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Ein pathologisches Bild mit unterschiedlichen Ursachen

Zahnarztinstrumente

Gingivahyperplasie stellt den behandelnden Zahnarzt vor erhebliche Schwierigkeiten, da sich die Krankheitsbilder überlagern, kombiniert auftreten und ineinander übergehen können.

Vergrößerungen und Wucherungen des gingivalen Gewebes sind ein häufig auftretendes Phänomen. Die Veränderungen können subjektiv schmerzfrei und symptomarm bis akut entzündlich imponieren. Die differenzialdiagnostische Abklärung der primären Ursache ist die Basis einer erfolgreichen Therapie.

Destruktive Prozesse verstärken sich selbst

Allerdings stellt genau dies den behandelnden Zahnarzt vor erhebliche Schwierigkeiten, da sich die Krankheitsbilder überlagern, kombiniert auftreten und ineinander übergehen können. Für den betroffenen Patienten sind die Zahnfleischwucherungen unangenehm, da sie neben der kosmetischen Beeinträchtigung auch zu Störungen der Mastikation und Behinderung einer effizienten Mundhygiene führen.

Klinisch findet man eine Verdickung des marginalen Gingivarandes und eine Schwellung der Interdentalpapillen. Es entstehen Pseudo-Zahnfleischtaschen mit oft mehreren Millimetern Sondierungstiefe. Da diese, ähnlich wie echte parodontal verursachte Taschen, einen Plaque-Retentionsraum bieten, können sich hier potenziell pathogene Bakterien, vor allem aus der Gruppe der Anaerobier, ansiedeln und vermehren. Damit wird auch im Fall einer primär nicht plaquebedingten Hyperplasie dem ursprünglichen Krankheitsbild eine sekundär entzündliche Komponente aufgepfropft. Dies führt wiederum zu einer Verstärkung und Verselbständigung der destruktiven Prozesse.

Prinzipiell unterscheidet man mehrere Ursachenkomplexe:

  • lokale Faktoren
  • die große Gruppe der medikamentös bedingten Hyperplasien
  • systemisch getriggerte Gingivawucherungen
  • seltene syndromassoziierte oder idiopathische Läsionen

Lokal verursachte reaktive Gingivahyperplasie

Sie ist häufig und tritt in erster Linie bei plaqueinduzierten gingivalen und parodontalen Erkrankungen im Rahmen des mikrobiell verursachten Entzündungsprozesses auf und bewirkt eine vermehrte Freisetzung hydrolytischer Enzyme. Die Folgen sind überschießende Immunantwort und Aktivitätsänderungen der Leukozyten.

Weitere hyperplasiebegünstigende lokale Faktoren sind Zahnersatz und Mundatmung, da sie zu Reizungen, Plaqueretention und Veränderungen in der Zusammensetzung der oralen Mikroflora führen. Da hier die entzündliche Komponente eindeutig im Vordergrund steht, kann neben einer Korrektur der mechanischen Reizauslöser eine antiinfektiöse Therapie zu einer signifikanten Verbesserung der Situation führen. Hierzu gehören regelmäßige professionelle Mundhygiene, Verbesserung der subjektiven Zahnpflege und bei Bedarf kurzfristige Anwendung lokaler Plaquehemmer wie Chlorhexidin.

Nickel und Zahnzement als Ursachen

In schweren Fällen verbessern auch gezielt auf das verursachende Keimspektrum abgestimmte Antibiotikatherapien das Krankheitsbild. Hier haben Studien gezeigt, dass besonders der Einsatz von Makroliden wie Azithromycin oder Roxithromycin positiven Einfluss auf einen Rückgang der Schwellung haben.

Ein spezielles Problem sind die durch Materialunverträglichkeit, besonders durch Nickel oder Inhaltsstoffe von Zahnzement, verursachten Hyperplasien. Hier sind eine Entfernung der verursachenden Materialien und ein Ersatz durch nicht-allergene Werkstoffe notwendig. In jedem Fall sollte eine chirurgische Exzision zur Reduktion des gingivalen Gewebes nur in Extremfällen und bei Unwirksamkeit lokaler Maßnahmen zum Einsatz kommen.

Medikamentös bedingte Gingivahyperplasie

In diesem Zusammenhang bekannte Wirkstoffgruppen sind Ciklosporin-A als Immunsuppressivum, Antikonvulsiva, besonders Diphenylhydantoin, aber auch Valproinat und Phenobarbital. Daneben sind die häufig zur Therapie der Hypertonie und kardiovaskulärer Erkrankungen eingesetzten Kalziumkanalblocker wie Nifedipin, Amlodipin, Verapamil und Diltiazem nicht selten Auslöser einer Hyperplasie.

Durch überschießende Fibroblasten- und Kollagenneubildung kommt es zu ausgeprägten Gingivaüberwucherungen im Bereich der Molaren und im Tuber. Der verursachende Mechanismus wurde für Ciklosporin gut untersucht. Der Wirkstoff induziert erhöhte Konzentrationen von Wachstumsfaktor TGF-beta, Plasminogen Aktivator, Fibronektin und Matrixproteinen, welche die Anreicherung extrazellulärer Matrix fördern. Zusätzlich wird die Freisetzung von Kollagenasen gehemmt (Conde et al., Volmer et al.), und die mitotische Tätigkeit ist im hyperplastischen Gewebe erhöht. Die anderen Wirkstoffe scheinen ähnliche Veränderungen zu bewirken.

Erst konservativ, dann parodontalchirurgisch behandeln

Diskutiert werden auch ein Ungleichgewicht zwischen Metalloproteinasen und deren Inhibitoren sowie Störungen der Zytokininteraktion. Die Häufigkeit einer Gingivahyperplasie als Nebenwirkung der genannten Medikamente wird für Diphenylhydantoin mit 50 Prozent, für Ciclosporin mit 20 bis 70 Prozent und für die Kalziumantagonisten mit bis zu 30 Prozent angegeben. Während für Langzeitgaben von Nifedipin eine deutliche Korrelation zwischen Plasmaspiegel und Entstehung der Hyperplasie besteht, existieren für die anderen Arzneimittel keine einheitlichen Angaben. In allen Fällen wird die Hyperplasie durch zusätzliche plaquebedingte Entzündungen deutlich gesteigert. Besonders Keime wie Fusobacterium nucleatum und E. coli scheinen hier wichtige Kofaktoren zu sein.

Therapeutisch sollte, falls möglich, eine Umstellung der Medikation erfolgen. So wurde etwa bei Ersatz von Ciclosporin durch Tacrolimus ein deutlicher Rückgang der Hyperplasie und eine Verbesserung der klinischen Parameter festgestellt. Auch die Gabe von Prednisolon hat Studien zufolge positiven Einfluss. Zusätzlich ist auf intensive Mundhygiene und Plaquekontrolle zu achten. Erst wenn die konservative Behandlung keinen Erfolg zeigt, sollte eine parodontalchirurgische Intervention erfolgen.

Genetisch verursachte und idiopathische Gingivahyperplasien

Die hereditäre (genetische) Gingivahyperplasie ist relativ selten und kann sowohl als isolierte Läsion als auch im Rahmen von Syndromen als Teilsymptom komplexer Krankheitsbilder auftreten. Sie manifestiert sich meist bereits im Kindes- oder Jugendalter. Typischerweise präsentiert sich die Zahnfleischvergrößerung hier nicht ödematös-entzündlich, sondern primär derb fibromatös. Durch gesteigerte Fibroblastenproliferation bei gleichzeitig deutlich verminderter Zellapoptose und damit verlängerter Überlebensdauer dieser Zellpopulation steigt die Kollagenproduktion signifikant an.

Oft findet man Assoziationen zu weiteren Symptomen wie Hypertrichiosis oder mentaler Retardierung. Mit Gingivahyperplasie einhergehende Syndrome sind beispielsweise das Melkerson-Rosenthal Syndrom, Ehlers Danlos, Sturge-Weber, die Mucopolysaccharidosen und Neurofibromatose Typ1. Schwere Erkrankungsformen finden sich auch bei der autosomal rezessiv vererbten systemisch-hyalinen Fibromatose. Generalisierte Bindegewebswucherungen bedingen neben oralen Symptomen auch Kontrakturen an den Extremitäten und multiplen subkutanen Tumoren. Da sich bei derartigen Krankheitsbildern viele Symptomenkomplexe überschneiden, sollten die betroffenen Patienten ausschließlich interdisziplinär in entsprechenden medizinischen Zentren behandelt werden.

Achtung beim Durchbruch der Milchzähne

Die idiopathische Gingivahyperplasie ist vermutlich kein einheitliches Krankheitsbild und wird über eine reine Ausschlussdiagnose definiert. Im Gegensatz zu allen vorab beschriebenen Hyperplasien liegen hier nachweislich weder entzündliche, noch medikamentöse, iatrogene oder systemische Ursachen vor. Eine sehr sorgfältige Abklärung durch den behandelnden Zahnarzt in Zusammenarbeit mit Allgemeinmedizinern ist selbstverständlich Voraussetzung.

Bei der idiopathischen Form sind die Patienten Kinder und Jugendliche. Die Hyperplasie entwickelt sich oft schon vor dem Durchbruch der Milchzähne und führt so zu Problemen bei der Dentition und nachfolgend zu Zahnfehlstellungen. Die Zähne werden weitgehend vom Weichgewebe umhüllt. Im histologischen Befund zeigen sich dicht gelagerte Kollagenbündel, eine überschießende Fibroblastenproliferation mit – im Gegensatz zu anderen gingivalen Fibromatosen ­– verringerter bis fast fehlender Gefäßeinsprossung. Die Therapie der Wahl ist hier eine Gingivektomie.

Systemisch bedingte Gingivahyerplasien

Eine Reihe systemischer Erkrankungen wie maligne hämatologische Krankheiten, Morbus Crohn, aber auch Vitamin-C-Mangel können zu Hyperplasien führen. Besonders die akute myeloische Leukämie (bis zu 70 Prozent) und die Monozytenleukämie (30 Prozent) gehen durch die Einwanderung unreifer Blasten in das gingivale Gewebe mit ausgeprägten Hyperplasien einher. Diese sind Zeichen des extramedullären Krankheitsbefalls. Solche Läsionen sind neben Schleimhautulzera und Petechien Frühsymptome einer Leukämie und sollten daher immer differenzialdiagnostisch abgeklärt werden.

Bei chronischen Leukämieformen sind orale Manifestationen seltener. Durch die bei hämatologischen Erkrankungen stark eingeschränkte Immunabwehr werden die Pseudotaschen durch Hefen wie Candida und atypische oder multiresistente pathogene Keime besiedelt, welche bei Einschwemmung in die Blutbahn zu systemischen Infektionen bis hin zu schwerer Sepsis führen können.

Morbus Crohn

Beim Morbus Crohn können neben unspezifischen Zahnfleischentzündungen und aphthöser Stomatitis durch mangelnde Vitamin-B12-Resorption auch Gingivaschwellungen auftreten. Ähnlich wie im Darm findet man Pflastersteinrelief und pseudopolypoide Veränderungen begleitet von fissuralen Ulzera. Ein Beleg ist der histologische Nachweis von epitheloidzelligen Granulomen aus den hyperplastischen Zahnfleischbezirken.

Die Grunderkrankung stört die lokale Immunabwehr und die Integrität der oralen Mukosa. Zudem werden immunsuppressive Medikamente verabreicht, die ein ungehemmtes Keimwachstum in den Pseudo-Zahnfleischtaschen fördern. Intensive mundhygienische Maßnahmen sowie adäquate antimikrobielle Therapie sind eine absolute Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung einer weitgehenden oralen Gesundheit.

Hormonelle Gingivahyperplasie in der Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit, dennoch kommt es im Körper der Schwangeren zu erheblichen Veränderungen. Die hormonelle Umstellung hat auch Auswirkungen auf das orale Gewebe. Parallel mit der Blutkonzentration steigt der Hormonspiegel im Sulkusfluid. Gingiva und Schleimhäute exprimieren verstärkt Hormonrezeptoren. Progesteron beeinflusst die Synthese von Kollagen und von Bestandteilen der bindegewebigen Matrix. Zudem wird das Weichgewebe hormonell bedingt aufgelockert und ödematös.

Die erhöhte Neigung zu gingivalen Entzündungen durch Selektion parodontal-pathogener Bakterien fördert die Hyperplasie und die Ausbildung von Pseudo-Zahnfleischtaschen. In vereinzelten Fällen kann aus der Hyperplasie lokal eine Schwangerschaftsepulis entstehen. Sie imponiert als prominente gefäßreiche Vorwölbung mit oft oberflächlichen Erosionen. In den meisten Fällen kann hier nicht-chirurgisch interveniert werden. Die Epulis bildet sich nach der Schwangerschaft und der Normalisierung der Hormonlage meist von selbst zurück. Wichtig sind Plaquekontrolle und die Vermeidung von Entzündungsreizen.

Fazit

Die Ursachenabklärung ist bei Gingivahyperplasien der entscheidende Faktor zum Erfolg einer Therapie. Wegen der Plaqueretention in den Pseudotaschen sollte in jedem Fall zusätzlich antiinfektiös behandelt werden. Erst wenn nicht-invasive Maßnahmen keinen gewünschten Erfolg bringen, sind chirurgische Interventionen zu überlegen.