Würden Sie einen Zug besteigen, dessen Ziel Ihnen nur ungefähr bekannt ist, von dem Sie nicht wissen, wie sicher seine Technik ist und wer für das Ding am Ende die Verantwortung trägt?
Zunehmende Unsicherheit
Ich nehme an, dass auch die lapidare Auskunft des Zugführers, die geschätzten Passagiere trügen selbst die Gesamtverantwortung der Reise– und im Falle des Nichterreichen des Ziels oder eines technischen Versagens ohne eigenes Verschulden auch noch zur Kasse gebeten werden – Ihre Bereitschaft auch nicht steigern würde, diese Reise mit ungewissem Ausgang anzutreten.
Eine ähnliche Frage werden sich wohl die rund 20 Prozent der Zahnärzte gestellt haben, die sich bislang noch nicht an die Telematikinfrastruktur anschließen lassen wollten. Und so mancher Zahnarzt, der den Schritt in die TI-Welt gegangen ist, wird wohl ebenso von einem zunehmenden Gefühl der Unsicherheit beschlichen.
Das Dilemma der Zahnärzte
Zumal in den vergangenen Wochen aus den unterschiedlichsten Quellen einiges ans Tageslicht gekommen ist, was man bisher eher verdrängt hat. Da markiert die Aktion eines CCC-Mitglieds, das ohne Schwierigkeiten an den Heilberufsausweis gekommen ist – unter abenteuerlichen und eigentlich undenkbaren Begleitumständen – einen neuen Tiefpunkt in der Diskussion um die Frage, soll ich oder soll ich nicht …
Wieder einmal stecken die Zahnärzte in einem Dilemma: Lassen sie sich an die TI anschließen, sind sie in Sachen Honorarstrafabzügen zwar fein raus, stehen aber – DSGVO lässt grüßen – mit dem anderen Bein halb im Gefängnis. Zumindest muss im Falle eines nachgewiesenen Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung mit Strafzahlungen in auch schon mal sechsstelliger Höhe gerechnet werden.
Honorar-Sanktionen oder DSGVO-Strafen? Sie haben die Wahl
Wenn es in dieser Situation wenigstens jemanden gäbe, den man fragen könnte und der einem unvoreingenommen und neutral guten Rat geben könnte. Doch danach suchen viele Zweifler (und das ist nicht despektierlich gemeint) leider vergebens. Den besten Rat erhält der Zahnarzt vielleicht noch von seinem Versicherungsmakler, der ihm für kleines Geld eine Versicherung gegen Cyber-Kriminalität vermittelt.
Es ist schon erstaunlich, dass die Beantwortung der Frage „TI or not TI“ am Ende von simplen Rechenspielen abhängen könnte: Was ist am Ende preiswerter, die (noch) relativ überschaubaren und sicher für die meisten Zahnärzte verkraftbaren Honorarabzüge bei überführten TI-Nichtangeschlossenen, die Cyber-Versicherung gegen Datenschutz- und Datensicherheitsverstöße oder die mögliche Inkaufnahme einer richtig schmerzhaften Strafe bei nachgewiesenem Verstoß gegen die mit der TI-Pflicht konkurrierenden Vorgaben der DSGVO?
Nutzen für die Leistungserbringer? Fehlanzeige
Noch erstaunlicher ist, dass von einem greifbaren oder bezifferbaren, Nutzen noch gar keine Rede war – außer den schwammigen, für den Sankt-Nimmerleinstag in Aussicht gestellten Benefits für die Betroffenen, die bislang kaum sichtbar geworden sind. Weder für den Patienten, der politisch verordnet allen alles offenbaren muss, ohne die Chance, die Hoheit über seine Daten zu verteidigen, noch für den Arzt oder Zahnarzt.
Denn auf Seiten der sogenannten Leistungserbringer sieht es neben Investitionen in die Praxis- IT, einem sehr wahrscheinlichen bürokratischen Mehraufwand und der Gefahr hoher Strafen auf der einen Seite und Honorarabzügen auf der anderen Seite ziemlich mau aus mit Nutzen in irgendeiner Form. Wenn denn wenigstens die Honorare etwas zeitnäher nach der Quartalsabrechnung auf dem Konto landen würden.
Profitieren werden allenfalls Datensammler
Als Profiteure sind momentan noch am ehesten die Datensammler, Datenverwerter und Datenvergolder auszumachen, die ihr Glück vermutlich gar nicht fassen können: Daten in beliebiger Menge, frei Haus, ohne Beschränkungen nutzbar, individualisierbar und sehr wahrscheinlich kostenlos. Die Abnehmer stehen bereits Schlange.
Je mehr Details über Sicherheitslücken ans Tageslicht kommen, desto mehr fragt man sich, wie heiß die Nadel wohl gewesen sein mag, mit der hier gestrickt wurde. Zwar habe ich in früheren Kommentaren mehrfach kritisiert, dass in Deutschland wieder einmal alles absolut perfekt sein muss, bevor man auch nur einen Schritt nach vorne geht. Damit war allerdings nicht gemeint, dass Anwender der TI des Tempos der Umsetzung wegen am Ende nur die Wahl haben zwischen Honorar- Sanktionen auf der einen und empfindlich hohen Strafen auf der anderen Seite.
Ist also der TI-Zug abgefahren, nur weil sich die Mehrheit für den Anschluss entschieden hat? Diese Frage muss zwar jeder für sich beantworten, aber nach landläufigem Rechtsverständnis kann es nicht sein, dass mit der Erfüllung einer Pflicht eine andere verletzt wird. Jeder Zug lässt sich irgendwie aufhalten.