Die Corona-Pandemie hat die Welt verändert und ebenso die Menschen. Während die Hilfsbereitschaft und Solidarität auf regionaler Ebene spürbar zugenommen habe, gerieten die Probleme in den Krisen- und Entwicklungsländern zunehmend in Vergessenheit. Das befürchtet zumindest das Hilfswerk Deutscher Zahnärzte (HDZ). „Viele humanitäre Organisationen, darunter auch diese Stiftung, verzeichnen einen deutlichen Rückgang der Spendenbereitschaft. Es scheint, als hätte derzeit jeder zu sehr mit sich und dem Kampf gegen das Corona-Virus zu tun“, sagt Dr. Klaus Winter, stellvertretender Vorsteher der Stiftung. „Doch unsere Arbeit muss weitergehen, denn die Situation vieler Menschen in den armen Ländern dieser Welt ist dramatisch. Wir dürfen diese Menschen nicht vergessen!“
„Die Situation vieler Menschen in den armen Ländern dieser Welt ist dramatisch“
In den armen Ländern dieser Welt sind lebensbedrohliche Krankheiten wie Pest und Cholera, Malaria, Lepra, Typhus und AIDS seit jeher ständige Begleiter der Menschen. Niemand weiß genau, wie viele jedes Jahr weltweit an Seuchen sterben, aber fest steht: es sind Millionen. Die WHO geht alleine von rund 400.000 Malaria-Toten pro Jahr aus (Stand 2018). Doch das Corona-Virus ist anders. Es hat die armen Länder gleich mit zweifacher Wucht getroffen – zum einen mit hohen Infektionsraten, zum anderen mit einem brachialen Lockdown zur Eindämmung der Pandemie. „Niemand kann sich hierzulande vorstellen, was sich in den Entwicklungsländern gerade abspielt. Wir erhalten jede Woche sorgenvolle Nachrichten von unseren Projektpartnern“, sagt Winter.
So berichtet Dr. Remy Luc Rousselot, Lepra-Arzt und Leiter einer Klinik in Indien, die das HDZ seit Jahren unterstützt: „Bis heute verzeichnen wir in Bubaneshwar zwar ‚nur‘ 18.601 Corona-Fälle und 590 Todesfälle, aber wir sitzen auf einer Zeitbombe und wissen nicht, wann diese explodieren wird.“ Vor allem in den riesigen Elendsvierteln wie dem Dharavi-Slum in Mumbai, in dem fast eine Millionen Menschen auf engstem Raum und in katastrophalen hygienischen Verhältnissen leben, ist es in Kampf gegen Windmühlen. Dr. Vivek Pai, Leiter des vom HDZ ebenfalls geförderten Bombay Leprosy Project, hält den Notfalldienst dennoch aufrecht. Man halte die Sicherheit hoch, nutze Masken und Desinfektionsmittel und beschränke die Beratungen auf ein Minimum, sagt Pai.
Das Testniveau in Indien ist eines der niedrigsten der Welt, ein weiteres Indiz dafür, dass die offiziellen Infektionszahlen nicht die wahre Situation widerspiegeln. „Eines ist sicher, wenn Phase 3 die indische Bevölkerung mit ihren 1,3 Milliarden Einwohnern treffen wird, und es zugleich an einer ausreichenden Zahl von Krankenhäusern und Fachärzten auf den Intensivstationen fehlt, dann werden die Opferzahlen vielleicht in die Hunderttausende oder Millionen gehen“, sagt Dr. Rousselot. Glücklicherweise sei die Versorgung der Patienten in diesem Leprahospital und auch in den anderen Lepraprojekten des Landes gesichert. „Unsere Leprakranken sollen nicht leiden, daher arbeiten wir weiter so gut es geht und konnten auch noch rechtzeitig genügend Lebensmittel und Medikamente ordern“, so Rousselot. Anderenorts gibt es bereits Versorgungsengpässe bei Paracetamol und Antibiotika. Seit Januar wurden in der Klinik 135 Operationen durchgeführt – weniger als sonst. „Aufgrund der Ausgangssperren und Reisebeschränkungen ist es für neue Patienten derzeit fast unmöglich, unser Krankenhaus zu erreichen“, sagt er.
Corona-Krise verschärft das Hunger-Problem
Während die Leprapatienten in der Klinik sicher sind, droht den Menschen draußen in den Dörfern und Städten des Landes eine ganz andere Gefahr: der Hunger. Viele haben schon vor der Corona-Krise von der Hand in den Mund gelebt, konnten sich aber mit Kleingewerben oder Tagelöhnerjobs noch über Wasser halten. Jetzt haben sie ihre Jobs verloren. Alleine in Indien, Pakistan und Bangladesh sind rund 70 Millionen Tagelöhner ohne Einkommen – und damit auch ohne Nahrung. In Afrika könnte sogar die Hälfte aller Arbeitsplätze verloren gehen, fürchtet die UN. Und auch in Südamerika und Asien sieht es nicht gut aus. Im schlimmsten Fall droht bis zu 30 Millionen Menschen der Hungertod, wenn die UN und andere Hilfsorganisationen sie nicht mehr versorgen können.
Auch Zimbawe hat der Lockdown hart getroffen. Das HDZ unterstützt dort die Dominikaner-Mission in der Hauptstadt Harrare. Die Mission unterhält zwei Krankenhäuser, fünf Schulen und ein Altenheim. Schwester Ferrare Weinzierl und ihre Glaubensschwestern betreuen auch arme Menschen in einem Slum von Harrare. „Hier leben unter anderen vier verwaiste Mädchen alleine in einem kleinen dunklen Zimmer, ohne Schloss, ohne Fenster, ohne Licht und ohne Wasser“, schreibt sie dem HDZ. Die Dominikanerinnen helfen ihnen mit Nahrungsmitteln, Schulgeld, Kleidung, Miete und alles was sie sonst noch brauchen. Einen Tag vor dem Lockdown konnten sich die Kinder nochmals Vorräte holen. Ob ihre weitere Versorgung möglich ist, oder sie nun alleine um ihr Überleben kämpfen müssen, ist fraglich.
Zahnärzte-Kollegen aus Deutschland mussten ausreisen
Durch die Corona-Pandemie ist das Transportwesen weltweit zum Stillstand gekommen, Lieferketten sind unterbrochen, der Im- und Exports von Nahrungsmitteln eingefroren, die Flughäfen gesperrt und damit auch der Transport von Hilfsgütern fast unmöglich geworden. Die Projektpartner des HDZ auf den Philippinen berichten, dass auch dort die Lage angespannt sei. „Am 15. März wurde Manila praktisch vom Rest der Welt abgeriegelt“, schreibt Sr. Sabine Korth, Krankenschwester in der vom HDZ-geförderten Mabuhay-Klinik in Bugko. Drei Tage später wurde Bugko unter Quarantäne gestellt. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Es folgten Ausgangsbeschränkungen, Straßenkontrollen, die Schließung von Schulen, Kirchen und Geschäften. Zahnärzte-Kollegen aus Deutschland mussten ausreisen.
„Die Kontrollen sind hier viel strenger als in Deutschland, da in diesem Land mit über 100 Millionen Einwohnern die Corona-Zahlen sehr schnell explodieren können“, berichtet Sabine Korth. „Zudem fehlt es an Testmöglichkeiten, Schutzausrüstungen, Fachpersonal und medizinischen Einrichtungen.“ Die humanitäre Arbeit der HDZ-Partner auf den Philippinen ist daher auch in Corona-Zeiten wichtig. „Freiwillige stehen uns zur Seite und arbeiten in den verschiedenen Bereichen“, sagt Korth. „Auch das Ernährungsprogramm für Kinder müssen wir aufrechterhalten, denn viele Menschen haben im Moment keine Arbeit und damit kein Einkommen, um ihre Familie zu ernähren.“
Auf der anderen Seite der Weltkugel, in Südamerika, kämpft eine weitere Partnerorganisation des HDZ gegen die Ausbreitung von Covid-19 und den Folgen. Auch für Argentinien prognostizieren die Epidemiologen eine hohe Zahl von Erkrankten und Toten in den Slums. Die humanitären Helfer haben alle Hände voll zu tun: „Im Gesundheitszentrum und der Apotheke des Hilfsprojekts in Buenos Aires herrscht aufgrund von Unterbesetzung zwar kein Normalbetrieb, aber die Versorgung der Patienten ist momentan noch gesichert“, schreibt Dr. Carina Vetye-Maler vom Verein Apotheker ohne Grenzen an das Hilfswerk Deutscher Zahnärzte. Auch viele „normale“ Patienten seien in akuter Gefahr, etwa. Diabetiker, weil das Gesundheitssystem für zwei Monate kein Insulin und Metformin senden könne. Dank deutscher Spendengelder konnte das Gesundheitszentrum aushelfen.
Online-Unterricht zum Thema Zahnhygiene
Auch die Zahnprophylaxe-Maßnahmen laufen weiter, und Mütter, die ihre Kinder zu den Vorsorgeimpfungen bringen, erhalten wie gewohnt Milchpulver für ihre Babys. Und es gibt in Corona-Zeiten sogar einen online-Unterricht zum Thema Zahnhygiene.
Die Eindrücke aus der Korrespondenz des Hilfswerks mit seinen Projektpartnern in aller Welt macht deutlich: „Wir sitzen alle in einem Boot im Hinblick auf die Auswirkungen dieser Pandemie. Unsere moralische Verpflichtung ist es daher, auch anderen Menschen zu helfen, denen es noch viel schlechter geht als uns“, sagt Dr. Klaus Winter. Das HDZ trüge seinen Teil dazu bei. Es investierte in den ersten vier Monaten dieses Jahres bereits rund 300.000 Euro in Lepra-, Bildungs- und (zahn-)medizinische Projekte. Winter: „Doch diese Hilfe kann dauerhaft nur dann aufrechterhalten werden, wenn die Spendenbereitschaft auch wieder zunimmt.“
Yvonne Schubert, Nordstrand