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Lockerungsstrategie oder „Mensch ärgere dich nicht“

Von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Seit Mittwochabend vergangener Woche ist wieder einmal alles anders, wir haben in Deutschland einen neuen Corona-Maßnahmenplan. Einen Plan, um mehrere Dinge gleichzeitig zu erreichen: der Wirtschaft etwas Gutes tun, die Bevölkerung friedlich zu stimmen und möglicherweise – unbeabsichtigt – die nächste Corona-Welle einzuleiten.

Der neue Plan ist kompakt und passt auf ein DIN-A4-Blatt im Querformat. Was auf den ersten Blick übersichtlich und einfach wirkt, birgt bei genauerem Hinsehen allerdings doch seine Tücken. Es ist irgendwie ein wenig wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel: Ein einfacher Spielplan mit simp­len Regeln (es sei denn, man schafft sich seine eigenen Regeln).

Ein einfacher Spielplan mit simp­len Regeln...

Würfelt man eine Sechs (liegt die Inzidenz unter 50), darf man seine Startposi­tion (seine Wohnung) verlassen, das Spielfeld betreten und sich Schritt für Schritt in Richtung Ziel bewegen (den Einzelhandel, die Gastro­nomie etc.). Je mehr Spieler auf dem Spielfeld gleichzeitig unterwegs sind (je mehr Lockerungen in Kraft treten), desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, rausgeworfen zu werden (sich irgendwo anzustecken). Dann muss man wieder an die Startposition (nach Hause/in den Lockdown) zurückkehren und auf die nächste Sechs (einen durchschnittlichen Inzidenzwert von unter 100 oder gar 50) warten...

Im ungünstigsten Fall kann dieses Szenario mehrfach in Folge auftreten, bis man seine Spielfiguren irgendwann dichtgedrängt im Ziel versammelt hat (die Pandemie vorüber ist – was laut Einschätzung der WHO vermutlich erst Anfang 2022 der Fall sein wird).

... die mitten im Spielverlauf geändert werden

Anders als im Spiel werden die Regeln in der Realität aber immer wieder geändert – auch mitten im Spielverlauf. Vor einer Woche haben wir es wieder erlebt: Es gibt einen neuen Öffnungsplan, der zeitlich gestaffelt bestimmte Lockerungen vorsieht, wenn die Inzidenzwerte sich weiter verringern. Für den Fall, dass die Werte die Grenze von 50 überschreiten, sollen wieder Verschärfungen eintreten.

Man hat damit das Gefühl, der Lockdown mit all seinen unbequemen Einschränkungen neige sich wirklich dem Ende entgegen, aber leider passen die aktuellen Infektionszahlen überhaupt nicht dazu, denn nicht nur in Deutschland, auch europaweit werden steigende Infektionszahlen beobachtet, unter anderem als Folge des Auftretens deutlich ansteckenderer Virus-Mutationen. Selbst Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht davon, die Lockerungen seien an der Grenze des Verantwortbaren.

Dynamik ausgerechnet bei der Lockerungsstrategie.

Die Lage ist extrem dynamisch, aber man hat den Eindruck, die deshalb nötigen dynamischen Anpassungen zum Beispiel bei der Impfverordnung, der Impfdurchführung oder der Teststrategie lassen die nötige Dynamik vermissen.

Dynamik entfaltet sich dafür ausgerechnet im Bereich der neuen Lockerungsstrategie. Das passt nicht so ganz zusammen. Schon warnen Ärztevertreter vor der dritten Welle, beschleunigt durch B117 und andere Virus-Mutationen (weitere wer­den folgen). Gleichzeitig stehen die niedergelassenen Ärzte in den Start­löchern, um den Impffortschritt durch zusätzliche Impfungen in ihren Praxen deutlich zu beschleunigen. In Aussicht gestellt ist allerdings bisher ein Praxis-Impfstart erst im April – immerhin für Anfang April.

Es gibt (nicht) genug Schnelltest

Was die angekündigten Schnelltests angeht, weichen die Ankündigungen von­einander ab, was wann für wen zu haben sein wird (und was es kosten soll). Der eine (Spahn) sagt, ab dieser Woche gibt es genug Tests, der andere (Laumann) sagt simultan, es werden (vorerst) nicht ge­nügend Schnelltests für alle da sein.

Es bleibt also leider vorerst bei einer unüberschaubaren Situation, weil viele Einflussfaktoren gleichzeitig das Geschehen beeinflussen. Auch wenn die Corona- Müdigkeit zunimmt, wir brauchen weiterhin Geduld, bis sich durch Impffortschritte und erweiterte Teststrategien ein deut­licheres Bild ergibt und man wirklich von einer fühlbaren und dauerhaften Ent­spannung sprechen kann.