"Nichts tarnt sich so geschickt als Schwierigkeit wie eine Chance": Die meisten Zahnarztpraxen fahren derzeit im Notfallmodus und leiden daher unter massiven Umsatzeinbrüchen. Wie lange dieser Zustand anhält, weiß ich nicht. Was ich weiß, ist, dass jede Krise auch eine Chance in sich birgt.
Zu den Fakten: Wir haben in Deutschland 42.000 Zahnarztpraxen, Tendenz deutlich fallend. Außerdem gibt es immer mehr angestellte Zahnärzte, von denen viele dauerhaft angestellt bleiben wollen, was auch als sinkender Niederlassungswille bezeichnet wird. Infolge dieser Entwicklung werden die Praxen immer weniger und immer größer. Größere Praxen können sich unternehmerisch anders aufstellen als kleine und erreichen mit intensiven Marketingaktivitäten viele neue Patienten, die dann dort und nicht mehr in den kleineren Einheiten behandelt werden. Und was für die Patienten gilt, gilt auch für das Personal. Vielfach wird schon mehr Personalmarketing als Patientenmarketing betrieben. Durch die aktuelle Krise wird diese Entwicklung noch befördert.
So gravierend die aktuellen Schwierigkeiten auch sein mögen, so groß sind die Chancen, die sich aus dieser Zeit für jeden ergeben können. Der Sinnspruch am Anfang des Beitrags ist übrigens von Karl Heinz Karius. Doch nutzbar machen für sich selbst kann das nur derjenige, der diese Chance auch erkennt und mit Weitblick handelt: Jetzt ist die Zeit für eine Strategieentwicklung, um für die Zeit nach der Krise gut aufgestellt zu sein.
An den Beginn der Strategie gehört die Frage, wo ich stehe und wo ich hinwill. An ein paar typischen Beispielen versuche ich zu erklären, wie Chancen entwickelt werden können.
Strategie entwickeln
Viele Zahnärzte sahen bereits vor der Krise große Probleme, ihre Praxis zu einem angemessenen Preis verkaufen zu können. Jetzt, zu einer Zeit, in der nicht investiert wird, haben die meisten ganz aufgegeben, auf einen Verkaufserlös zu spekulieren. Sie schließen ohne Übernahme zu oder arbeiten weiter, obwohl sie dies eigentlich gar nicht wollen.
Aber warum? Strategie heißt doch, zunächst zu erkennen, dass es den idealtypischen Käufer nicht gibt. Es gibt Zahnärzte, die zu Ihrer Praxis passen. Sie müssen das nur am Markt richtig positionieren. Dabei geht es weniger um die Frage, in welchem Medium Sie Ihren Abgabewunsch bekannt machen als um die Frage, welche „Geschichte“ Sie den potenziellen Käufern von Ihrer Praxis erzählen. Welche Stärken hat Ihre Praxis, und was können Sie dem Übernehmer vielleicht noch nach der Übernahme bieten, zum Beispiel eine zeitweilige Mitarbeit. Werden Sie sich über die Wünsche der jungen Zahnärzte klar. Versuchen Sie, sich nicht über die Generation Y zu beklagen, sondern sie zu verstehen, und richten Sie Ihre Ansprache daran aus.
Welchen „fairen Preis“ kann ich erzielen?
Insbesondere umsatzschwächere Praxen erzielen heute weniger hohe Verkaufserlöse als früher. Aus Sicht des Abgebers ist das natürlich nicht schön. Aber so ist der Markt. Das Ziel muss lauten: Welchen „fairen Preis“ kann ich erzielen? Und dazu brauchen Sie Argumente, die Sie aus Ihrer Positionierung ableiten. Ein Autoverkäufer kann die Vorteile seines Produkts im Schlaf aufsagen. Bei manchen Zahnärzten hingegen habe ich das Gefühl, dass nur das Negative gesehen wird.
Arbeiten Sie die Vorteile Ihrer Praxis, Ihre Positionierung, heraus und seien Sie optimistisch. Überzeugen Sie die potenziellen Käufer von den Vorteilen, gern auch mit Unterstützung durch einen Sachverständigen. Fair ist der Preis dann, wenn sich beide Seiten nicht „über den Tisch gezogen“ fühlen und die Wertermittlung verstehen. Und damit wären wir bei der Käufersicht.
Solide Finanzplanung erstellen
Ja, wir haben gegenwärtig einen Käufermarkt, und das verschärft sich noch. Sie haben die Auswahl unter sehr vielen Praxen, insbesondere wenn Sie nicht ortsgebunden sind. Sie können – und das bei Niedrigzinsen – zurzeit richtig hart verhandeln. Nach meiner Erfahrung ist das aber eine Typfrage und liegt nicht jedem. Außerdem kommt es bei den Verhandlungen in erster Linie darauf an, ob sich beide Seiten gut verstehen. Und wenn diese Voraussetzungen gegeben sind und der Finanzplan solide erstellt wurde, ist es am Ende egal, ob 50.000 Euro oder 70.000 Euro fließen. Die Differenz kann schnell dadurch ausgeglichen werden, dass sich der Abgeber von Herzen gern bei seinen Patienten dafür einsetzt, dass Sie erfolgreich starten.
Entscheidend für den Erfolg ist es, die Finanzplanung solide erstellt sowie eine zu Ihnen passende Marketingstrategie entwickelt zu haben. Und jetzt ist die Zeit, genau dies zu tun. Damit Sie am Ende der Krise gut gewappnet starten können.
Die Praxis nach der Krise unverändert fortführen
Zu Beginn Ihrer Strategieentwicklung setzen Sie einen gedachten (flexiblen) Termin für das Ende der Krise. Nutzen Sie nun die Zeit und analysieren Sie Ihr wettbewerbliches Umfeld. Wie hoch ist die Zahnarztdichte jetzt, wie viele Praxen werden nach der Krise, alters- oder krisenbedingt, noch am Markt sein? Welche Positionierung haben Sie (Praxisphilosophie, fachliche Ausrichtung, Größe, Zielgruppen etc.) und Ihre wirksamsten Wettbewerber. Wo stehen Sie bei Google und bei den Bewertungsportalen? Werden Sie sich über die Bedeutung dieser Instrumente klar und entwickeln Sie ein Konzept. Beachten Sie, dass eine bewusste Konkurrenzverdünnung Ihre Chancen erhöht. Erreichen Sie diese durch eine gezielte Aufstellung. Wenn Sie das optimistisch, zielgerichtet und fleißig angehen, können Sie Ihre Praxis nach Aufheben der Beschränkungen erfolgreich (oder mehr) weiter fortführen.
Weitere strategische Ausrichtungen
Vielleicht wollen Sie sich mit anderen Zahnärzten – örtlich oder überörtlich – zusammentun. Oder Sie möchten Ihre Praxis teilweise verkaufen. Oder expandieren. Eventuell überlegen Sie auch, Partner aufzunehmen oder ein MVZ zu gründen oder Angebote von Investoren zu prüfen.
Egal, was Sie vorhaben: Jetzt ist die Zeit, die Zukunft zu gestalten. Gewiss haben Sie zwei bis drei Monate oder mehr die Zeit, sich intensiv mit Ihrer Zukunftsplanung auseinanderzusetzen. Nutzen Sie die Zeit! Zahnarztpraxen sind Unternehmen, und Sie sind Unternehmer. Handeln Sie unternehmerisch, strategisch. Decken Sie die Tarnung „Schwierigkeit“ auf und ergreifen Sie die Chance. Es gibt keine bessere Zeit dafür: Carpe diem!
Prof. Dr. Thomas Sander, Hannover