Berlin, Kurfürstendamm 64, sechster Stock: Raus aus dem Aufzug – rein in eine andere Welt in Honiggelb. Man betritt einen überdimensionierten Bienenstock, mit weich-fließenden, wabenförmigen Wänden und Decken, der trotz regem Betrieb wohltuende Ruhe und Wärme ausstrahlt. Es riecht nach frischem Kaffee, der Milchaufschäumer zischt, begleitet von geschäftigem Tassenklappern. Kaum vorstellbar, das ist eine Zahnarztpraxis, ohne typischen Dentalgeruch.
Praxis auf 2.000 Quadratmetern
Alles gewollt und bis ins Detail geplant von den Graft-Architekten, die normalerweise Luxushotels einrichten oder Promihäuser, wie die von Angelina Jolie und Brad Pitt. Chill-Atmosphäre auf knapp 2.000 Quadratmetern, nach dem Konzept der "Healing architecture" (heilende Architektur), bei dem die Umgebung Teil der Therapie ist. An der Rezeption surrt die Espressomaschine, zwei Mitarbeiter versorgen die Patienten mit Getränken, nervig-klingelnde Telefone Fehlanzeige.
Die Telefonzentrale liegt direkt gegenüber, in einem eigenen Raum, hinter Glas. "Acht Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich darum", sagt der Key-Account-Manager der Großpraxis Fabian Jain. Bei fast 66.000 Patienten und rund 400 Anrufen pro Tag ist das auch nötig. "Wir rufen den Patienten auch zurück, falls er uns nicht erreicht, das klappt in den allermeisten Fällen", so Jain.
Dentales Spa über dem Kudamm
Praxisgründer Stephan Ziegler wollte ein "dentales Spa" schaffen, als er die Praxis vor zehn Jahren übernahm, einen Ort, an dem der Patient, egal ob Privat oder Kasse, vergisst, dass er eigentlich beim Zahnarzt ist. Das geht einem spätestens so, wenn man auf der Dachterrasse in einem der Strandkörbe wartet oder sich im Wartezimmer unweit des offenen Kamins am iPad ablenken kann.
Dieses Wohlfühlkonzept geht offenbar auch auf bei den schwierigsten Klienten: den Kindern. Die haben bei KU64 ein eigenes kleines Spielparadies mit Bobby-Car, Bällebad, Playstation und Kletterwand. Einige wollen da gar nicht mehr nach Hause, erzählt Jain. „Die Kinder fühlen sich wohl, schöpfen Vertrauen, das ist gewollt, denn dadurch brauchen wir kaum eine Untersuchung unter Narkose durchführen, die Kinder machen irgendwann freiwillig den Mund auf.“
Keine Ecken und Kanten
Vier Kinderzahnärzte kümmern sich um die kleinen und jungen Leute. Denen bietet die Praxis etwas Besonderes: den Kidsclub. "Wenn das Kind zum ersten Mal zu uns kommt, idealerweise beim ersten Zahn, wird anhand verschiedener Indikationen das Kariesrisiko abgeschätzt und so entschieden, wie häufig eine Prophylaxebehandlung nötig ist", so Jain.
"Außerdem erklären wir genau, wie zu Hause geputzt werden muss." Hält sich der kleine Patient daran, übernimmt die Praxis die Garantie, dass das Kind bis zum 18. Lebensjahr kariesfrei bleib. "Passiert doch etwas, übernehmen wir die Behandlungskosten. Wir wollen die Kinder damit motivieren, etwas für ihre Zahngesundheit zu tun."
Abschreckende Bilder von kranken Zähnen sucht man in der gesamten Praxis vergeblich, in den Behandlungsräumen sind möglichst wenige Instrumente zu sehen. Ecken und Kanten fehlen völlig, die organische Architektur in freundlichem Sonnengelb ist angelehnt an eine Dünenlandschaft, unterbrochen von "hängenden Gärten", Wandelementen, die mit Grünpflanzen bewachsen sind. "Die meisten Patienten fühlen sich aber eher an das Innere eines Raumschiffs erinnert", sagt Jain.
Auf zwei Etagen – bald soll noch eine dritte (und damit weitere 800 Quadratmeter) hinzukommen – arbeiten insgesamt 23 Zahnärzte mit eigener Spezialisierung, 18 Prophylaxemitarbeiter sowie Dentalhygieniker, Verwaltungsangestellte und Assistenz – insgesamt 115 Mitarbeiter. „Wir sind die vermutlich größte Einzelzahnarztpraxis an einem Standort in Deutschland“, sagt Jain.
Patienten- und Mitarbeiterbindung wichtig
Die ist geöffnet wochentags von 8 bis 20 und am Wochenende von 9 bis 19 Uhr, das ganze Jahr über, bis auf vier Tage. "Der Service steht bei uns an erster Stelle, das trägt zudem zur Patientenbindung bei."
Um diesen Rundumservice zu stemmen, arbeiten die Mitarbeiter in einem Schichtsystem: Vier Tage am Stück arbeiten (mit einer Stunde Pause), sieben Tage frei haben, drei Tage am Stück arbeiten und wieder sieben Tage frei. Dieses Schichtsystem wird von unseren Angestellten sehr geschätzt, in der freien Woche können sie viel erledigen oder einen Kurzurlaub machen“, so Jain.
Die Berliner Praxis legt viel Wert darauf, dass sich auch die Mitarbeiter wohlfühlen. Ein Koch bereitet täglich das Mittagessen frisch zu. Zudem erhalten die Angestellten laut Jain viele Vergünstigungen, wie günstigere Konditionen in Fitnessstudio, oder die Praxis übernimmt die Kosten für das Ticket mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Großpraxis ohne Fließbandabfertigung
"Es ist ein großer Irrtum, dass diese Praxis, wie sie ist, etwas ist, was niemand erreichen kann", sagt Jain. "Stephan Ziegler hat mit einer kleinen Praxis mit zwei Praxispartnern angefangen, jetzt sind wir 23 Zahnärzte, das ist machbar." Man benötige auch keine Wahnsinnsinvestition dafür. Das patientenfreundliche Konzept gehe jedenfalls auf. Jeden Monat kommen laut Jain rund 600 bis 700 neue Patienten zu KU64.
"Denen wollen wir bestmögliche Qualität bieten." Die beginne bereits beim Anruf in der Praxis. Maximal 30 Sekunden warte ein Anrufer in der Warteschleife. Sollte er einmal vergeblich anrufen, werde er in den allermeisten Fällen zurückgerufen. "Damit rechnet doch kein Patient, dass ihn eine Zahnarztpraxis zurückruft.“
Schon mit wenigen Mitteln könne sich eine Praxis abheben und Wohlfühlatmosphäre bieten. "Das beginnt zum Beispiel damit, dass sich ein Patient an der Rezeption beachtet fühlt", so Jain. "Doch wenn ich zum Zahnarzt komme und die Mitarbeiterin telefoniert, schaut mich noch nicht einmal an und lässt mich warten, so etwas geht nicht. Im Restaurant würde man gehen, beim Zahnarzt trauen sich das viele nicht."
Kleine Dinge, die wenig kosten, die der Patient jedoch wahrnehme, seien in jedem Praxisalltag einfach umsetzbar. So könne sich etwa zu bestimmten Zeiten ausschließlich ein Mitarbeiter an der Rezeption ums Telefon kümmern, das Telefon müsse zudem nicht unbedingt an der Rezeption stehen.
"In manchen Praxen wird die Verwaltungsassistenz auch an der Rezeption eingesetzt, dafür ist sie eigentlich überqualifiziert." Im Wartezimmer müssten keine alten Stühle oder abgestorbenen Pflanzen stehen. Eine Kindertisch und Spielzeug seien ideal, noch besser sei ein separates Kinderwartezimmer, wenn es die Raumsituation hergebe. "Viele Elemente in unserem Kinderwartebereich sind Ideen von unseren Mitarbeitern, zum Beispiel die Kletterwand oder Bobby-Cars."
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