In unserer Reihe Stichpunkt Anästhesie von Lothar Taubenheim geht es zunächst um Materialien und Systeme
Welche Spritzensysteme sind die richtigen?
Wenn die intraligamentäre Anästhesie im „Bunde die Dritte“ sein soll – neben Infiltrations- und Leitungsanästhesie – dann müssen die Voraussetzungen stimmen! Eine erfolgreiche intraligamentäre Anästhesie (ILA) erfordert vom behandelnden Zahnarzt sicher beherrschte optimale Instrumente – Spritzen und Kanülen – und bewährte Anästhetika mit Adrenalin. Das evidenzbasierte Wissen über die ILA ist noch jung. Erst seit den 1980er Jahren wurden die notwendigen Studien durchgeführt, die heute die Basis für die praktische Anwendung dieser minimal-invasiven Lokalanästhesie-Methode sind.
Bis in die 1970er Jahre wurden intraligamentale Injektionen mit den verfügbaren Spritzensystemen durchgeführt, die auch für die konventionellen Lokalanästhesie-Methoden – die Infiltrations- und die Leitungsanästhesie – angewandt wurden. Chenaux et al. berichten 1976 erstmalig über die intraligamentäre Anästhesie mit einem neuen Injektionssystem, der Peripress-Spritze (Resista, Omegna/Italien), einer Spezialspritze in der Form einer Pistole (Abb. 1).
Die Möglichkeit, problemlos den für die Injektion ins Desmodont erforderlichen Druck – durch ein integriertes Hebelsystem verstärkt – aufzubauen und den Gegendruck des dichten Desmodontalgewebes leicht zu überwinden, öffnete diesem Spritzensystem und ähnlichen Modellen, beispielsweise der Ligmaject-Spritze (Henke-Sass Wolf, Tuttlingen), weltweit Zugang zu zahnärztlichen Praxen und Kliniken.
Die von den Herstellern beschriebenen Möglichkeiten der gezielten lokalen Schmerzausschaltung, einer Einzelzahnanästhesie von kurzer Dauer, animierten weltweit viele Zahnärzte, diese neue Methode ebenfalls auszuprobieren und auch anzuwenden. Etwas zeitversetzt wurde eine zweite ILA-Spritzen-Generation in Verkehr gebracht, die eine sehr viel zierlichere Form hatte: Dosierhebelspritzen, bei denen der seitlich am Griff angebrachte Dosierflügel die Funktion des Auslösehebels übernimmt (Abb. 2). Auch bei diesen Instrumenten erfolgte die Kraftverstärkung über eine mehrstufiges, integriertes Hebelsystem.
Eine systematische Aufklärung der wissenschaftlichen Grundlagen der intraligamentären Anästhesie erfolgte erst seit der ersten Hälfte der 1980er Jahre. Die Grundlagenforschung und die Aufklärung der wissenschaftlichen Zusammenhänge der intraligamentären Anästhesie konzentrierten sich auf wenige Personen und Zentren (Stanley F. Malamed, DDS, Los Angeles, Eliezer Kaufman, DMD, Jerusalem, Richard F. Walton, DMD, Iowa). Alle Studien und Publikationen zur intraligamentären Anästhesie – im englischsprachigen Bereich die „periodontal ligament injection“ – bis Ende der 1990er Jahre wurden mit ILA-Pistolen- oder Dosierhebelspritzen, etwa der Citoject (Bayer AG, Leverkusen, heute im Vertrieb von Kulzer Dental, Hanau), durchgeführt, was bei der Betrachtung der publizierten Ergebnisse mit bedacht werden muss.
Auch heute noch kursieren Berichte über ungewünschte Effekte, die der Methode der ILA zugeschrieben werden, die aber nicht methodenimmanent sind. Mit Instrumentarien, die dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, ist nicht damit zu rechnen, die damals beschriebenen ungewünschten Effekte zu generieren – unter der Voraussetzung, dass die Methode der ILA vom Behandler sicher beherrscht wird, bewährte Anästhetika, wie Articain 4-prozentig mit Adrenalinzusatz, appliziert und die Instrumentarien lege artis angewandt werden.
Injektionsnadeln – systemadaptierte Kanülen
Bei allen Injektionssystemen bilden die Kanülen mit dem Injektionsapparat – der Spritze – eine funktionelle Einheit. Als Teil des Injektionssystems dienen sie – nach Penetration der Haut beziehungsweise der Schleimhaut – der Injektion von Flüssigkeiten in das Körpergewebe unter Druckanwendung.
Injektionsnadeln sind invasive Instrumente höchster Präzision. Entsprechend ihrer Zweckbestimmung sind die Kanülen sehr fein auf die Anästhesiemethode und den Injektionsapparat, mit dem sie kombiniert werden sollen, abgestimmt. Die wesentlichen Kriterien sind der Kanülen-Durchmesser, die Länge des Injektionsteils und der Anschliff (Abb. 3). Da bei der intraligamentären Anästhesie methodenbedingt häufig an mehreren Injektionspunkten mit derselben Kanüle zu applizieren ist, müssen die dafür bestimmten Injektionsnadeln zahlreiche klinische und praktische Anforderungen erfüllen:
- Der Außendurchmesser der Kanüle muss eine problemlose Positionierung im Desmodontalspalt ermöglichen und sollte nicht größer als 0,3 mm – alte englische Bezeichnung 30 G(auge) – sein.
- Um den Injektionsdruck möglichst klein zu halten, sollte der Innendurchmesser (Lumen) der Kanüle im Verhältnis zum Außendurchmesser möglichst groß sein.
- Damit ihre Spitze im Kontakt mit dem Zahnhals nicht abknickt, müssen die Kanülen einen kurzen Spezialanschliff haben, der in der Norm ISO 7864 (1984) mit 18 +/– 2 Grad definiert ist. Zur Reduzierung des Einstichschmerzes ist ein doppelter Facettenanschliff angezeigt.
- Der Injektionsteil der Kanüle – die Kanülenlänge – sollte nicht unter 10 und nicht über 18 mm – idealerweise zwischen 12 und 16 mm – liegen.
- Damit sich die Injektionsnadel während der Applikation nicht ungewollt verbiegt, muss sie steif, aber biegbar sein. Die Kanüle muss vom Behandler anguliert werden können, um auch distale oder linguale/palatinale Injektionspunkte der Seitenzähne problemlos erreichen zu können.
In der Zahnheilkunde kommen heute praktisch nur noch sterile Einmalkanülen zur Anwendung, die nach Gebrauch hygienisch einwandfrei zu entsorgen sind. Bei den heute verfügbaren Injektionsnadeln ist die Wahrscheinlichkeit eines Kanülenbruchs eher gering. Trotz der in älteren Studien (Malamed 1982, Smith et al., 1983) veröffentlichten Ergebnisse erfolgreicher intraligamentärer Anästhesien mit stärkeren Kanülen (25 oder 27 Gauge = 0,5/0,4 mm) sollte nicht mehr vom Grundsatz der Anwendung von Kanülen mit einem Außendurchmesser von 0,3 mm (30 Gauge-Kanülen), einer Länge zwischen 12 und 16 mm und mit kurzem Anschliff abgewichen werden. Wenn bei der Einführung der Injektionsnadel kein fester Halt im Desmodont gefunden wird und/oder sich die Kanüle ungewollt verbiegt, ist die Ursache dafür häufig eine falsch gewählte Kanüle.
Mechanische Injektionssysteme
Um den für intraligamentale Injektionen erforderlichen Injektionsdruck leichter und durch den Behandler kontrolliert aufbauen zu können, wurden von unterschiedlichen Herstellern seit Ende der 1970er Jahre zahlreiche Spritzensysteme in Verkehr gebracht, bei denen die vom Behandler für die intraligamentale Injektion aufzubauende Kraft durch integrierte Hebelsysteme verstärkt wurde. Die Injektionssysteme der ersten Generation, die Pistolentyp-Spritzen (Abb. 1), wurden praktisch bei allen Studien der 1980er Jahre angewandt. Allerdings bewertete bereits 1983 die ADA (American Dental Association) diese Spritzen als nur bedingt geeignet für periodontale Ligament-Injektionen (Giovannitti und Nique, 1983), da der Behandler dabei nur sehr begrenzt die Möglichkeit hat, die individuellen anatomischen Gegebenheiten des Patienten zu spüren und seinen Injektionsdruck entsprechend anzupassen.
Die meisten ungewünschten Effekte der intraligamentären Anästhesie, etwa Drucknekrosen und nach Abklingen der Anästhesie Vorkontakt, Druckschmerz oder ein Elongationsgefühl, werden auf die angewandten Instrumentarien zurückgeführt, speziell auf die Injektionssysteme, die die Injektionskraft des Behandlers über integrierte, mehrstufige Hebelsysteme verstärken. Dies trifft auch auf die Spritzensysteme der 2. Generation zu, die Anfang der 1980er Jahre eingeführten Dosierhebelspritzen (Abb. 2).
Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde ein ILA-Injektionssystem klinisch bewertet (Marshall 2001), bei dem der Kraftaufbau über ein Dosierrad und ohne ein mehrstufiges integriertes Hebelsystem erfolgt (Abb. 4). Der Anwender ist dadurch in der Lage, die individuellen anatomischen Gegebenheiten des Patienten im Daumen – oder im Zeigefinger – zu spüren und den Injektionsdruck entsprechend anzupassen.
Die in den vergangenen 20 Jahren durchgeführten klinischen Studien – deren Ergebnisse alle international publiziert wurden – zeigen, dass die intraligamentäre Anästhesie heute als eine primäre Lokalanästhesie-Methode zu bewerten ist, wenn Instrumentarien, die dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, lege artis angewandt und bewährte Anästhetika mit Adrenalin appliziert werden.
Lothar Taubenheim, Erkrath