Ein Statement von Dr. Peter Matovinovic
Seit Beginn der COVID-19 Pandemie liegt der Fokus der Diskussion in der zahnärztlichen Professionspolitik vorrangig auf zwei Themen, die durchaus von relevanter Tragweite auch jenseits der aktuellen Pandemie sind: Welche Systemrelevanz billigt uns die Politik im Rahmen der medizinischen Versorgung zu? Hat die Politik überhaupt die Andersartigkeit der zahnmedizinischen Versorgung verstanden, wenn sie zu dem Schluss kommt, uns einen Rettungsschirm – den sie jedoch den Ärzten gewährt hat – zu verweigern? Haben wir Fehler als Berufsstand in diesem Zusammenhang gemacht und ist es ausreichend, nur zu fordern oder zu drohen?
Zahnmedizin in Zeiten der Corona-Pandemie
Es ist überhaupt keine Frage, ob die Zahnärztinnen und Zahnärzte für unser Gesundheitswesen systemrelevant sind. Denn nur sie können und sind nach dem Zahnheilkundegesetz berechtigt, die ZahnMedizin auszuüben. Damit stellen nur sie die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung sicher – und das wohnortnah. Eine andere Frage stellt sich, wie es um die Systemrelevanz der Zahnärzteschaft stand, um während des Lockdowns die COVID-19 Pandemie beherrschbar zu machen? Wurden hier nicht andere Bereiche von heute auf morgen systemrelevant? Denken Sie zum Beispiel an die Hersteller von Beatmungsgeräten oder an Firmen, die sich spezialisiert haben, die Wäsche von Intensivstationen wiederaufzubereiten und deren Kapazitäten gigantisch hochgefahren wurden. Und was passiert jetzt mit deren Überkapazitäten? Von der Systemrelevanz in die Kurzarbeit oder sogar in die Insolvenz?
Von alldem keine Rede in der Öffentlichkeit!
Zurecht haben sich die Zahnärztinnen und Zahnärzte darüber empört, dass die Bundesregierung keinen Rettungsschirm über der deutschen Zahnärzteschaft aufgespannt hat. Es ist ein Hohn gerade für die Kolleginnen und Kollegen, die auch zu Beginn der Pandemie ihren Versorgungsauftrag erfüllt haben, um notwendige Behandlungen durchzuführen, wohlgemerkt, ohne dass ausreichend Schutzausrüstung für das Praxisteam von Seiten des Staates zur Verfügung gestellt wurde. Das war nur möglich, weil in Deutschland seit Jahren Zahnmedizin mit einem Hygienestandard auf Klinikniveau geleistet wird. Nur so konnte die Versorgung der Patienten sichergestellt werden, wie auch die Infektion eines Patienten mit dem Coronavirus durch zahnärztliche Behandlung in den Praxen ausgeschlossen werden.
Von alldem keine Rede in der Öffentlichkeit! Stattdessen eine Diskussion über einen Rettungsschirm, die die deutsche Zahnärzteschaft so nicht gewinnen kann, auch wenn diese noch so berechtigt ist, gerade vor dem Hintergrund des Rettungsschirms für die Ärzteschaft. Die Diskussion in der Öffentlichkeit erinnert mich ein wenig an die aus dem Jahre 1998, als es um die Faktorbegrenzung für die Verblendkrone im Molarenbereich ging und das Thema zum Bundestagswahlkampf taugte. Den Ausgang kennen Sie ja. Wollen wir dahin zurück? Wir haben als Berufsstand seit 1998 einiges erreicht, zum Beispiel das Festzuschusssystem beim Zahnersatz oder die im Sozialgesetzbuch V verankerte Mehrkostenvereinbarung für den Füllungsbereich, um nur zwei Themen zu nennen. Auch in jüngster Zeit sind der zahnärztlichen Selbstverwaltung Erfolge gelungen. So konnte man den Gesetzgeber davon überzeugen, dass die 1992 eingeführte Degression versorgungsschädlich ist. Dies alles ist uns gelungen, durch politisch geschicktes Agieren mit belastbaren Konzepten und nicht dadurch, dass wir Patienten in „Geiselhaft“ genommen haben.
Es wird noch lange nur ein „mit Corona“ geben
Aus der Vergangenheit sollten wir lernen, auch in der Diskussion um einen Rettungsschirm für die deutsche Zahnärzteschaft. Dabei dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass sich die Rahmenbedingungen durch COVID-19 nochmals deutlich verändert haben. Denn die Folgen der Pandemie sind auch heute überhaupt nicht absehbar, denn es wird noch lange kein „nach Corona“, sondern nur ein „mit Corona“ geben. Viele Menschen sind verunsichert, denn sie wissen heute nicht, ob sie morgen noch einen Arbeitsplatz haben werden. Denken Sie dabei an die Beschäftigten in der Gastronomie oder an die Kulturschaffenden. Gerade Kunst und Kultur stehen in Deutschland für Pluralität und sind eine Stütze unserer Demokratie und damit im erweiterten Sinne auch systemrelevant für unsere Staatsform. Nicht ganz zu Unrecht kritisiert die weltberühmte Violinistin Anne-Sophie Mutter in diesem Zusammenhang die Diskussion um den Rettungsschirm für die Zahnärzteschaft. In der Öffentlichkeit werden wir so wenig Verbündete finden. Vielmehr geht es um ein geschicktes politisches Agieren ohne Eitelkeiten, denn die zahnärztliche Versorgung steht heute mehr denn je auf dem Spiel, besonders vor dem Hintergrund der Demografie der deutschen Zahnärzteschaft; auch viele Zahnärztinnen und Zahnärzte gehören schon wegen ihres Alters zur Risikogruppe einer schwer verlaufenden COVID-19-Erkrankung. Zweifellos wird das Virus nachhaltig seine Spuren hinterlassen und einige Epidemiologen warnen bereits vor weiteren Pandemien, worauf die Welt nicht gut vorbereitet sei. Alles nur Panikmache?
Freiheit birgt auch immer ein höheres Risiko
Auf jeden Fall müssen wir jetzt den Grundstein für die Zukunft legen. Kann in diesem Zusammenhang das Modell des Rettungsschirms der Ärzte für die Zahnärzte Pate stehen? Das Vergütungssystem der Zahnärzte unterscheidet sich gravierend von dem der Ärzte. Dafür hat der Berufsstand seit Jahrzehnten gekämpft und das Gewonnene gilt es nun zu erhalten und zukunftssicher zu machen. Dabei sollte uns allen klar sein, dass eine gewonnene Freiheit auch immer ein höheres Risiko birgt.
Doch zurück zum Rettungsschirm. Wichtig ist zu verstehen, dass dieser auf den GKV-Umsätzen basiert. Und da unterscheiden sich Ärzte mit mehr als 70 Prozent GKV-Anteil deutlich von den Zahnärzten. Heute werden etwa 50 Prozent der Einnahmen einer zahnärztlichen Praxis über die KZV abgerechnet. Wenn wir überschlagsmäßig davon ausgehen, dass von diesem über die KZV abgerechneten Teil rund die Hälfte den Zahnersatz betrifft, bei dem sich in den Festzuschüssen auch die Laboranteile – und das nicht so gering – befinden, so bezöge sich der Rettungsschirm der Zahnärzteschaft maximal auf ein Honorarvolumen von 25 Prozent. Zieht man von diesem das erhaltene Kurzarbeitergeld noch ab, wie dies bei den Ärzten nach Vorgaben des GKV- Spitzenverbandes praktiziert werden soll, dann würde sich der Rettungsschirm nur noch auf knapp 20 Prozent der Einnahmen einer Zahnarztpraxis anwenden lassen. Ist dieser Schirm dann überhaupt noch aufzuspannen, um durch Corona-Pandemie von der Existenz bedrohte Praxen zu retten?
Wollen wir das Erreichte wirklich aufs Spiel setzten?
Wenn man zusätzlich die Festzuschussanteile aus der Prothetik berücksichtigen würde, wie dies auch die Liquiditätshilfe des Bundes vorsieht, dann wäre der Anteil natürlich höher. Aber zu welchem Preis? Wie bereits erwähnt, sind in den Festzuschüssen auch die Laboranteile enthalten; dies würde unweigerlich zu Anreizen bei den Zahntechnikern führen. Außerdem sehe ich die Gefahr, dass dadurch die Prothetik wieder zum Sachleistungsprinzip werden könnte, bis hin zur „Budgetierung“ (Leistungsobergrenze) dieses Bereichs. Gerade das gilt es zu verhindern, war doch der „andersartige Zahnersatz“ der Einstieg in die Kostenerstattung.
Wenn einige jetzt die Systemfrage stellen, dann müssen sie auch sagen, wie die Versorgung in Zukunft aussehen soll. Denn die Forderung nach „Entlassung“ der Zahnärzteschaft in die „totale“ Freiheit reicht alleine nicht aus. Wie gut wäre der Berufsstand in Gänze auf diese Freiheit vorbereitet und war nicht das GKV-System in der Krise – zumindest bis jetzt – eine Stütze der Praxis? Ist es nicht an der Zeit, dass sich die Selbstverwaltung aus Berufsstand, Krankenkassen, G-BA neu aufstellt und aus ihr die Konzepte kommen?
Wollen wir das Erreichte wirklich aufs Spiel setzten, wenn wir bedingungslos den Rettungsschirm der Ärzte für die Zahnärzte fordern? Wir brauchen für die Zahnärzteschaft einen anders konstruierten Rettungsschirm, der seinen Namen auch verdient. Dieser könnte modular aufgebaut sein; aus einem Anteil der GKV (auch ein Teil der Selbstverwaltung), einem Anteil des Staates – unter anderem werden die Staatsdiener ja auch behandelt – und der Solidarität des ganzen Berufsstandes. Sicherlich eine Herkulesaufgabe, die das Bohren dicker Bretter bedeutet. Aber da bin ich zuversichtlich, denn im „Bohren“ sind wir ja gut!
Dr. Peter Matovinovic, Vorstandsvorsitzender der KZV RLP