Sein Wunsch, Berge zu besteigen, wuchs bei Dr. Dr. Gregor Hundeshagen, MSc, nach einem Rundflug über Kenia. „Wir sahen lichte Wälder aus Akazienbäumen, die Savanne … überragt von einem Berg, dessen schneebedeckter Gipfel den Himmel zu berühren schien: der Kilimandscharo.“ Damals hatte er noch keine Erfahrung als Bergsteiger. Doch ein Freund und er setzten sich in den Kopf, am 1. September 2000 den Gipfel dieses beeindruckenden Berges zu erreichen. Tatsächlich schafften sie es.
„Wenn ich daran zurückdenke, kann ich selbst nur den Kopf schütteln“, erzählt der 57-Jährige. „Damals haben wir alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Einfach weil wir es nicht besser wussten.“ Erst später habe er erfahren, dass viele Reiseanbieter häufig auf die so wichtige allmähliche Höhenanpassung verzichten. „Bei mir machte sich das durch quälende Kopfschmerzen auf den letzten beiden Etappen zum Gipfel bemerkbar. Doch ich hielt durch und hatte beim Eintauchen in die Wolkendecke das Gefühl, dem Himmel ein Stück näher gekommen zu sein.“
Dieses Erlebnis ließ ihn nicht mehr los. Mittlerweile gehört Gregor Hundeshagen zu den wenigen Bergsteigern, die die sieben höchsten Berge der Welt – die Seven Summits – bestiegen haben. „Früher war das eine Domäne der professionellen Bergsteiger. Ich habe als Amateur mein Glück versucht. Denn ich hatte den brennenden Wunsch, es nach dem Kilimandscharo besser zu machen.“
Was er alles erlebte und wie seine Touren sein berufliches und privates Leben prägten, hat er in seinem Buch „Mein Seven Summits Weg – Ein MKG-Chirurg besteigt die höchsten Gipfel aller Kontinente“ festgehalten. „Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich ein Heer von Schutzengeln hatte. Besonders bei meiner größten Herausforderung – der Besteigung des Mount Everest.“ Über diese Exkursion berichtete er beim 7. Nobel Biocare Ostseesymposium – vor Teilnehmern, die seinen Ausführungen gebannt zuhörten.
Hier und da schüttelte jemand ungläubig den Kopf, als Gregor Hundeshagen erzählte, wie auf dem Weg zum Basecamp sein berufliches Talent von einem Mitglied seiner Gruppe dringend gebraucht wurde, und was er dabei alles erlebte. „Aldo, ein Notar aus Italien, litt unter fürchterlichen Schmerzen. Kurz vor der Abreise war ihm ein Zahn gezogen worden, das leere Zahnfach war mit Knochenersatzmaterial aufgefüllt.“ Während der Reise hatte sich ein Abszess ausgebreitet. „Seine Backe war geschwollen, so konnte er nicht weitermachen.“
Über einen Kontakt erfuhren sie von einer Zahnarztpraxis in Xigatse und hatten Glück: Der tibetische Kollege stellte den beiden einen Stuhl zur Verfügung. „Der Behandlungsraum war durch ein Schaufenster voll einsehbar. Und neben den Patienten, die auf ihre Behandlung warteten, saßen dort auch einige Angehörige, die uns neugierig zuschauten. Das war mein erster Eingriff vor Publikum“, erzählt er. Hundeshagen operierte – mit teils veralteten Geräten –, und es ging alles gut.
Nach einigen Ruhetagen und verschiedenen Etappen auf dem Weg in Richtung Gipfel wurde es ernst. „Unser Bergführer Kari Kobler stellte Regeln für die Gruppe auf – unter Androhung, jeden auszuschließen, der sich nicht daran halten würde. Er sagte: Keiner redet schlecht über den anderen. Keiner denkt am Anfang schon an die letzte Etappe, denn wir bewältigen eine nach der anderen.“
Sprichwörtliche Totenstille breitete sich aus, als auf der nächsten Folie von Gregor Hundeshagens Präsentation das Bild eines Mannes zu sehen ist, der auf dem Boden liegt. Er trägt einen sonnengelben Schneeanzug. „Ich machte ein Foto, weil ich dachte, Mensch, der Sherpa da hat ja die Ruhe weg. Der liegt hier oben und sonnt sich.“ Erst auf den zweiten Blick fiel ihm auf, dass das linke Bein des Mannes verdreht war. „Er gehörte zu einer anderen Expedition. Wir erfuhren, dass er etwa eine Woche zuvor verunglückt war. Es war meine erste Leiche auf dem Mount Everest.“
Kurz hält der MKG-Chirurg inne, dann sagt er: „Man muss vorher unterschreiben, dass man sich der Gefahr bewusst ist. Da oben rettet dich keiner. Denn bei einer Höhe von mehr als 8.500 Metern kann kein Hubschrauber fliegen, und Tote zu bergen ist einfach zu gefährlich. Der Weg ist mit Leichen gepflastert. Sie bleiben da oben, bei minus 20 Grad. Wahrscheinlich für die Ewigkeit.“
Gregor Hundeshagen selbst ist zu diesem Zeitpunkt, so kurz vor dem Ziel, bereits physisch ausgelaugt. „Unser Bergführer traute mir die letzte Strecke nicht mehr zu. Ich war deutlich später als die anderen am Etappenziel angekommen, deshalb wollte er, dass ich abbreche. Das kam für mich nicht infrage. Also schlossen wir einen Deal.“ Gregor Hundeshagen machte den Vorschlag, vor allen anderen loszugehen, um es zum sogenannten Second Step zu schaffen. Wer diesen erreicht, schafft es fast immer bis ganz oben.
Kari Kobler gab ihm dafür vier Stunden Zeit und verlangte ihm das Versprechen ab, ohne zu murren umzukehren, falls er länger brauchen sollte. „Ich habe es in den vier Stunden geschafft. Und danach mit den anderen aus meiner Gruppe bis zum Gipfel. Das Gefühl, wenn man dort oben ist, ist einfach unbeschreiblich. Es ist mit nichts zu vergleichen.“
Mit den Sherpas – die entscheiden dürfen, eine Expedition abzubrechen, falls sie bemerken, dass jemand nicht stark genug ist, um es zu schaffen – machten sie sich wieder an den beschwerlichen Abstieg. „Insgesamt hat die Tour zwei Monate gedauert. Dafür wurde ich von meiner Praxis freigestellt, der ich dafür wirklich dankbar bin.“ Von allen Touren sagt er, dass die zum Everest am anstrengendsten war – „wegen der Leichen und der Höhe. Man weiß einfach, da sind viele Leute, die schaffen es nicht. Dass dann zuhause die Frage gestellt wird, warum man das eigentlich macht, wunderte mich nicht. Aber die Frage nach dem Warum muss jeder für sich selbst beantworten“. Mittlerweile hat sich Gregor Hundeshagen ein anderes Hobby zugelegt. „Ich gehe jetzt Kite-Surfen. Was danach als Herausforderung auf mich zukommt, weiß ich noch nicht.“ Ob er irgendetwas bereut? „Vielleicht, dass ich die Sorgen meiner Familie damals nicht ernst genommen habe. Meine Frau hatte bei den Bergtouren Angst um mich. Ich dachte aber, mir könne nichts passieren.“ Seine Ehe zerbrach – nicht nur wegen der Berge … Trotz dieses negativen Kapitels hat er viel Kraft aus dem Erlebten schöpfen können. „Ich habe so viele Menschen getroffen, die mit so wenig auskommen und trotzdem glücklich sind. Auch das hat mein Leben verändert. Ich bin ein richtig positiver Mensch geworden. Und es hat mir geholfen, aus diesem Hamsterrad ,Praxis‘ rauszukommen, das einen sonst irgendwann auffrisst.“
Mit einem Lächeln sagt er schließlich: „Man wird absolut demütig, wenn man auf dem Everest war. Wenn man das geschafft hat, ist man erst mal voller Endorphine. Ich war sicher, nichts kann mich stoppen. Doch dann hatte ich einen Autounfall und fiel in ein Loch. Es dauerte, bis ich da wieder rauskam. Doch mittlerweile habe ich gelernt, mich über kleine Dinge zu freuen.“ Mit dem Zeigefinger deutet er Richtung Himmel. „Ich bin hier. Ich lebe. Dafür bin ich dem da oben unendlich dankbar.“
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