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DZW Bonner Runde: „Wir werden extrem gebraucht“ – „Werden wir das?“

Zahnrad Industrie 4.0

Bonner Runde: Die Wertschöpfungsketten haben sich bereits geändert, in welche Richtung wird sich der Markt weiterentwickeln?

Konsequent weitergedacht in der Denkweise der Propheten der digitalen Transformation würde dies bedeuten: „Zahntechnik ist wichtig für den Markt, Dentallabore sind es nicht.“ Die Wertschöpfungsketten haben sich bereits geändert, in welche Richtung wird sich der Markt weiterentwickeln? In der Bonner Runde diskutierten mit Rudolf Weiper Laborinhaber, Fräszentren-Betreiber und führende Innungsvertreter, wie Dental 4.0 die Zahntechnik der Zukunft verändern wird. Zum Jahresende 2015 hatte die Bonner DZW-Redaktion bereits in zwei eigenen Bonner Runden zunächst Experten aus Dentalindustrie und -handel, dann Zahnärztinnen und Zahnärzte eingeladen, ihre Prognosen abzugeben.

Neue Geschäftsmechaniken ersetzen gewohnte Praktiken scheinbar mühelos

Berufe ändern sich, alles scheint möglich in einer Welt, in der Software-Firmen Automobile bauen, Organe aus dem 3-D-Drucker kommen oder Internetversandhändler quasi „alles“ verkaufen: ohne Verkäufer und Beratung, ohne dass der Käufer die Ware gesehen hat oder gleich nach dem Bezahlen mit nach Hause nehmen kann – anscheinend stört das kaum noch jemanden.

Ist der Prothetikmarkt „anders“ genug?

Im Gegenteil, diese Geschäftsmechanik vieler dieser neuer Erfolgsmodelle ersetzt gewohnte Praktiken scheinbar mühelos. Ist der Prothetikmarkt wirklich so anders, dass er immun allgegenwärtigen Entwicklungen entgegenläuft? Eher nicht, wie schon die ersten Trends zeigen. Auch auf dem „Zahntechnik-Marktplatz“ tummeln sich neue Mitbewerber wie beispielsweise Fräszentren der Industrie und Anbieter, die günstigen, im Ausland gefertigten Zahnersatz vertreiben.

Entwicklung hin zu zwei Märkten selbst zugelassen

Angebote, die auch einige Teilnehmer der Bonner Runde ganz bewusst in Anspruch nehmen und gezielt in ihr Geschäftskonzept einbauen. Die Zahl der auf diese Weise alle Felder der Produktionsmöglichkeiten bespielenden Labore nimmt anscheinend zu, wenn man den aktuellen Marktanteil der Fertigungszentren und des Auslandszahnersatzes sieht, der nicht über die Top 10 der klassischen Auslandsanbieter, sondern über Praxen und Labore selbst gehandhabt wird. Dies aus unterschiedlichsten und guten Gründen, vor allem aber um wirtschaftlich und umfassend die Zahnarzt-Kundenwünsche erfüllen zu können. „De facto bestehen doch schon zwei Märkte“, resümierte die Runde. „Wir haben selbst diese Trennung zugelassen und sind parallel auf die ‚Billigschiene‘ aufgesprungen“, so ein Laborinhaber.

Bonner Runde

In der Bonner Runde diskutierten unter der Moderation des Baseler Strategieberaters Rudolf Weiper Laborinhaber, Fräszentren-Betreiber und führende Innungsvertreter, wie Dental 4.0 die Zahntechnik der Zukunft verändern wird.

Unternehmen liefern schon heute auf Wunsch alles aus einer Hand

Überhaupt ist viel Bewegung im Dentalmarkt. Es wird kooperiert, Firmen werden zugekauft und es bilden sich große Konzerne, die die gesamte Prozesskette der Zahnersatzherstellung abbilden können. Unternehmen liefern nicht nur die komplette Hard- und Software, Praxis- und Laborausstattung inklusive Materialien, sondern über „Connect-Plattformen“ auch gleich den fertigen Zahnersatz bis in Praxis und Labor.

Wird am Ende die eigene Konkurrenz unterstützt?

Speziell auch Implantathersteller versuchen über das navigierte Implantieren mit Bohrschablonen, der Lieferung individueller Abutments und gefrästen Stegversorgungen hinaus, den Prothetikmarkt in Zentralfertigungen abzudecken. Weniger leicht als der Zahntechniker ist in dieser Kette der Zahnarzt zu ersetzen. Auch bietet die Praxis ungleich mehr Digitalisierungsansätze – vom digitalen Röntgen, Verwaltung, Intraoralsanner bis hin zum computergestützten navigierten Implantieren und Chairside-Versorgungen, um nur einige zu nennen, und damit mehr „Markt und Umsatzpotenzial“ für Dentalindustrie und -handel als das klassische Labor. „Man muss wissen, wer mit wem und wie heute zusammenarbeitet. Sonst unterstützt man am Ende die eigene Konkurrenz“, so ein Statement in der Bonner Runde.

Rudolf Weiper

Der Baseler Strategieberaters Rudolf Weiper moderierte die 14 Bonner Runde in den Räumen der DZW-Redaktion.

CAD/CAM-Fertigung an die „Cerec-Helferin“ delegierbar

Konkurrenz machen aber nicht nur Industrie und Fräszentren, auch der Zahnarzt selbst „macht Zahnersatz“: „Die Maschinen werden immer besser“, so ein Laborinhaber. „Chairside-Versorgungen werden uns Arbeit wegnehmen, besonders wenn vieles an Assistenzpersonal, Stichwort „Cerec-Helferin“, delegierbar wird.“ – „Wo bleibt der Zahntechniker, wenn irgendjemand das Knöpfchen drückt und der 16-er kommt unten raus?“, lautete die nicht unberechtigte Frage eines Teilnehmers. Dazu kommt, dass einige Versorgungsformen, wie beispielsweise Inlays, als Laborleistung so gut wie gar nicht mehr nachgefragt werden.

In großen MVZ rechnen sich Praxislabore erst recht

Noch ist die Anzahl der Praxislabore und deren Umsatz in den vergangenen Jahren gleich geblieben. Sollten sich mit den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zunehmend größere Einheiten mit mehreren Behandlern etablieren, könnte sich dieses Bild rasch verschieben. „Dann rechnen sich Praxislabore richtig“, befürchteten Teilnehmer der Runde. „Durch die Feminisierung der Praxen wird die Idee der MVZ vorangetrieben, denn sie ermöglichen geregelte Arbeitszeiten, auch Halbtagsstellen.

Weniger Praxen werden mehr Umsatz mach müssen

Viele junge Zahnärzte scheuen zudem den Gang in die Selbstständigkeit mit all seinen Risiken“, so die Einschätzung. „Wir werden weniger Praxen haben, aber mehr Umsatz machen müssen, um qualifiziertes Personal bezahlen zu können. Das wird schwierig“, hieß es weiter. „Überhaupt werden die Praxen mit zunehmender Digitalisierung betreuungsintensiver“, so ein Teilnehmer, der beklagte: „Wir hängen in den Praxen rum und verdienen dabei nichts.“ Gerade kleinere Betriebe können sich das nicht leisten.

Groß oder klein? Für Dentallabore nicht die entscheidende Frage

Intensiv diskutiert wurde in Bonn, ob große Labore generell im Vorteil gegenüber kleinen Betrieben sind? Für beide Größenordnungen fanden sich sehr wohl vehemente Befürworter und Argumente. Nicht groß oder klein ist dabei anscheinend die Frage, wie die Beispiele aus den Laboren zeigten. „Mit geschicktem Digital kann sich auch ein kleines Labor im Markt behaupten, viel wichtigere Erfolgsfaktoren sind eine klare Positionierung, digitale Kenntnisse und die betriebswirtschaftlich klare Führung des Labors“, lautete die Quintessenz der Teilnehmer. Nicht zu unterschätzen sei auch die Persönlichkeit des Laborinhabers. Wenn der es schaffe, als quasi „Eigenmarke“ das Vertrauen „seiner Zahnärzte“ zu gewinnen, kann durchaus auch ein kleineres hochqualifiziertes Labor noch erfolgreich funktionieren. Interessant war zu hören, wie besonders die jüngere Laborinhabergeneration schon gezielt Social Media nutzt, neue Werbekanäle bespielt und so den Fokus erfolgreich auf die direkte Patientenansprache verlagert.

Finanzieller Spielraum für Investitionen in die Digitalisierung klein

Für Dentallabore ist es wie für die etablierten Industrie- und Handelsunternehmen eine teure Herausforderung, ihre vorhandenen Strukturen an die Geschwindigkeit der Digitalisierung so anzupassen, dass die vorhandenen Kundendaten auch sinnvoll für Produktentwicklung, Service, Kommunikation, Kundenanalyse und -bindung ausgewertet und genutzt werden können. „Das machen wir noch viel zu wenig, weil das bisher viel zu aufwendig war“, konstatierte bereits ein Teilnehmer der Bonner Runde Industrie. Gleiches war nun erst recht vonseiten der Dentallaborinhaber zu hören, deren finanzieller Spielraum für Investitionen in die Digitalisierung noch kleiner ist.

„Normalen“ Laboren kommen an viele operative Details gar nicht dran

Auch das Thema Datenschutz und ständig verschärfte Richtlinien machen es schwierig, die für das eigene Geschäft relevanten Daten gewinnen und auswerten zu können. „Bei ihren Praxisdaten sind Zahnärzte empfindlich, man bekommt nur allgemeine E-Mail-Adressen, keine personalisierten, das macht die digitale Direktansprache fast unmöglich“, so die allgemeine Erfahrung vonseiten der Industrie und des Handels. Gleiche Erfahrungen machen hier die Labore: „An Patientendaten kommen wir überhaupt nicht.“ Über auswertbare Daten verfügen KZVen, Versicherungen und Factoring-Anbieter. Aber auch Fräszentren erheben Daten über operative Details, die „normale“ Labore oder deren Verbände nicht haben.

Zersplitterung der „Szene“

All dies führt ebenfalls zu einer „Zersplitterung der Szene“, wie viele Teilnehmer der Bonner Runde bedauerten. „Ein bisschen mehr ‚Kirchentag‘ in der Zahntechnik wäre schön“, so ein Teilnehmer. Der Wettbewerb wird immer härter. Die Zahlen machen es noch deutlicher. Wenn etwa ein Viertel des Prothetikumsatzes in die Praxislabore geht, ein weiteres geschätztes Viertel in Auslandzahnersatz und Fräszentren, dann bleiben heute im Vergleich zu 2005 nur noch 50 Prozent der Arbeiten im klassischen Labor. Das bedeutet, in nur zehn Jahren hat sich der Zahntechnikmarkt dramatisch geändert.

Daten werden den Prothetikmarkt erneut stark verändern

Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Zahnmedizin und Zahntechnik – hier werden Intraoralscanner und der 3-D-Druck als zusätzliche Treiber fungieren – wird sich das Volumen der nutzbaren Daten dramatisch erhöhen. Prognostiziert wird eine exponentielle Steigerung bis 2020 um das 18-fache! All dies wird den Prothetikmarkt in den kommenden fünf bis zehn Jahren nochmals stark verändern. Der „Kampf um die Daten“ beginnt erst richtig. Die Digitalisierung und die von ihr bisher ausgelösten Änderungen im Markt waren anscheinend nur der Vorlauf.

Viele Strategieansätze und ganz neue Dienstleistungen

Wie wollen die Teilnehmer unserer 14. Bonner Runde mit diesen Herausforderungen umgehen? Die Ansätze waren so unterschiedlich, wie die Teilnehmer und die Strukturen, in denen sie arbeiten. Ein gefestigtes Bild, wo die Reise hingeht, kann momentan niemand zeichnen. Strategien aber waren zu hören: „Wir müssen schnell und flexibel agieren, sehen, was an digitalem Bedarf da ist und ihn decken.“ „Neue Angebote schaffen, beispielsweise die Prothetikversorgung an einem Tag.“ „In der Fertigung verschiedene Wege gehen, warum nicht auch Auslandszahnersatz; sich nehmen, was man braucht und einen Nutzen für den Kunden hat.“ „Das eigene Profil schärfen, bestimmte Bereiche stilllegen, die unrentabel sind, und sich von Kunden trennen, die nur Probleme machen.“ „Die Beweglichkeit kleinerer Labore als Chance begreifen, wenn ich nicht weiß, wo es hingeht.“ „Digital so viel wie möglich so viel wie nötig, um die Produktion besser zu machen.“ „Expandieren, Filialen gründen und möglichst Praxislabore ablösen.“ „Die Schlagkraft durch eine Netzwerkbindung (Laborverbund) erhöhen.“ „Konsequent digital arbeiten, Prozesse und Strukturen anpassen.“

Generell sahen sich die beteiligten Dentallabore, nicht zuletzt durch den Blick über den Tellerrand, gut aufgestellt; viele von ihnen reisten als überzeugte „Wiederholungstäter“ zur Bonner Runde an. Die DZW Redaktion bedankt sich recht herzlich für die offene und engagierte Diskussion und die souveräne Moderation durch Rudolf Weiper.