In aller Munde. Von Pieter Bruegel bis Cindy Sherman
Inspiriert unter anderen von der Zahnärztin B. Slominski, hat die Kuratorin Uta Ruhkamp für das Kunstmuseum Wolfsburg eine beachtliche Ausstellung erarbeitet. Zu sehen vom 31. Oktober 2020 bis 5. April 2021.
Am Eröffungswochenende konnten Besucher sie noch genießen, jetzt ist erst einmal Pause: Aufgrund der aktuellen Verordnungen zur Eindämmung von SARS-Cov-2 muss auch das Kunstmuseum Wolfsburg – wie so viele Institutionen aus Kunst und Kultur auch – ab dem 2. November bis voraussichtlich 30. November 2020 schließen.
Es ist die umfassendste Themenausstellung zu Kunst und Kultur rund um das Orale, die es jemals in Deutschland gab – und sie ist im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen: die große Schau "In aller Munde. Von Pieter Bruegel bis Cindy Sherman". Mit Werken von unter anderem Albrecht Dürer, Pablo Picasso, Louise Bourgeois, Marina Abramović und Andy Warhol zeigt das Kunstmuseum über 250 Kunstwerke und Objekte von der Antike bis zur Gegenwart.
„Als Schauplatz des hochinfektiösen Desasters erlebt der Mund-und Rachenraum gegenwärtig weltweit größte Aufmerksamkeit, bietet er doch mit seiner Schleimhaut das ideale Substrat für Überlebens- und Verbreitungsmöglichkeiten des Coronavirus – eine Aktualität, die man im Zuge der Ausstellungsvorbereitung nicht erwartet hatte“, so das Kunstmuseum Wolfsburg. Der Mundraum sei damit ins Zentrum gesellschaftlicher, politischer und medialer Debatten gerückt.
Emotionale Bandbreite
Mit Lippen, Zunge und Zähnen ist der Mund in Gänze eine äußerst reizvolle Körperzone: Sprache, Schmerz und Schrei, Essen, Schlingen, Speien und Spucken, Lust und Leidenschaft. Diese emotionale Bandbreite von Ekel bis Empathie erfahren die Besucher*innen des Kunstmuseum Wolfsburg auf dem abwechslungsreichen Themenparcours.
So widmet sich eines der Ausstellungskapitel, „Zahn und Zierde“, den Zähnen und ihrem dekorativen, religiösen sowie auch ökonomischen Wert in unterschiedlichen Kulturen unserer Welt: Die neuseeländische Künstlerin Ane Tonga beschäftigt sich mit Traditionen rund um den goldenen Zahnschmuck in ihrer tongaischen Familie und setzt diesen fotografisch in Szene, während das Londoner Künstlerpaar Fantich & Young ganze Masken und Outfits aus Zähnen entwirft.
Zähne als Tötungsinstrument
Zähne sind jedoch nicht nur Dekor, sondern auch Waffe und werden in den Kapiteln „Schlund und Schlingen“ oder „Kuss und Vampirismus“ zum Tötungsinstrument, wenn der Werwolf bei Lucas Cranach Menschen verschlingt, Saturn bei Alfred Kubin seine Kinder verspeist oder der Liebesbiss des Vampirs bei Edvard Munch zum Todeskuss wird.
Für die sinnliche Form des Kusses sind die Lippen und die Zunge zuständig, was in den intensiven Kussdarstellungen von Pablo Picasso oder Wolfgang Tillmans überaus deutlich wird.
Luft und Laute verlassen unseren Mund indessen hörbar aber unsichtbar, was im entsprechenden Ausstellungskapitel beispielsweise in der überraschend langen Motivgeschichte des Homo Bulla – des Menschen, der Seifenblasen bläst – zum Ausdruck kommt.
Insgesamt gliedert sich die Ausstellung in 12 Kapitel.
Eigens konzipierte Architektur
In der 2.250 Quadratmeter großen Ausstellungshalle des Kunstmuseum Wolfsburg bieten in einer eigens konzipierten Architektur, die einen abstrahierten Mundraum darstellt, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, Videos und kulturgeschichtliche Objekte einen Überblick über das Spektrum an Visualisierungen rund um das Orale.
Vom ältesten Exponat der Schau, einer rund 2.600 Jahre alten altägyptischen Bronzefigur, welche die stillende Göttin Isis mit Harpokrates darstellt, über einen der berühmten Charakterköpfe von Franz Xaver Messerschmidt bis hin zu aktuellen Werken wie den Scream-Arbeiten von Christian Marclay, der skurrilen Zahnlandschaft von Mithu Sen oder einer ortsspezifischen Installation von Benjamin Houlihan, bei der er mit seiner Zunge Temperafarbe auf eine Wand leckt – die Schau im Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert zum Thema Mund faszinierende Kunstwerke aus einer Reihe der bedeutendsten Museen.
Die Kuratorin Uta Ruhkamp hat, nachdem das Thema von dem Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme und der Zahnärztin Beate Slominski an sie herangetragen worden war, eine außergewöhnliche Ausstellung erarbeitet.