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Bildung von Biofilm langfristig verhindern

Das NIFE gilt als Vorreiter bei der Erforschung implantatassoziierter Infektionen.

Das NIFE gilt als Vorreiter bei der Erforschung implantatassoziierter Infektionen.

Periimplantitisproblem und mikrobiologischer Fortschritt beflügeln die Implantatentwicklung. Das Niedersächsische Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE) gilt als Vorreiter bei der Erforschung implantatassoziierter Infektionen. Zwei NIFE-Projekte haben die VHV-Stiftung überzeugt und werden jetzt mit 300.000 Euro gefördert. Im Interview erläutert Prof. Dr. Meike Stiesch, Direktorin der Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomedizinische Werkstoffkunde an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ihr Projekt, bei dem es um Entwicklung und Testung antibakterieller Oberflächenfunktionalisierungen für Implantate geht.

Frau Prof. Stiesch, worauf beruht die Sonderrolle des NIFE?

Prof. Dr. Meike Stiesch: Das Niedersächsische Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE) ist in seiner Inter- und Transdisziplinarität europaweit einzigartig. Hier forschen Materialwissenschaftler, Laserphysiker, Chemiker, Zahnmediziner und Mediziner unterschiedlichster Disziplinen auf 5.000 m2 Forschungsfläche gemeinsam an innovativen Implantatlösungen – von der Grundlagenforschung über präklinische In-vivo-Modelle bis zur klinischen Translation. Durch Bündelung verschiedener erfolgreicher Arbeitsgruppen stehen modernste technologische Verfahren wie unter anderem laserbasierte mikroskopische Verfahren zur Analyse von Wechselwirkungen zwischen Oberflächen, Bakterien- und humanen Zellen sowie molekularbiologische Sequenziertechnologien zur Verfügung. In dieser Interdisziplinarität werden neue Implantatmaterialien designt, Implantatoberflächen funktionalisiert und komplexe biologische Modelle für die klinikrelevante In-vitro- und In-vivo-Testung entwickelt.

Prof. Dr. Meike Stiesch

Prof. Dr. Meike Stiesch

In Ihrem von der Stiftung der VHV-Gruppe geförderten Projekt, für das Sie jetzt erste Ergebnisse vorgestellt haben, geht es um die Entwicklung und Testung antibakterieller Oberflächenfunktionalisierungen, auch für Dentalimplantate. Bis heute werden für die meisten Implantate SLA- oder analoge Oberflächen verwendet. Von welchen Oberflächen gehen Sie aus?

Stiesch: In dem von der VHV-Stiftung geförderten Projekt gehen wir ebenfalls von Titanoberflächen aus, die über laserbasierte subtraktive Verfahren in ihrer Oberflächentopographie modifiziert werden. Bestehende Implantatoberfächen wurden in langjährigen Forschungsarbeiten erfolgreich im Hinblick auf ihre Osseointegration optimiert. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung biofilmassoziierter periimplantärer Infektionen ist es das Ziel unserer Forschung, über diese bestehenden Ansätze hinaus Implantatoberflächen zu entwickeln, die eine Biofilmbildung langfristig verhindern und damit die Langzeitprognose dentaler Implantate verbessern. Hier besteht die besondere wissenschaftliche Herausforderung darin, Oberflächen zu entwickeln, die eine deutliche antibakterielle Wirkung aufweisen, jedoch die Adhäsion humaner Zellen und damit eine Osseointegration ermöglichen.

Wie gehen Sie diese besondere wissenschaftliche Herausforderung an?

Stiesch: In unserem Projekt haben wir neue biomimetische Ansätze verfolgt. Die Natur zeigt uns nämlich exzellente Beispiele von Pflanzen- oder Tieroberflächen, die bemerkenswerte Antifouling-Eigenschaften auch in einem stark bakterienbeladenen Milieu aufweisen. Hierzu gehören zum Beispiel Sharklet-Strukturen (Haihaut), die Oberfläche der Lotuspflanze und Libellenflügel. Nach dem Vorbild dieser Oberflächen haben wir neue biomimetische Oberflächen entwickelt, die aus einer Kombination von Mikro- und Nanostrukturen bestehen und über femtosekundenlaserbasierte Ablationsverfahren generiert werden können. Die gute antibakterielle Wirkung dieser Oberflächenfunktionalisierungen lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass Dimensionen auf Nanoebene eine entscheidende Rolle spielen für die chemischen, physikalischen und biologischen Eigenschaften von Biomaterialien und damit auch für die Oberflächen-Bakterien-Interaktion. Mit dieser Entwicklung ist es unserer Abeitsgruppe gelungen, eine antibakterielle Implantatoberfläche zu schaffen, die gleichzeitig eine hervorragende Biokompatibilität aufweist.

Wie verläuft die Testung?

Stiesch: Um wirklich klinikrelevante Aussagen im Hinblick auf neue Implantatentwicklungen zu treffen, brauchen wir in der Forschung aufwendige kliniknahe Modelle. So ist es beispielsweise nicht ausreichend, die antibakterielle Wirkung von Oberflächen in einfachen Monospezies-Biofilm-Modellen zu testen, da in der Mundhöhle eine Vielzahl von Bakterien vorliegt. Aus diesem Grunde haben wir in Hannover ein komplexes Multispezies-Biofilm-Modell entwickelt, das sowohl Primärbesiedler als auch pathogene Bakterien enthält und damit die klinische Situation hervorragend wiedergibt. Dieses Modell wurde zunächst im 96-well-Format für ein Screening einer Vielzahl von neuen Oberflächen eingesetzt, für die spezifische Analyse ausgewählter Oberflächen wurde das Multispezies-Modell dann in einem Bioreaktor unter klinisch relevanten Strömungsbedingungen genutzt. Darüber hinaus ist für die Evaluation der innovativen Oberflächen immer auch die Beurteilung der Interaktion mit humanen Zellen unerlässlich. Hierfür haben wir ein 3-D-Kokultur-Modell entwickelt, das erstmals sowohl humane Gewebe als auch Implantatmaterialien und orale Biofilme in einem Modell enthält und damit die klinische Situation bereits in der In-vitro-Untersuchung widerspiegelt. Die neu entwickelten biomimetischen Oberflächen zeigten in allen In-vitro-Ansätzen hervorragende Eigenschaften.

Auf welchen Zeitraum ist Ihr Projekt angelegt?

Stiesch: Das Projekt ist auf zweimal drei Jahre angelegt. In der ersten Projektphase wurden zunächst die innovativen Implantat-Oberflächen entwickelt, komplexe In-vitro-Testsysteme aufgebaut und zur Evaluation der Oberflächen genutzt. In diesen Systemen konnten wir sowohl die antibakterielle Wirkung als auch die gute Zellkompatibilität der neuen Oberflächen unter kliniknahen 3-D-In-vitro-Bedingungen eindeutig nachweisen. In der folgenden Projektphase muss nun die In-vivo-Testung im präklinischen Kleintiermodell erfolgen, um die Entwicklung zeitnah zur klinischen Translation zu bringen.

Wie sieht es mit Keramik aus? Man geht von günstigen periimplantären Eigenschaften von Zirkoniumdioxid aus.

Stiesch: Die meisten Implantatsysteme bestehen heute aus Titan, das sich hervorragend strukturieren lässt, sodass wir die hier genannten biomimetischen Veränderungen der Oberflächentopographie zunächst für Titanoberflächen entwickelt haben. In anderen Projekten verfolgen wir jedoch auch sehr effektive antibakterielle Strategien über die chemische Funktionalisierung von Implantatoberflächen, für die wir sowohl eine Ankopplung an Titan- als auch an Keramikimplantate vorgesehen und entwickelt haben.

Sie entwickeln zudem für die frühzeitige Diagnostik und personalisierte Therapie Biomarker auf Grundlage molekularbiologischer Technologien. Wie funktioniert das, kommt das auch in der Zahnmedizin zum Tragen?

Stiesch: Ein weiterer wichtiger Faktor zur Bekämpfung periimplantärer Infektionen ist neben deren Prävention durch neue Biomaterialien auch die frühzeitige Erkennung und damit Therapie dieser Infektionen. Hierfür entwickeln wir über moderne Omics–Technologien Biomarker, die nicht nur das Vorliegen bestimmter pathogener Bakterien, sondern insbesondere die Aktivität dieser Bakterien in komplexen Biofilmen anzeigen, da insbesondere spezifische Aktivitätsmuster der Bakterien ein Anzeichen für den Shift in eine pathologische Situation darstellen. Hierfür führen wir Transkriptomanalysen durch, deren Ergebnisse wir über biomathematische Modelle und Machined Learning-Prozesse zur Identifizierung spezifischer bakterieller Aktivitätsmustern und deren Korrelation zu Biofilm-Phänotypen nutzen. Die Entwicklung von Biomarkern wird zukünftig nicht nur für die frühzeitige Diagnostik von periimplantären Infektionen sondern auch für eine personalisierte Therapie eine wichtige Rolle spielen.

Einmal in die Zukunft geschaut: Wann kommen Ihre Ergebnisse in der Praxis an, und können wir das Thema Periimplantitis dann vergessen?

Stiesch: In unseren Studien konnten wir für die klinische Patienten-Versorgung wichtige Ergebnisse erarbeiten, die wir nun mit Nachdruck in eine klinische Translation führen werden. Aufgrund der immer aufwendiger werdenden Zulassungsprozesse für neue Implantatoberflächen wird die Umsetzung in die tägliche Praxis jedoch noch etwas Zeit erfordern. Und auch nach einer Zulassung wird sich zwar das Risiko periimplantärer Infektionen deutlich reduzieren lassen, aber es wird im Zusammenspiel verschiedenster Risikofaktoren immer wieder Periimplantitiden geben. Hierfür wird es zukünftig von besonderer Bedeutung sein, neue Strategien für eine frühzeitige Diagnostik über moderne Biomarker und eine daraus abgeleitete personalisierte Therapie zu entwickeln.

Katrin Ahmerkamp