens 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft betragen. Am letzten Neujahrsmorgen wurde dieser Grenzwert an 32 Stationen um ein Vielfaches überschritten. Besonders hoch waren die Werte laut Umweltbundesamt in Leipzig (1860 µg/m³), München und Nürnberg (>1000 µg/m³). „Das sind extrem hohe Werte, die die allermeisten Städte an keinem anderen Tag im Jahr erreichen“, sagt Professor Dr. Holger Schulz vom Helmholtz Zentrum München für Gesundheit und Umwelt. Wie schnell die Feinstaubbelastung nach dem Silvesterfeuerwerk abklingt, hängt vor allem von den Wetterverhältnissen ab. Bei windstillem Wetter kann die verschmutzte Luft mehrere Tage über der Region „liegen bleiben“ und sich in den unteren Schichten der Atmosphäre anreichern.
Kaum Schutzmöglichkeiten
Kleine Kinder, Senioren und Menschen mit chronischen Erkrankungen leiden an den ersten Tagen im neuen Jahr besonders häufig unter Husten und Atembeschwerden und müssen vermehrt mit akuten Problemen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Schutzmöglichkeiten gibt es für diese Patientengruppen kaum, da die gängigen Atemschutzmasken die gefährlichen Partikel nur unzureichend herausfiltern können. „Halten Sie sich bevorzugt in dünn besiedelten Gebieten jenseits der großen Städte auf, wo die Luft sauberer bleibt“, rät Schulz. Wie sehr Feinstaub und andere Luftschadstoffe die Gesundheit belasten, ist durch viele internationale Studien gut belegt. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) hat den aktuellen Kenntnisstand dazu kürzlich in einem Positionspapier veröffentlicht.
Die DGP ruft dazu auf, den Gebrauch von Feuerwerkskörpern zu reduzieren oder ganz darauf zu verzichten. Privates Feuerwerk stark einzuschränken oder sogar ganz darauf zu verzichten, ist aus vielen Gründen eine gute Idee, findet DGP-Präsident Professor Dr. med. Klaus Rabe. „Raketen und Böller verursachen eine starke Schadstoffbelastung, der sich niemand entziehen kann. Zumindest aus Rücksichtnahme auf weniger gesunde Mitmenschen, sollte man den privaten Gebrauch überdenken.“ Jedes Jahr werden außerdem Tausende Menschen durch Raketen schwer verletzt – meist handelt es sich bei den Betroffenen um unbeteiligte Zuschauer, die selbst gar keine Rakete gezündet hatten. Viele von ihnen behalten bleibende Schäden an Augen, Ohren oder Händen.
Augen zu und durch?
Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) führte aus diesem Grund für die Zeit um Silvester 2016/2017 erstmals eine Erhebung an deutschen Augenkliniken durch. In diesem Zeitraum haben Feuerwerkskörper zu mehr als 800 Augenverletzungen geführt. Die Hälfte der Betroffenen hatte den verantwortlichen Knallkörper gar nicht selbst gezündet, sondern war nur Passant oder Zuschauer. Die DOG ruft deshalb erneut zu einem verantwortungsbewussteren Umgang mit Raketen und Böllern auf.
Fast 40 Prozent der Betroffenen, die sich um den Jahreswechsel in einer Augenklinik vorgestellt haben waren Kinder oder Jugendliche im Alter von ein bis 17 Jahren und rund 60 Prozent der Patienten 25 Jahre oder jünger. Drei Viertel der Patienten kamen mit vergleichsweise „leichten“ Verletzungen an Augenlid, Hornhaut oder Bindehaut davon, die ambulant behandelt werden konnten. Jeder vierte Patient erlitt jedoch eine schwere Verletzung, die stationär oder sogar in einer Notoperation behandelt werden musste. Dazu zählen Prellungen oder Risse im Augapfel, oft kombiniert mit Lid- und Oberflächenverletzungen. Jeder zehnte muss mit einer Folgeoperation, Sehminderung oder dauerhaften Erblindung rechnen.
Verkaufsverbot für Feuerwerk?
„Der hohe Anteil an unbeteiligten Passanten und Minderjährigen unter den Verletzten ist alarmierend“, sagt Dr. med. Ameli Gabel-Pfisterer, Augenärztin am Ernst von Bergmann-Klinikum in Potsdam. Einige Unfallopfer berichteten sogar mit den Feuerwerks- oder Knallkörpern beworfen worden zu sein. „Unsere Ergebnisse insbesondere zur Anzahl verletzter Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener sind mit denen internationaler Studien vergleichbar“, so Professor Dr. med. Hansjürgen Agostini von der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg. Die Zahlen lieferten weitere Argumente für ein Verkaufsverbot für Feuerwerkskörper an Privatpersonen, wie die Fachgesellschaft International Council of Ophthalmology (ICO) es im Jahr 2016 erstmals gefordert hat.
„Wer die Silvesternacht unbeschadet überstehen möchte, überlässt die Knallerei den Händen ausgebildeter Profis“, rät Gabel-Pfisterer. Wer gar nicht auf das Spektakel verzichten möchte, sollte zu seiner eigenen Sicherheit eine Schutzbrille tragen. Kinder und alkoholisierte Erwachsene sollten gar nicht mit Sprengstoff hantieren.
Sauber ins neue Jahr starten
Zu guter Letzt gibt es noch einen weiteren Punkt, der gegen privates Feuerwerk spricht: die riesigen Müllberge, die aufwändig und teuer entsorgt werden müssen. „Weniger Raketen und Böller oder gar der Verzicht auf das Feuerwerk hilft vielen Menschen und unserer Umwelt. Den Betrag einer wohltätigen Organisation zu spenden wäre ein zusätzlicher positiver Schritt ins neue Jahr“, schließt Schulz.