Dr. Dr. Claus Grundmann ist Zweit-Obduzent im Duisburger Institut für Rechtsmedizin. Außerdem ist er seit 2010 Sekretär des Arbeitskreises für Forensische Odontostomatologie (AKFOS) der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM). Als Mitglied der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts (IDKO) war Grundmann 2004 nach dem Erdbeben im Indischen Ozean in Thailand. Die DZW sprach mit ihm über forensische Zahnmedizin und seinen Einsatz in Katastrophenfällen.
Wie sind Sie zur forensischen Zahnmedizin gekommen? Wo liegen Ihre beruflichen Schwerpunkte?
Dr. Dr. Claus Grundmann: Es begann 1992, am Dienstag nach Pfingsten, als ich ziemlich unvermittelt gebeten wurde, bei zwei Wasserleichen aus dem Rhein einen Zahnstatus zu erheben und damit zur möglichen Identifizierung von zwei verstorbenen Mitmenschen beizutragen. Wenige Wochen später trat der damalige Institutsleiter an mich heran und meinte, dass er mich gerne ärztlich weiterbilden würde. Ich stimmte zu und arbeite jetzt seit fast 26 Jahren ärztlich und zahnärztlich im Duisburger Institut für Rechtsmedizin. Neben dieser Tätigkeit widme ich mich allen Problemfeldern, die mit Identifizierungen, forensischer Altersdiagnostik und Bissspuren-Analysen zu tun haben – eben der Schnittmenge von Medizin und Zahnmedizin vor einem juristischen Hintergrund. Seit mehr als 20 Jahren bin ich AKFOS-Mitglied.
Wann kann ein Zahnarzt als sachverständiger Zeuge vor Gericht vernommen werden?
Grundmann: Jeder Zahnarzt kann von den deutschen Gerichten als sachverständiger Zeuge angehört werden. Dabei sollte er mit keiner der Parteien verwandt oder verschwägert sein. Der Zahnmediziner muss als sachverständiger Zeuge Gesehenes mit seinem Fachwissen beschreiben und hat unter anderem die Aufgabe, das Hohe Gericht fachlich im Prozess zu unterstützen. Der zahnärztliche Sachverständige, der vom jeweiligen Gericht aufgrund eines Gerichtsbeschlusses berufen wird, interpretiert alle nicht regelhaften Erkenntnisse, zum Beispiel die speziellen zahnärztlichen Befunde.
Welche Tipps geben Sie Zahnärzten, die als Gutachter berufen werden?
Grundmann: Oberstes Gebot für eine gutachterliche Tätigkeit ist die Neutralität, egal, ob im Kassenrecht, für private Krankenversicherungen, Privatpersonen oder bei Gericht. Ohne Neutralität sollte niemand gutachterlich tätig sein. Außerdem müssen sich Gutachter regelmäßig intensiv fortbilden. Sollte ein Gutachtenauftrag nicht in das Fachgebiet eines Sachverständigen passen, sollte er dem Gericht das Gutachten unverzüglich und unter Angabe der Gründe zurücksenden und den Auftrag ablehnen.
Spezialisten auf dem Gebiet sind die Rechtsodontologen. Welche Voraussetzungen sollte man erfüllen? Gibt es eine Zusatzausbildung?
Grundmann: Der Begriff „Rechtsodontologe“ wird eher umgangssprachlich genutzt. Als Rechtsodontologen werden Zahnärzte bezeichnet, die enge Verbindungen zu den vierzig deutschen Rechtsmedizinischen Instituten, der DGRM oder zum AKFOS pflegen. Neben exzellenten Fachkenntnissen gibt es keine weiteren Voraussetzungen. Einmal jährlich führt AKFOS in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt eine Fortbildung zur zahnärztlichen Identifizierung durch. Weitere Fortbildungsmöglichkeiten bestehen über die internationale Organisation IOFOS, meist in Skandinavien, oder bei Experten in Kanada, Südafrika oder Neuseeland. In Leeuwen in Belgien wird ein Master-Studiengang zur Forensischen Odontostomatologie angeboten.
Gibt es Praxissoftware, die im Fall einer Identifizierung einen Abgleich anhand vorhandener Daten erstellen kann?
Grundmann: Zur zahnärztlichen Identifizierung kommt seit mehr als zehn Jahren eine in Skandinavien entwickelte Software zum Einsatz, insbesondere bei internationalen Identifizierungseinsätzen. Es findet ein Abgleich zwischen einer antemortalen Datenbank mit Daten und Röntgenbildern aus dem Leben und einer postmortalen Datenbank mit allen (Röntgen-)Befunden, die an einer Leiche erhoben wurden, statt. Positive Identifizierungsergebnisse erhält man, wenn möglichst viele ante- und postmortale Übereinstimmungen, nicht nur auf dentalem Sektor, vorliegen. Das Aussprechen einer Identifizierung erfordert neben der Computer-Vorarbeit einen manuellen Abgleich aller vorliegenden Daten und Befunde durch ein Expertenteam. Dieses besteht aus Kriminalisten, Dann-Experten, Rechtsmedizinern und forensischen Zahnärzten.
Ihr Einsatz in Thailand nach dem Erdbeben im Indischen Ozean ist nun 13 Jahre her. Was ist von den Eindrücken geblieben?
Grundmann: Alle Beteiligten waren hochmotiviert und haben in Thailand teilweise bis zu 16 Stunden pro Tag gearbeitet, um den trauernden Angehörigen durch Einsatz ihres Fachwissens höchstmögliche Sicherheit geben zu können. Fast alle deutschen Opfer konnten identifiziert werden. Die meisten anhand des Zahnstatus.
Wie bereiten sich Zahnärzte auf einen Einsatz im Katastrophengebiet vor? Gibt es praktische Übungen?
Grundmann: Durch die regelmäßige Tätigkeit in Einzelfällen, beispielsweise in den Deutschen Rechtsmedizinischen Instituten, sind die meisten Kollegen fachlich bestens vorbereitet. Zusätzlich führt das Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit AKFOS meist einmal jährlich Übungen durch, die dem Katastrophenfall fachspezifisch sehr nahekommen.
Welche Methoden kommen am Unfall- oder Katastrophenort zum Einsatz?
Grundmann: Es werden alle wissenschaftlich anerkannten primären und sekundären Identifizierungsmethoden eingesetzt. Wo die ersten positiven Ergebnisse zu erwarten sind, zeigt sich im Laufe des Verfahrens. Es gibt drei primäre Identifizierungsmethoden. Hierzu zählen neben der zahnärztlichen Vergleichsuntersuchung ante- und postmortal die ebenfalls ante- und postmortalen Vergleichsuntersuchungen auf dem Gebiet der DNA-Analyse und der Daktyloskopie. DNA-Analysen werden in der Regel durch qualifizierte Molekularbiologen durchgeführt, während der Vergleich von Fingerabdrücken die Aufgabe von Sachverständigen der Kriminalpolizei ist. Alle anderen Identifizierungsmöglichkeiten werden als „sekundär“ bezeichnet. Jeder Identifizierungseinsatz wird von einem Polizeiführer geleitet. Die wissenschaftlichen Experten sind dem jeweiligen Einsatzleiter untergeordnet und versuchen, mit ihrem Fachwissen zur Auflösung beizutragen.
Der Spiegel sprach in seiner Ausgabe 2/2005 in einem Bericht über den Einsatz in Thailand von dem „wohl härtesten Job der Welt“. Welche Herausforderungen waren dort zu meistern?
Grundmann: In Thailand waren es sicherlich Extrembedingungen, hervorgerufen durch die hohe Anzahl der Opfer und die klimatischen Bedingungen. Dabei wurden alle eingesetzten Personen an die Grenzen ihrer Physis und Psyche geführt. Dank der regelmäßigen Übungen und des guten Zusammenhalts innerhalb des deutschen und der internationalen Teams gibt es nichts Negatives zu erwähnen. Dass es sehr anstrengend war, ist unstrittig. Ob es, wie der Spiegel schreibt, der „wohl härteste Job der Welt“ war, kann ich nicht beurteilen, da auch andere Berufe Maximales abverlangen können.
Den Toten können Sie nicht mehr helfen. Wie helfen Sie den Lebenden?
Grundmann: Das Hauptaugenmerk der Identifizierungstätigkeit gilt den lebenden Angehörigen. Ihnen muss maximale Sicherheit und Gewissheit gegeben werden. Das Schlimmste für überlebende Angehörige sind die Wartezeit und die Ungewissheit, ob es nicht doch noch ein Lebenszeichen der Liebsten gibt.
Was ist AKFOS?
Der Arbeitskreis für Forensische Odontostomatologie, kurz AKFOS, besteht seit 1976 und ist eine interdisziplinäre Einrichtung der DGZMK und der DGRM. Er koordiniert Forschungsaufgaben, organisiert Fortbildungen für praktizierende Zahnärzte, arbeitet mit der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts (IDKO) zusammen und fördert die internationale Zusammenarbeit mit ausländischen Wissenschaftlern. AKFOS will Zahnmediziner über die theoretischen medizinischen und rechtlichen Grundlagen informieren, die hilfreich sind, wenn sie in zivil- oder strafrechtlichen Prozessen als Zeugen, Sachverständige oder Gutachter einbezogen werden. Die Mitglieder sind Rechtsmediziner, Zahnärzte, Rechtsanwälte und Kriminologen.
Termin
42. Jahrestagung des AKFOS
• 15. September 2018
• Halle (Saale)
• Motto: „Vom Universalgelehrten Alberti zum forensischen Spezialisten“
• Informationen gibt es hier