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Digitale Entgiftung

Der Wunsch nach einer handy- und tabletfreien Zeit wächst.

Der Wunsch nach einer handy- und tabletfreien Zeit wächst.

Es ist ein Tag wie aus dem Bilderbuch: Fast kitschig scheint die Sonne auf die rötlich gefärbten Weinberge an der Ahr. Perfekt für Fotos und viele Likes auf Facebook. Eigentlich.

„Ich mache heute Digital Detox“, verkündet meine Hamburger Freundin Maria stolz, als sie mich vor einigen Wochen besucht. Nur Sekunden später wirft sie einen sehnsüchtigen Blick auf ihre Handtasche, wo sich seit wenigen Stunden ihr Smartphone ausruht. Es fällt ihr sichtlich schwer, die Hände davon zu lassen – wie mittlerweile vielen von uns.

Laut der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie 2017 sind neun von zehn Deutschen online. Demnach wird das Internet täglich knapp 2,5 Stunden genutzt. Die Digitalisierung und „Smartphonisierung“ prägen unaufhaltbar unseren (Arbeits-)Alltag. Das iPhone beispielsweise ist gerade mal zehn Jahre alt geworden und schon hat der kostenlose Nachrichtendienst WhatsApp die SMS fast vollständig ersetzt. Ein gewöhnliches „Selfie“ (das englische Wort des Jahres 2013) als ein auf Armeslänge aufgenommenes Selbstporträt scheint ebenfalls an „Coolness“ zu verlieren. In Food-Selfies setzt man sich neuerdings gerne mit Tassen, Tellern und Nahrungsmitteln in Szene.

Surfen ist nicht immer gesund

Wie der Informatikprofessor Alexander Markowetz in seinem Buch „Digitaler Burnout“ belegt, greifen die Deutschen tagsüber alle 18 Minuten zum Smartphone. Und: Der Bonner Wissenschaftler konnte mithilfe seiner App „Menthal“ ermitteln, dass Jugendliche sogar noch aktiver sind.

Gerade in Hinblick auf Kinder und Jugendliche schlagen Experten deswegen Alarm: Aus der BLIKK-Studie 2017 geht hervor, dass mittlerweile 70 Prozent der Kinder im Kita-Alter das Smartphone ihrer Eltern mehr als eine halbe Stunde am Tag benutzen. Die gesundheitli­chen Risiken bei einem übermäßigen Medienkonsum reichen der Studie zufolge von Fütter- und Einschlafstörungen bei Babys über Sprach­entwicklungsstörungen bei Kleinkindern bis hin zu Konzentrationsstörungen im Grundschulalter. Ein exzessiver Umgang mit den digitalen Kommunikationsmitteln könne gerade für Jugendliche verheerende Folgen haben. Nach einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind immer mehr Jugendliche in Deutschland onlinesüchtig. Ihre Zahl hat sich demnach binnen vier Jahren nahezu verdoppelt.

Entzug gegen Sinnlossurfen

Kein Wunder, dass digitales Fasten mittlerweile im Gesundheitstourismus eine große Rolle spielt. Ob Jung oder Alt: Onlinesüchtige absolvieren sogenannte Digital-Detox-Camps, um sich zu „entgiften“ – und zwar nicht (nur) von Lärm, ungesundem Essen und Stress, son­dern auch von der Technik selbst. Auf dem Programm stehen vor allem Ayurveda, Meditation und Yoga. Handys, Tablets und Laptops sind natürlich tabu.

Auch die Tourismusbranche wirbt mittlerweile mit handyfreien Zonen. Ob Wellnesshotel, Berghütte oder Kloster – Angebote für den Erholungsausstieg aus der digitalen Welt gibt es viele. Angefangen hat alles in Kalifornien (USA) im Jahr 2012. In der Welthauptstadt der digitalen Wirtschaft, Silicon Valley, haben Levi Felix und Brooke Dean den Versuch unternommen, sich und andere in speziellen Erholungscamps von der Internetsucht zu heilen.

Meine Freundin Maria hat es auf unserer Tour durch die Weinberge geschafft: Ihr Smartphone blieb tatsächlich in ihrer Handtasche. Sie hat es nur zum Fotografieren genutzt und den Tag in vollen Zügen genossen. Erst am Abend postete sie all ihre Schnappschüsse auf Facebook …