„Wieso kommst du erst jetzt? Deine Arbeitszeit beginnt um 8.00 Uhr.“ Lenas Chefin ist unzufrieden. Sie versteht nicht, warum Lena immer wieder unpünktlich erscheint und manches Mal mit seltsamen Begründungen früher gehen möchte.
Wenn Lena erst um 8.30 Uhr in die Praxis kommt, weil sie den Auftrag hat, für den Empfang frische Blumen mitzubringen, dann hat sie nicht das Gefühl, dass sie zu spät dran ist.
Schließlich war sie im Auftrag der Praxis unterwegs. Die Arbeitszeit beginnt um 8.00 Uhr, der Umweg von der U-Bahn über den Blumenladen in die Praxis nimmt etwa sieben Minuten in Anspruch. Und Blumen müssen schließlich liebevoll ausgesucht und bezahlt werden. Das kann schon mal eine Viertelstunde in Anspruch nehmen.
Lena wirft die Blumen verpackt auf den Tresen und läuft zu ihrem Spind. So hat sie sich die Begrüßung nicht vorgestellt. Jetzt ist sie schon dazu bereit, Sonderaufgaben zu übernehmen, und immer noch ist die Chefin nicht zufrieden. Lena hat einen freundlichen Dank und ein Lob für die gute Auswahl, passend zu den Praxisfarben, erwartet. Deswegen trifft sie die Verstimmung der Chefin besonders hart.
Die junge Generation toleriert nicht mehr wie ihre Vorgängergeneration Y eine Vermischung von Arbeit und Leben. Sie ist nach Dienstschluss nur ungern erreichbar und weiß sehr gerne genau, was von ihr erwartet wird. Sie beantwortet abends beim Fernsehschauen keine Emails und nimmt keine Arbeit mit nach Hause. Blumenkaufen gehört zur Arbeit und wird deswegen selbstverständlich in der Arbeitszeit erledigt und nicht nebenbei kurz vor Beginn.
Rund drei Millionen Generation-Z-ler sind bereits auf dem Arbeitsmarkt angekommen, schätzt der saarländische Professor für Betriebswirtschaftslehre, Christian Scholz. Die nach 1995 geborenen jungen Menschen haben andere Ansprüche. Z-ler wollen geregelte Arbeitszeiten, verlässliche Strukturen und klare Aufgaben, die sie übernehmen und erfolgreich abschließen können. Sie unterschreiben am liebsten unbefristete Verträge, um immer selbst die Wahl zu haben, und freuen sich über eindeutige Regeln und klare Absprachen.
Z-ler beanspruchen genauso viel Autonomie wie die Vorgängergeneration – aber auf solider Basis. Sie bevorzugen Arbeitszeitkontingente, die sie eigenverantwortlich nutzen können. Ist in der Praxis viel los und sie werden gebraucht, bleiben sie gerne länger. Dafür gehen sie in den Sommerferien früher, wenn die Praxis nahezu leer ist und der Badesee lockt. Wird dieser Generation Mitbestimmung angeboten, verhält sie sich verbindlich und zuverlässig. Aufgaben werden verantwortlich übernommen und nach bestem Gewissen abgearbeitet. Nur mit der Loyalität hapert es noch stärker als bei früheren Generationen. Solange sie sich wohlfühlen, eine interessante Aufgabe haben und erfolgreich sind, ist alles in Ordnung. Sobald sie sich aber ungerecht behandelt fühlen, sind sie ganz schnell weg. Auch Lena überlegt gerade, ob sie sich heute Abend im Internet nicht einmal nach anderen Praxen in der Umgebung umsehen sollte. Schließlich hat sie sich aus ihrer Sicht völlig korrekt verhalten, und wenn das ihrer Chefin nicht passt und sie das nicht wertschätzt, dann kann sie genauso gut für jemand anderen arbeiten, der den Wert ihrer Arbeit erkennt und entsprechend anerkennt.
Wenn Lenas Chefin nun heute Nachmittag Lena um einen weiteren Gefallen bittet, der Lena über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus beansprucht, schickt sie vermutlich noch am selben Abend Bewerbungen an andere Praxen ab. Denn die junge Generation setzt fast genauso stark auf Fairness, wie Generation Y der Autonomie verhaftet ist.
Die gute Nachricht: Für junge Menschen brauchen Arbeitgeber kein Anti-Stress-Seminar anzubieten. Fokussiert auf Lebensqualität und Gesundheit sorgt diese Generation dafür, dass sie nicht unter Stress gerät. Die Z-ler konnten die Y-er dabei beobachten, wie sie sich mühten, ihr Arbeitsleben gegenüber der Freizeit abzugrenzen. Wenn man nicht genau aufpasst, geht das einfach ineinander über. Was Work-Life-Blending genannt wird, verführt dazu, sehr viel mehr zu arbeiten, als man eigentlich möchte. Denn es gibt keinen wirklichen Endpunkt am Tag. Nach dem Aufwachen gehört der erste Blick meist dem Smartphone, genau wie der letzte vor dem Einschlafen am Abend. Und manche stellen nicht einmal für die Nacht den Ton aus.
Wenn Lenas Chefin Lena nun für faul hält und dazu noch für wenig loyal, dann ist das ein Missverständnis, das für beide Seiten unschöne Konsequenzen nach sich zieht. Junge Menschen zu führen bedeutet, offen und flexibel zu bleiben und vor allem das eigene Wertesystem nicht als Maßstab zu betrachten. Aufeinander einzugehen und das andere Empfinden wahrzunehmen ist die Grundvoraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.
Symptomatisch für den Wertewandel ist beispielsweise auch die Smartphonenutzung. Generation Z kennt quasi kein bewusstes Leben ohne Handy. Gruppenchats und Freundschaftspflege über Handy sind genauso selbstverständlich wie der Schlafplatz neben dem eigenen Kopfkissen. Ein Handyverbot am Arbeitsplatz ist bei der Mobile-only-Generation kaum vorstellbar. Auch wenn das viele Arbeitgeber in ihre Verträge schreiben und mit Rauswurf drohen: Das Smartphone in der Gesäßtasche ist dieser Generation allemal einen Rauswurf wert.
Das Handy ermöglicht spontanes Reagieren und fördert die Anpassungsfähigkeit an eine sich permanent ändernde Welt. Eine Verabredung fünf Minuten vorher per WhatsApp abzusagen ist für Generation X, also die heute Ende 30- bis Ende 50-Jährigen, ein Grund, die Freundschaft in Frage zu stellen. Für Z ist es Alltag. Insofern sind die jungen Menschen auf die hochkomplexe moderne Welt ziemlich gut vorbereitet. Sie passen sich schnell an, legen keinen Wert auf Planung und bleiben flexibel. Kompetenzen, die vor 1980 Geborene sich erst mühsam erarbeiten müssen, manchmal sogar für sich ablehnen und stattdessen langfristige Planung einfordern – ein klassischer Konfliktpunkt.
Dabei kann diese Kompetenz im Praxisalltag gut genutzt werden. Denn Z-lern fällt immer etwas ein, wie die Zeit gut ausgefüllt werden kann, wenn Patienten absagen. Genauso haben sie Ideen, Stoßzeiten mit vielen Schmerzpatienten gut zu gestalten. Unter Stress kommen sie nicht so leicht wie die „Alten“. Planung ist nicht ihr Ding, aber den Umgang mit Spontaneität und ungeplanten Ereignissen haben sie quasi mit der Muttermilch aufgenommen. Die enorme Auffassungsgabe und die geübte Fähigkeit zum Task Switching ist ein echter Wettbewerbsvorteil, wenn der Praxisinhaber in der Lage ist, diese Kompetenzen zu würdigen und ihnen einen Raum zu geben. Pocht er auf langanhaltende Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer bei unattraktiven Arbeiten oder nutzt er nur seinen Wertekanon als Maßstab für sein Urteil, verliert er möglicherweise interessante Persönlichkeiten. Schade für die Chefin von Lena.
(wird fortgesetzt)