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Therapeutische Möglichkeiten bei Zahnbehandlungsangst/-phobie

Therapeutische Möglichkeiten bei Zahnbehandlungsangst

Trotz der heute weitgehend schmerzfreien Behandlung unter Lokalanästhesie empfinden viele Menschen die Zahnbehandlung als unangenehm und bedrohlich. Die Patienten sind zum Teil nur eingeschränkt kommunikationsfähig, empfinden Schmerz intensiver oder sind sogar gänzlich unkooperativ – eine große Herausforderung auch für den Behandler.1 Ob negative Erfahrungen in der Vergangenheit, schlechtes Gewissen wegen mangelnder Mundhygiene, Angst vor eventuell bevorstehenden größeren Eingriffen oder negative Vorbildfunktion des soziokulturellen Umfeldes – die Liste der möglichen Ursachen ist ebenso lang wie vielschichtig.

In einer repräsentativen Umfrage in Deutschland gaben 80 Prozent der Befragten an, sich beim Gedanken an eine zahnärztliche Behandlung nervös oder unbehaglich zu fühlen. Etwa 20 Prozent äußerten sehr starke Angst vor Zahnbehandlungen und etwa fünf Prozent vermieden eine Zahnbehandlung ganz.2 Die Gesamtprävalenz der hochgradigen Zahnbehandlungsangst beträgt in Deutschland etwa fünf bis zehn Prozent. Somit leidet ein beträchtlicher Teil der Menschen unter Zahnbehandlungsangst, die gemäß der International Classification of Disease (ICD-10, F 40.2) beziehungsweise der DSM-V der American Psychiatric Association als spezifische Phobie eingeordnet wird (1).

Die Indikation und Wahl des Behandlungsverfahrens richten sich nach der Dringlichkeit einer Zahnbehandlung und danach, welche der zwei Formen der Zahnbehandlungsangst vorliegt (1):

1. Therapie der Zahnbehandlungsangst ohne Krankheitswert

Die Zahnbehandlungsangst ohne Krankheitswert erfordert in der Regel keine psychotherapeutische oder pharmakotherapeutische Behandlung – vor allem keine psychopharmakologische (besonders ungünstiges Risiko-Nutzen-Verhältnis). Bestehen keine Risiken, so ist der Einsatz optional unterstützender, stressreduzierender oder ablenkender Verfahren vor oder während der Behandlung möglich, z. B. Entspannungstechniken, Hypnose oder Akupunktur (1).

2. Therapie der Zahnbehandlungsangst mit Krankheitswert

a) Psychotherapeutische Verfahren

Ziel der Therapie muss es sein, dass Patienten eine zahnärztliche Versorgung dauerhaft in Anspruch nehmen können. Psychotherapeutische Maßnahmen stellen die nachhaltigste Behandlungsmethode der Zahnarztangst dar. Als effektivste Behandlungsmethode bei Zahnbehandlungsphobie gilt die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), durchgeführt von qualifizierten Psychotherapeuten. Im Mittel nehmen nach erfolgreichen KVT-Interventionen nach mehr als vier Jahren noch 77 % der Patienten regelmäßig Zahnarzttermine wahr.3 Die KVT ist damit die Therapie der 1. Wahl und soll jedem Patienten mit krankhafter Zahnbehandlungsangst angeboten werden. Für Entspannungsverfahren, Musik, standardisierte Information, Akupunktur, Hypnose und medikamentöse Verfahren wurde in der Leitlinie eine negative oder eine fehlende Evidenz ermittelt. Diese Behandlungsverfahren sollen daher nicht alleinig, sondern nur ergänzend bei der Therapie eingesetzt werden (1).

Doch wie lässt sich die Zahnbehandlung temporär realisieren, wenn akuter Behandlungsbedarf vorliegt? Dann stehen Schmerzausschaltung und Beruhigung des Patienten im Vordergrund.

b) Lokalanästhesie

Bei allen Formen der Zahnbehandlungsangst – auch ohne Krankheitswert – ist Schmerz ein wesentlicher Punkt oder sogar die Ursache der Angst. Experten sind sich einig, dass die Schmerzausschaltung durch die Lokalanästhesie zur Reduktion der Zahnbehandlungsangst beiträgt. Auf eine ausreichende Schmerzausschaltung soll daher laut Leitlinie immer geachtet werden. Darüber hinaus wird die Anwendung eines Oberflächenanästhetikums vor der Infiltrationsanästhesie ausdrücklich empfohlen, um den Injektionsschmerz zu verringern. Während die standardmäßige Schmerzausschaltung durch Leitungs- und Infiltrationsanästhesie bei normal ängstlichen Patienten meist gut funktioniert, empfinden viele Patienten mit krankhafter Angst bestimmte Injektionstechniken als bedrohlich. So wird die Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior angsteinflößender wahrgenommen als eine Infiltrationsanästhesie, und durch das Gerät ebenso bedrohlich wirken intraossäre Injektionen (1). Eine gute Alternative, über die aufgeklärt werden muss, bietet die intraligamentäre Anästhesie (4). Die Vorteile (5):

  • Geringerer Injektionsschmerz als bei herkömmlichen Techniken
  • Praktisch keine Latenzzeit (schneller Beginn von Vorteil, um psychische Belastung gering zu halten)
  • Kurze Anästhesiedauer, die für die meisten Eingriffe jedoch ausreicht; danach keine Taubheit der Lippe oder Zunge

In der Regel kommt als Lokalanästhetikum Articain mit Adrenalin zum Einsatz. Da Adrenalin den Sympathikus aktiviert, kann sich durch die stress-/angstbedingte körpereigene Adrenalinausschüttung die Wirkung verstärken. Aus diesem Grund sollte die Gesamtdosis des Anästhetikums begrenzt werden und ein reduzierter Adrenalinzusatz (1:200.000) zum Einsatz kommen (1). Entscheidend für die Wahl des richtigen Präparates ist neben der Indikation auch der Allgemeinzustand des Patienten. Um alle Patienten differenziert anästhesieren zu können, bietet Sanofi unterschiedliche Darreichungsformen von Anästhetika mit unterschiedlichen Adrenalinkonzentrationen sowie ein Präparat ohne Adrenalin an (6).

  • Ultracain® D-S mit dem Verhältnis 1:200.000 und einer Wirkdauer von etwa 45 Minuten für die allgemeine Zahnheilkunde, aber auch für länger dauernde chirurgische Eingriffe bei Patienten mit schwerer Allgemeinerkrankung (7)
  • Ultracain® D-S forte 1:100.000 mit einer Wirkdauer von etwa 75 Minuten für länger dauernde chirurgische Eingriffe bei gesunden Patienten und denjenigen mit leichter Allgemeinerkrankung (7)
  • Ultracain® D ohne Adrenalin mit einer Wirkdauer von etwa 20 Minuten bei Adrenalinkontraindikationen, kardialen Risikopatienten und kurzen Eingriffen ohne langanhaltenden Wundschmerz (8)

c) Pharmakotherapie

Kann ein Eingriff nicht aufgeschoben werden, bis eine KVT erfolgt ist, können zusätzlich zur Lokalanästhesie kurzfristig medikamentöse Therapien zum Angstabbau und/oder zur Sedierung bis hin zur Allgemeinanästhesie eingesetzt werden. Sie helfen jedoch nicht bei der langfristigen Therapie der krankhaften Zahnbehandlungsangst. Erste Wahl stellt dabei die leichte Sedierung mit Benzodiazepinen dar. Midazolam ist in Deutschland aufgrund seines Risiko-Nutzen-Profils in der Therapie von Patienten mit Zahnbehandlungsangst das am besten geeignete Präparat. Kommt dies nicht in Frage (Kontraindikationen), wird als zweite Option Lachgas angewendet. Wenn eine minimale Sedierung nicht ausreicht, kann eine moderate Sedierung erwogen werden, die meist oral oder intravenös erfolgt (Benzodiazepin, Analgetikum/Opioid als Monosubstanz). Die moderate Sedierung mittels Benzodiazepin stellt die dritte Wahl bei der Sedierung von Angst-Patienten dar. Alternativ kann nach strenger Indikationsstellung durch den Anästhesisten eine tiefe Sedierung erfolgen. Die Allgemeinanästhesie (Vollnarkose) stellt die Ultima Ratio dar. Bei allen Formen ist eine Bestimmung des Risikoprofils, z. B. durch ASA-Klassifikation, angezeigt. Die Vitalparameter des Patienten müssen überwacht werden (1).

Praxistipps: Wie kann der Zahnarzt zum Angstabbau beitragen?

Unabhängig von der Art der psychotherapeutischen Intervention bei Zahnbehandlungsphobie brachen circa 30 Prozent der Phobiker die Therapien ab (9,10). Welche Faktoren also begünstigen das Vermeidungsverhalten beziehungsweise machen einen Behandlungsabbruch wahrscheinlich? Die einzigen Parameter, die eine Korrelation mit dem Vermeidungsverhalten aufweisen, sind der Wunsch nach Kontrolle, ein geringes Kontrollerleben sowie eine erlebte große Diskrepanz zwischen diesen beiden Parametern und eine geringe Selbstüberzeugung. Das bedeutet: Patienten, die während der Behandlung ein Kontrollbedürfnis haben, müssen diese Kontrolle auch erleben (11). Die Daten einer repräsentativen Umfrage untermauern dieses Ergebnis (2): Gefragt nach ihren Vorschlägen für eine angenehmere Zahnbehandlung gaben 69 % der Befragten eine bessere Aufklärung und Informationsvermittlung während der Behandlung an. Neben einer schmerzfreien Behandlung (58 %) bestand darüber hinaus unter anderem der Wunsch nach einem empathischen Zahnarzt (62 %), der mit seinen Patienten über ihre Ängste spricht (45 %) und ihnen hilft, sich zu beruhigen und zu entspannen (53 %). Diese Zahlen machen deutlich, dass neben der kompetenten Information auch Zuwendung, gegenseitige Wertschätzung und menschliche Wärme eine entscheidende Rolle bei der Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst spielen.

Literatur

  • 1 Enkling N et al. AWMF (Hrsg.). S3-Leitlinie Zahnbehandlungsangst beim Erwachsenen. Oktober 2019. Online abrufbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/083-020l_S3_Zahnbehandlungsangst-beim-Erwachsenen_2019-11.pdf
  • 2 Enkling N, Marwinski G & Jöhren P. Dental anxiety in a representative sample of residents of a large German city. In: Clinical Oral Investigations 2006(10;1): 84 -91.
  • 3 Kvale G, Berggren U, Milgrom P. Dental fear in adults: a meta-analysis of behavioral interventions. Community Dent Oral Epidemiol 2004(32): 250 -64.
  • 4 Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. April 2016 (Az. 26 U 199/15)
  • 5 Abuae A, Buttchereit I, Kämmerer PW. Der besondere Fall mit CME: Extraktion unter ILA bei einer Phobie-Patientin. Zahnärztliche Mitteilungen 2016(5):42-45. Online abrufbar unter: https://www.zm-online.de/archiv/2016/05/zahnmedizin/extraktion-unter-ila-bei-einer-phobie-patientin/seite/alle/
  • 6 Daubländer M, Kämmerer PW, Liebaug F, Ein praxisnaher Leitfaden: Differenzierte Lokalanästhesie 2016, Online abrufbar unter: https://www.dentalmagazin.de/praxiszahnmedizin/vermischts/differenzierte-lokalanaesthesie/
  • 7 Sanofi, Fachinformation Ultracain® D-S, Ultracain® D-S forte, Dezember 2018.
  • 8 Sanofi, Fachinformation Ultracain® D, April 2017.
  • 9 Berggren U, Linde A. Dental fear and avoidance: a comparison of two modes of treatment. J Dent Res 1984 (63):1223-1227.
  • 10 Jöhren P et al. Fear reduction in patients with dental treatment phobia. Br J Oral Maxillofac Surg 2000(00): 1-5.
  • 11 Jöhren P, Enkling N, Sartory G: Prädiktoren des Vermeidungsverhaltens bei Zahnbehandlungsphobie. in press: Dtsch Zahnärztl Z 2005 (60): 161-165.

Hinweis: Das im Text beschriebene Vorgehen dient der Orientierung, maßgeblich sind jedoch immer die individuelle Anamnese und die Therapieentscheidung durch die behandelnde Ärztin/den behandelnden Arzt. Die aktuellen Fachinformationen und Leitlinien sind zu beachten.