Erfahrungsbericht: Dr. Klaus-Dieter Bastendorf erzählt die außergewöhnliche Geschichte von Guisela aus Peru, die dank vieler Helfer ihr Lachen zurückgewann.
Unsere Geschichte mit Guisela begann im Februar 2011. Mein Freund Uwe Meyer, ein Manager im Dentalbereich im Ruhestand, und seine Frau wollten wissen, ob das Geld, das sie jahrelang über das Kinderhilfswerk „Plan International Deutschland“ für ihr Patentenkind Diana nach Peru schickten, sinnvoll eingesetzt wurde.
Zufall 1: Anlässlich des Besuchs von Diana besuchte das Ehepaar Meyer auch die Schule in Pucyura, die ebenfalls von „Plan“ unterstützt wird. Uwe Meyer fiel in der letzten Schulreihe ein Mädchen auf, das nicht am Unterricht teilnahm und ständig die Hände vor den Mund hielt. Dieses Mädchen war Guisela, 16 Jahre alt und vier Jahre älter als ihre Klassenkameraden, aber viel kleiner und schmächtiger. Familie Meyer war kurz schockiert als Guisela die Hände aus dem Gesicht nahm. Sie hatte ein extrem ausgeprägtes „Vogelgesicht“ und konnte den Mund nicht öffnen. Wie sich später herausstellte, bestand eine vollständige Ankylose der Kiefergelenke.
Für Familie Meyer war klar, dass Guisela geholfen werden musste. Sie machten sich auf den beschwerlichen Weg zum Hof der Eltern. Dieser liegt vier Fußstunden von der Schule entfernt im Hochgebirge, auf etwa 4.000 Metern Höhe. Guiselas Eltern erklärten, dass ihre Tochter im Alter von vier Jahren gestürzt war. Die Erste-Hilfe-Station stillte die Blutung. Eine ausführliche Untersuchung und eine darauf basierende Behandlung fand nicht statt. Von da an hat Guisela ihren Mund nie mehr geöffnet. Die Entwicklung von Guisela war deutlich verzögert. Sie wurde von ihren Eltern in den Bergen „versteckt“ und erst mit vierjähriger Verspätung eingeschult. Als Guisela in die Schule kam, trat genau das ein, was ihre Mutter befürchtete: Sie wurde von ihren Mitschülern ständig aufgrund ihres Aussehens gehänselt. Ab da verbarg sie ihr Gesicht immer hinter ihren Händen.
Zufall 2: Für Familie Meyer war klar, dass Guisela geholfen werden musste. Aber wer und wie? Hilfe kam vom Südwestrundfunk (SWR1). Der Radiosender sendete ein Interview mit Prof. Konrad Wangerin, wobei dieser über sein ehrenamtliches Engagement für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Kinder, eine neue Distraktionstherapie und den Förderverein für „Faziale Fehlbildungen“ (www.fffev.org) berichtete.
Zufall 3: Mein Freund Uwe Meyer rief daraufhin sofort bei mir mit der Bitte an, für ihn den Kontakt zu Prof. Wangerin herzustellen. Prof. Wangerin und ich hatten am folgenden Wochenende eine gemeinsame Fortbildungsveranstaltung in Wernigerode. Er wurde vorinformiert, und der Kontakt zur Familie Meyer wurde umgehend hergestellt.
Zufall 4: Um sich ein genaues Bild von der Situation von Guisela zu machen, waren die Fotos und die Aussagen von Familie Meyer nicht ausreichend. Prof. K. Wangerin bot an, anlässlich einer bereits geplanten Vortragsreise nach Südamerika seinen Flugplan zu ändern, um Guisela selbst zu sehen. Uwe Meyer, Prof. Wangerin, ein Dolmetscher, Guisela und ihre Mutter trafen sich zur Untersuchung in einem Hotel in Cuzco. Obwohl die Familie auf der einen Seite von der Möglichkeit der Hilfe begeistert war, bestand auch eine große Skepsis. Diese bezog sich vor allem auf die Gerüchte, die es um illegalen Organhandel in Peru mit Europa gab. Die Familie stimmte der Behandlung schließlich zu. Die Hilfsaktion konnte geplant werden (Budget, Visa, Flugtickets, Unterbringung für drei Monate in Baden-Württemberg).
Am 24. Januar 2012 holte Familie Meyer Guisela und ihre Mutter Lorenza in Peru ab und brachte sie in eine ihr völlig unbekannte Welt. Die erste Operation wurde am 30. Januar 2012 von Prof. Konrad Wangerin in der Filderklinik nahe Stuttgart durchgeführt. Nach einer mehr als fünfstündigen Operation war die Funktion der Kiefergelenke wiederhergestellt. Guisela konnte nach 12 Jahren ihren Mund wieder öffnen, die Zunge herausstrecken und normal essen (bisher hatte Guisela nur ein acht Millimeter horizontales Fenster zwischen Ober-und Unterkiefer, über dieses „Loch“ stopfte sie sich Nahrung in den Mund).
Das Lachen kehrt zurück
Am 14. März 2012verfolgt die zweite, wieder mehr als fünfstündige Operation, um das ästhetische und funktionelle Problem des extremen „Vogelgesichtes“ zu beheben. Nach zwölf Jahren kehrte Guiselas Lachen zurück!
Guisela und Lorenza lebten drei Monate bei uns in Eislingen mit Familienanschluss. Die Hilfsbereitschaft in Eislingen und Umgebung war riesengroß, sodass die Zeit wie im Flug verging. Guisela und auch Lorenza genossen das geborgene Leben in unserer Familie.
Vor der Abreise gab es nochmals eine große Abschieds- und Dankesfeier. Alle Helfer von Familie Meyer über Prof. K. Wangerin und Familie, die Gastfamilie, Logopäde, Psychologe, peruanische Dolmetscher und die Spender feierten mit Guisela, die gar nicht mehr verschüchtert war, sondern sich mit strahlendem Lachen bei allen bedankte.
Im April flogen Guisela und Lorenza nach Peru zurück. Guisela genoss sofort große Aufmerksamkeit nicht nur bei ihren Mitschülerinnen, sondern auch bei der männlichen Jugend. Mein Freund Uwe Meyer und ich haben Guisela und ihre Familie im November 2017 besucht. Wir konnten uns nochmals überzeugen, dass unsere Hilfe das Leben nicht nur von Guisela, sondern der ganzen Familie positiv verändert hat. Guisela lebt mit ihrem Mann und ihrem Kind glücklich im eigenen bescheidenen Heim.