Der Kommentar von Dr. med. dent. Jan H. Koch
Ein Abbau des parodontalen Knochenniveaus erhöht langfristig das Risiko für vorzeitigen Tod. Eine groß angelegte Studie ergab für jeden Knochenverlust um 20 Prozent eine Risikozunahme um 14 Prozent – unabhängig von Alter, Ausbildung oder Ernährung [1]. Das ist die schlechte Nachricht. Die noch schlechtere ist, dass der mit Diabetes und Übergewicht geteilte erhöhte Entzündungsstatus bereits im Alter von 20 Jahren einsetzt [2].
Luigi Nibali vom Londoner King’s College betonte auf der Europerio Mitte Mai in Wien, dass Parodontitis „nicht der Killer“ sei – sondern zum Beispiel Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen. Wegen gemeinsamer ätiologischer und Risikofaktoren hat die World Health Organization (WHO) diese mit Karies und Parodontitis zusammengefasst [3].
Kurzatmige Parodontologen
Jetzt die gute Nachricht: Mit wirksamer Parodontitis-Therapie lässt sich zum Beispiel bei Menschen mit gut eingestelltem Diabetes der Entzündungszustand nachweislich verbessern [4]. Bereits präventiv wirken den Lebensstil betreffende Maßnahmen nicht nur gegen die bekannten systemischen Erkrankungen, sondern auch gegen Parodontitis. Das gilt, bei motivierten Patienten, zum Beispiel für eine fachgerechte Ernährungsberatung.
Problematisch könnte hier sein, dass nach Beobachtungen des Autors auf der Europerio viele Heilberufler selbst übergewichtig sind – und mutmaßlich an metabolischen oder kardiovaskulären Erkrankungen leiden. Wegen der ärztlichen Vorbildfunktion könnte dies den Erfolg eines Risikofaktoren-Managements gefährden [5]
Beim Thema professionelle Prophylaxe einschließlich Risikofaktoren-Management stoßen Praxisteams nicht selten an ihre Grenzen. So verhindert eine erhöhte systemische Entzündungslast im Körper bei vielen Parodontitis-Patienten die Ausheilung – trotz guter Mundhygiene und fachgerechter Therapie.
Entzündung versus Heilung
Häufig erfolgen dann invasive oder medikamentöse Maßnahmen, mit großer psychosozialer und finanzieller Belastung für Patienten. Und außerdem mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten durch Arbeitsunfähigkeit und mit Parodontitis, oder anderen oralen Erkrankungen, assoziierte Pathologien [6]. Parallel zu den Bemühungen auf individueller Ebene sollte daher eine gesunde Lebensweise nach dem Konzept „Health in all Policies“ auch gesellschaftlich-kulturell gefördert werden [7]
Sektorengrenzen hinderlich
„Think outside the box“ ist ein gern verwendetes Motto – mit dem ein über das Vertraute hinaus erweiterter Blickwinkel gemeint ist. In Bezug auf Heilberufe bedeutet es, die Trennung in ausbildungs- und versorgungsbezogene „Sektoren“ zu überdenken. Dieser Status quo mag auch Vorteile bringen – und die „Zahn“-Medizin ist zum Beispiel ein über lange Zeit lieb gewonnenes Biotop. Wer aber will, dass alles so bleibt, wie es ist (also noch recht gut), muss möglicherweise alles verändern.*
Oder drastischer und auch vertrauter formuliert: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, zum Beispiel mit Honorarverlusten aufgrund fachlicher Geringschätzung für die orale Medizin. Dem lässt sich mit etwas Mut und dem notwendigen Engagement wirksam vorbeugen.
* sinngemäß nach dem italienischen Schrift- steller Giuseppe Tomasi di Lampedusa
Literatur
[1] Bond JC, McDonough R, Alshihayb TS, et al. Periodontitis is associated with an increased
hazard of mortality in a longitudinal cohort study over 50 years. J Clin Periodontol. 2023;50(1):71–9. Epub 20221004. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/36089889
[2] Alves-Costa S, Rodrigues FA, Ferraro AA, et al. Caries Is the Hub of a Complex Network of
Chronic Diseases across the Life Decades. J Dent Res. 2025:220345251317487. Epub 20250427. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/40289443
[3] World Health Organization. Bangkok Declaration. No Health Without Oral Health. https://www.who.int/publications/m/item/bangkok-declaration---no-health-without-oral-
health accessed 20250526. 2024.
[4] Oliveira VB, Costa FWG, Haas AN, et al. Effect of subgingival periodontal therapy on glycaemic control in type 2 diabetes patients: Meta-analysis and meta-regression of 6-month follow-up
randomized clinical trials. J Clin Periodontol. 2023;50(8):1123–37. Epub 20230531. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/37257917
[5] Kerremans J, Schoenmakers B. Influence of GPs’ unhealthy lifestyle on patients’ adherence to lifestyle recommendations: a cross-sectional study in Flanders, Belgium. BJGP Open. 2025:BJGPO.2024.0221. https://bjgpopen.org/content/bjgpoa/early/2025/03/22/BJGPO.2024.0221.full.pdf
[6] European Federation of Periodontology. Time to put your money where your mouth is.
Adressing inequalities in oral health. The Economist; 2024. https://www.efp.org/fileadmin/uploads/efp/Documents/Other_publications/EIxEFP_-_Oral_Health_white_paper_FINAL.pdf
[7] World Health Organization. Promoting Health in All Policies and intersectoral action capacities. https://www.who.int/activities/promoting-health-in-all-policies-and-intersectoral-action-
capacities accessed 20250526. 2025.