Prof. em. Dr. Eike Glockmann, Universitätsklinikum Jena, und Dr. Ralf Kulick, niedergelassener Zahnarzt in Jena und Vizepräsident der Landeszahnärztekammer Thüringen, erläutern im folgenden Interview sowohl die Durchführung, die Vorteile als auch die rechtlichen Aspekte der ILA. In Fortbildungen des „DentXperts“-Programms von Heraeus Kulzer (Hanau) geben die Referenten ihre Erfahrungen auch an Kollegen weiter.
Worauf müssen Zahnärzte seit der Änderung des Patientenrechtegesetzes 2013 bei Anwendung der Lokanästhesie besonders achten?
Prof. Dr. Eike Glockmann: Das Patientenrechtegesetz erfordert eine Besprechung der Risiken und Alternativen des geplanten Therapiekonzepts mit dem Patienten. Zahnärzte sind also dazu verpflichtet, das gesamte Methodenspektrum der Lokalanästhesie anzubieten – und zwar unaufgefordert. Neuere Urteile zeigen, dass Zahnärzten, die ihre Patienten nicht über mögliche Schäden, Risiken und Alternativen der Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior informieren, rechtliche Folgen drohen und im Schadensfall Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht werden können. Ich möchte die Situation mit zwei Beispielen verdeutlichen. In einem Fall wurden dem Patienten keine Alternativen zur Leitungsanästhesie aufgezeigt. In einem anderen Urteil wurde explizit darauf verwiesen, dass die ILA nicht erwähnt wurde und der Zahnarzt so seine Aufklärungspflicht vernachlässigt hat.
Dr. Ralf Kulick: Da stimme ich voll und ganz zu! Die Beratung des Patienten über die Möglichkeiten der Anästhesie ist schon immer wichtig gewesen. Nach der Gesetzesänderung hat sie aber nochmals an Bedeutung gewonnen. Wir müssen die Patienten über jede durchzuführende Behandlung so aufklären, dass sie die Hintergründe und Risiken verstehen. Am Ende entscheidet allein der Patient, welche Therapie er möchte.
Wie kann sich der Zahnarzt absichern?
Glockmann: Ganz wichtig ist es, alles genau zu dokumentieren. Nur so sind Zahnärzte rechtlich gut abgesichert. Ein entsprechender Aufklärungsbogen kann nach Hause mitgegeben werden. So kann sich der Patient ausführlich informieren und anschließend gezielt Rückfragen stellen. Nach der Behandlung verbleibt das unterschriebene Dokument in der Praxis.
Kulick: Problematisch kann es allerdings werden, wenn es sich um einen Patienten mit akuten Schmerzen handelt. Diesem bleibt keine Zeit, sich den Bogen mit nach Hause zu nehmen und in Ruhe durchzulesen. In so einem Fall muss sofort eine Entscheidung getroffen werden, um den Patienten schnellstmöglich von seinen Schmerzen zu erlösen. In diesem Fall klärt der Zahnarzt den Patienten umgehend über seine Optionen zur Schmerzbehandlung auf und führt diese durch. Um sich über den weiteren Verlauf der Therapie zu informieren, kann der Patient auch hier die entsprechenden Unterlagen mitnehmen.
Warum entscheiden sich Patienten für die ILA?
Kulick: Da die ILA kein Taubheitsgefühl im Mundraum hinterlässt, sind Einschränkungen der Mastikation, der Dispositionsfähigkeit und des Temperaturempfindens sowie der damit verbundenen Gefahren von Bissverletzungen und Verbrennungen kein Thema. So sind normales Sprechen und Essen direkt im Anschluss an die Behandlung problemlos möglich. Der Patient kann also beispielsweise in seiner Mittagspause zu uns in die Praxis kommen. Nach einer herkömmlichen Anästhesie ist die Dauer der Einschränkung dagegen oftmals schwer abschätzbar und der Patient muss mehr Pufferzeit nach dem Zahnarztbesuch oder vor dem nächsten wichtigen Termin einplanen. Dieser Aspekt wird als Hauptgrund angegeben, sich auch zukünftig für die ILA zu entscheiden.
Welche Patientengruppen profitieren besonders von der ILA?
Kulick: Das kann man aus meiner Sicht nicht auf bestimmte Patientengruppen eingrenzen. Die ILA funktioniert bei allen Patienten. Besonders interessant ist sie natürlich für diejenigen mit Vorbelastungen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Hier möchte ich während der Behandlung möglichst wenig Anästhetikum und gefäßverengenden Zusatz verwenden. Die ILA ist für solche Patienten ideal, da ich deutlich weniger Wirkstoffmenge benötige.
Glockmann: Ja, die ILA eignet sich für Risikogruppen, aber ebenso für Kinder, da postoperative Einschränkungen und daraus resultierende Bissverletzungen keine Rolle mehr spielen. Auch für Angstpatienten, welche unerwünschte Nebeneffekte befürchten oder Spritzen scheuen, ist die ILA mit den sensiblen Instrumentarien gut einsetzbar. Zudem existieren nur wenige Kontraindikationen, wie Zustände nach einer Endokarditis, Herzklappenfehler und -prothesen sowie Immunsuppressionen.
Warum wird die ILA trotzdem nicht so häufig wie Leitungs- und Infiltrationsanästhesie angewendet?
Glockmann: Ich kann mir gut vorstellen, dass die nach üblicher Dosierung geringere Wirkungsdauer von 20 bis 30 Minuten dazu beiträgt. Viele Zahnärzte greifen für einen längeren Eingriff lieber direkt auf die Leitungs- oder Infiltrationsanästhesie zurück. Dabei ist dies nicht unbedingt notwendig. Für eine längere Behandlung empfehle ich in seltenen Fällen eine ILA mit Articain zuzüglich Adrenalin im Verhältnis von 1:100.000 oder die Nachdosierung an einer anderen Einstichstelle. Für einen kurzen Eingriff reicht hingegen ein Adrenalinzusatz von 1:200.000 aus.
Kulick: Meiner Ansicht nach führt auch eine falsche Technik zu schlechten Erfahrungen und Vorbehalten gegenüber der ILA. So kann bei zu hohem Druck oder Einsatz ungeeigneter Kanülen der Patient über Schmerzen klagen. Im direkten Vergleich zur Leitungs- und Infiltrationsanästhesie kann sich die ILA, wie ich finde, jedoch sehr wohl behaupten. Sie ist an jedem Einzelzahn und bei vielen Indikationen anwendbar. Mich überzeugt zudem, wie bereits erwähnt, die besonders gute Deckung zwischen Anästhesie- und Behandlungsdauer für die meisten zahnärztlichen Tätigkeiten.
Welche Tipps geben Sie Kollegen, die sich vor der Injektion scheuen?
Glockmann: Hier lautet die Devise: langsam, langsam, langsam! Die Injektionsdauer sollte bei 0,2 Millilitern Anästhetikum mindestens 20 Sekunden betragen – plus weitere 20 Sekunden Verweildauer im Sulkus, bevor die Kanüle wieder entfernt wird, da das Anästhetikum vom Knochen resorbiert werden muss. Insgesamt entsteht kein Zeitverlust, da die Wirkung praktisch ohne Latenzzeit eintritt. Der Einstich im Winkel von 20 bis 30 Grad zwischen Kanüle und Zahnachse dient dazu, den Zahnäquator zu umgehen und die Kanüle somit präzise in den Desmodontalspalt zu applizieren.
Kulick: Zudem kann ich einer Nekrose vorbeugen, indem ich den Injektionsdruck durch eine langsame Applikation kontrolliere. Um eine vollständige Betäubung zu erhalten, sollte die Injektionsstelle variieren. Bei einem Zahn mit nur einer Zahnwurzel kann die Applikation beispielsweise mesial/vestibulär und distal/oral erfolgen. Bei mehrwurzligen Zähnen ist eine Injektion pro Wurzel notwendig.
Auch Nebenwirkungen werden mit etwas Erfahrung vermieden: Den Initialschmerz empfehle ich durch vorangehende Oberflächenanästhesie abzuschwächen. Die mögliche Gefahr einer Bakteriämie kann durch Desinfektion des Sulkus verringert werden.
Glockmann: Die Scheu vor einer schwierigen intraligamentalen Injektion steckt noch immer in vielen Köpfen. Früher gab es keine passenden Hilfsmittel, und mit einer normalen Spritze und Kanüle in den Desmodontalspalt zu gehen, ist einfach nicht ideal und führt zu Schmerzen beim Patienten.
Was ist heute anders?
Glockmann: Mittlerweile gibt es glücklicherweise viel bessere Hilfsmittel, wie Kanülen mit besonders kurzem Schliff. Hier eignet sich eine Nadellänge von 12 bis 16 Millimetern am besten, wie bei den „Sopira Carpule Free Flow“-Kanülen von Heraeus Kulzer.
Für die Applikation existieren verschiedene Injektionsapparate auf dem Markt: Pistolenform, Federhaltertyp, Dosierradtyp sowie computergesteuerte Systeme. Alle verbindet, dass Nebenwirkungen, wie Elongationsschmerzen und Nekrosen, durch die individuelle oder integrierte Druckbegrenzung bei der Injektion minimiert werden. Bruchsichere Carpulen bieten zusätzlich Sicherheit.
Was ist neben diesen Hilfsmitteln nötig, damit die ILA zukünftig breiter eingesetzt wird?
Kulick: Ein Ansatzpunkt liegt mit Sicherheit in der studentischen Ausbildung. Die ILA wird leider nicht an jeder Universität gelehrt. Ob und in welchem Umfang das Thema ILA vermittelt wird, liegt meist am Lehrstuhlinhaber. Wenn ich diese Methode jedoch in meinem Studium nicht lerne, muss ich entweder aus eigener Initiative eine entsprechende Fortbildung besuchen oder ich wende sie generell nicht an.
Glockmann: Ganz genau, ich finde es sehr wichtig, dass die Studenten dieses Wissen vermittelt bekommen. Ich habe meine Studenten im vierten Ausbildungsjahr die ILA gelehrt, inklusive praktischer Übung am Schweinekiefer. Die Studenten waren immer ganz angetan und begeistert.
Die Technik sicher zu beherrschen, braucht etwas Zeit. Daher finde ich es umso wichtiger, mit dem Erlernen direkt während der universitären Ausbildung zu starten. Dr. Kulick und ich bieten Fortbildungen zur Anwendung der ILA an, damit Zahnärzte, welche die ILA vielleicht nicht gelernt haben, dies nachholen können. Ich finde es gut, dass Unternehmen wie Heraeus Kulzer uns dabei unterstützen. Für andere Kollegen, die bereits die ILA anwenden, ist es wiederum interessant, das eigene Vorgehen bestätigt zu finden oder Anregungen zur weiteren Anwendung zu erhalten.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren Fortbildungen zur ILA gemacht?
Glockmann: Dass das Interesse an diesen Kursen sehr hoch ist – bereits von Anfang an. Wir waren schon in vielen Städten unterwegs. Die ersten Kurse fanden 2010 in Jena statt. Eigentlich war nur ein Kurs geplant, letztlich wurden jedoch drei daraus, weil wir so viele Anmeldungen erhielten. Die Kurse helfen dabei, den sicheren Umgang mit der ILA zu erlernen. Denn gerade die Beherrschung des zur Injektion angewandten Spritzensystems ist von hoher Relevanz für den Anästhesieerfolg. Auch die bereits genannten unerwünschten Effekte lassen sich durch die richtige Technik weitgehend vermeiden. Werden diese Punkte beachtet und die ILA regelmäßig angewendet, sind Zahnärzte, meiner Erfahrung nach, sehr zufrieden mit dieser Methode.
Kulick: Ja, die Nachfrage der Kollegenschaft ist hoch. Viele Zahnärzte haben jahrelang keine ILA mehr angewandt und wollen ihre Fertigkeiten wieder auffrischen. Gerade der praktische Teil ist wichtig und findet Anklang. Am Schweinekiefer zu üben gibt Sicherheit und das richtige Feingefühl, um die Anästhesielösung gegen den Gewebswiderstand ins Ligament zu applizieren, bevor es an den Patienten geht. Bei uns können die Teilnehmer die verschiedenen Applikationssysteme, wie beispielsweise Sopira-Citoject-Spritzen, ausprobieren und entscheiden, mit welchem Hilfsmittel sie besonders gut zurechtkommen.
Das anschließende Feedback zeigt, dass von den technischen Aspekten vor allem die geduldige Applikation mitgenommen wird. Vielen Kollegen wird zudem erst durch den Kurs bewusst, wie wichtig es ist, auch im Hinblick auf das Patientenrechtegesetz die ILA sicher zu beherrschen. Darüber hinaus überzeugt einfach die Möglichkeit, den Patienten mit der ILA ein schonendes und gut verträgliches Verfahren als Alternative anbieten zu können