Nach der Wiedervereinigung fühlten sich Männer in Ost wie West gesünder als Frauen. Doch das „starke Geschlecht“ schwächelt. Inzwischen halten sich Männer für kränker als Frauen – vor allem im Osten. Das männliche Hochgefühl ist dahin.
Das gilt zumindest, wenn es um die Selbsteinschätzung der Gesundheit geht. Direkt nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 sahen Männer sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern ihre Gesundheit deutlich positiver als Frauen.
Innerhalb der nächsten knapp 25 Jahre wurden die gefühlten Gesundheitsunterschiede zwischen Frauen und Männern überall immer kleiner. 2013 lag die selbsteingeschätzte Gesundheit der Männer schließlich sogar unter der der Frauen. Im Osten ist der Vorsprung der Frauen dabei ausgeprägter als im Westen. Damit haben sich die Geschlechterverhältnisse seit dem Ende der DDR umgekehrt. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die die Sozialwissenschaftlerin Mine Kühn vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock jetzt im Wissenschaftsjournal „Social Science and Medicine – Population Health“ veröffentlicht hat.
Die Zufriedenheit mit der Gesundheit sei dabei nicht nur ein gutes Maß für die tatsächliche Gesundheit, erklärt Mine Kühn: „Das selbst wahrgenommene Befinden der Menschen sagt gleichzeitig viel über ihr Lebensgefühl aus.“ Für ihre Studie nutzte sie Daten der repräsentativen Befragung „Sozio-oekonomisches Panel“ (SOEP), für die etwa 20.000 Menschen in Deutschland regelmäßig beantworten, wie zufrieden sie mit ihrem Gesundheitszustand auf einer Skala von null („sehr unzufrieden“) bis 10 („sehr zufrieden“) sind.
Kühn analysierte Daten für Menschen im Alter von 20 bis 59 Jahren, die während der gesamten Untersuchungszeit von 1990 bis 2013 in ihrem Landesteil (Ost beziehungsweise West) wohnten. Sie unterschied dabei nach dem Landesteil und dem Geschlecht und rechnete Einflüsse wie Einkommen und Bildung heraus. Das Ergebnis: Der Trend zeigt, dass insbesondere Männer aus Ostdeutschland über die Zeit angaben, sich gesundheitlich schlechter zu fühlen.
Wirtschaftliche Unsicherheit schlägt auf die Gesundheit
Was scherzhaft als Ausbreitung der „Männergrippe“ wahrgenommen werden könnte, hat für Kühn einen ernsten Hintergrund: „Es ist gut möglich, dass die politischen und sozialen Veränderungen seit der Wende gerade für Männer im Osten so viel Stress bedeutet haben, dass ihre Gesundheit – oder zumindest ihr Gesundheitsgefühl – nachhaltig gelitten hat.“ So sei bekannt, dass etwa Arbeitslosigkeit und anhaltende wirtschaftliche Unsicherheit vermehrt zu ungesundem Verhalten wie etwa Alkoholkonsum oder Rauchen führe.
Dass Männer stärker betroffen seien als Frauen, könne daran liegen, dass Frauen generell über bessere Fähigkeiten verfügten, mit psychosozialem Stress umzugehen, und in schwierigen Zeiten insbesondere mehr von ihrem sozialen Netzwerk profitieren.
Ostdeutsche Männer bleiben zurück
Während die ostdeutschen Männer inzwischen die schlechtesten gefühlten Gesundheitswerte haben, waren es direkt nach der Wende noch die ostdeutschen Frauen. Sie könnten darunter gelitten haben, dass direkt nach der Wende vor allem solche Arbeitsplätze wegfielen, die typischerweise Frauen besetzten, glaubt MPIDR-Forscherin Kühn.
Über die Jahre scheinen sich die Frauen von solchen Belastungen aber erholt zu haben, und die ostdeutschen Männer wurden zur „Problemgruppe“. Das passe zur Veränderung der Lebensstile, die in anderen Studien untersucht worden seien, sagt Kühn: „Ostdeutsche Frauen erreichen mittlerweile ähnlich gute Werte hinsichtlich sportlicher Aktivität oder Alkoholkonsum wie westdeutsche Frauen.“ Die Männer im Osten hätten beim gesunden Lebensstil hingegen nicht zu denen im Westen aufgeschlossen. Die ostdeutschen Männer leben wie schon vor der Wiedervereinigung so ungesund wie keine der anderen Bevölkerungsgruppen.