In Zeiten islamistischer Terroranschläge sowie der Verunsicherung und Angst der Bevölkerung ist das Thema Kopftuchtragen sehr sensibel. So geht der Kopftuch-Streit in Stuttgart im vergangenen Jahr in eine neue Runde gegangen. Neuigkeiten gibt es derweil aus Berlin. Dort muss das Land einer Lehrerin eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern zahlen, die aufgrund ihres Kopftuches an einer Grundschule nicht unterrichten durfte. Die zuständige Schulbehörde des Landes habe ihr eine Absage erteilt.
Laut Informationen der "Berliner Morgenpost" hatte die Behörde die Anstellung unter Verweis auf das Neutralitätsgesetz abgelehnt, das Lehrkräften an öffentlichen Schulen ebenso wie Polizisten oder Richtern innerhalb des Dienstes das Tragen sichtbarer religiöser Symbole untersagt. In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht daher die Klage der Lehrerin Emine Ö. abgewiesen.
Wie die "Berliner Morgenpost" weiter berichtet, hat dem nun das Landesarbeitgericht Berlin widersprochen und in zweiter Instanz entschieden, dass die die Klägerin durch ein pauschales Kopftuchverbot diskriminiert werde. Zwar sei das Berliner Neutralitätsgesetz verfassungskonform, bei seiner Auslegung müsse aber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt werden, die ein Kopftuchverbot nur bei einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens rechtsfertige, so die Vorsitzende Richterin Renate Schaude. E
Eine solche Gefährdung habe die Schulbehörde im Fall Emine Ö. nicht geltend gemacht, hieß es in der Urteilsbegründung.
Gerichte müssen sich mit Entschädigungspflicht befassen
Wie der Verband deutscher Arbeitsrechts Anwälte (VDAA) nun mitteilt, muss sich die Rechtsprechung nun vermehrt mit der Entschädigungspflicht befassen. Diese falle allerdings nicht immer einheitlich aus. Der VDAA nennt an dieser Stelle den Berliner Fall mit der Grundschullehrerin und stellt dem ein Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück (Urteil vom 18. Januar 2017, Az.: 3 A 24/16) gegenüber.
In diesem Fall wurde die Bewerbung einer Lehrerin zurückgewiesen, weil diese während des Unterrichts ein Kopftuch tragen wollte. Die Niedersächsische Landesschulbehörde hat ihre bereits abgegebene Einstellungszusage zurückgezogen. Die Klage auf Entschädigung und Schmerzensgeld wurde vom Gericht abgewiesen.
Bewerberin klagt gegen Zahnarzt
Im Fall Stuttgart hat ein Zahnarzt 2016 die Bewerbung einer ausgebildeten zahnmedizinischen Fachangestellten aufgrund ihres Kopftuches abgelehnt. Daraufhin hat die Bewerberin die Absage öffentlich gemacht. Der Zahnarzt sah sich Rassismus-Beschimpfungen ausgesetzt und hat einen sogenannten Shitstorm im Internet erfahren. Derzeit klagt die Bewerberin gegen die Absage.
Begründet wurde diese durch den Zahnmediziner aus hygienischen Gründen. In einer im Internet veröffentlichten Entschuldigung an die Bewerberin betont er ausdrücklich die hohen Hygienestandards in der Zahnmedizin. Darüber hinaus beruft er sich auf die Zahnklinik der Universität Marburg und schreibt, dass es dort nicht erlaubt sei, Kopftücher zu tragen. Stattdessen würden OP-Hauben eingesetzt, um die Haare entsprechend zu verhüllen.
Aussage des Zahnarztes nur zum Teil wahr
Wie die Zahnarztwoche (DZW) auf Anfrage bei der Zahnklinik in Marburg erfahren hat, stimmt die Aussage des Stuttgarter Zahnarztes nur zum Teil. "In einigen Abteilungen sind OP-Hauben Pflicht und Kopftücher aus hygienischen Gründen nicht erlaubt", so eine Sprecherin. Dazu gehören beispielsweise die Chirurgie und der OP-Bereich. Allerdings sei in der Abteilung Prothetik der Zahnklinik das Tragen von weißen Kopftüchern erlaubt. "Bei uns wird die OP-Hauben-Pflicht unterschiedlich gehandhabt", sagt die Sprecherin.
Generell könne aber nicht von einem grundsätzlichen Kopftuchverbot in der Marburger Zahnklinik gesprochen werden. Derzeit seien 15 Azubis dort beschäftigt, von denen ein Mädchen ein Kopftuch trage. "In den vergangenen Jahren haben wir allerdings immer wieder Studentinnen und Auszubildende gehabt, die Kopftücher getragen haben", so die Sprecherin.
Laut Informationen der "Stuttgarter Nachrichten" werden die Regeln an der Tübinger Uniklinik für Zahnheilkunde in Bezug auf das Tragen von Kopftüchern zurzeit überarbeitet. Geplant sei, nur noch OP-Hauben als alternative Kopfbedeckung einzuführen. Eine entsprechende Anfrage DZW bezüglich des Kopftuchverbotes und der Änderung der Ausbildungsordnung konnte allerdings nicht beantwortet werden.
BZÄK hält sich bedeckt
Auch der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) ist der Fall aus Stuttgart bekannt. Zu dem Fall möchte sich die Kammer jedoch nicht weiter äußern, da ihr zu wenig Details bekannt seien. Sie könne den Fall nur sehr schwer beurteilen und sehe nicht die Notwendigkeit einer Stellungnahme. Stattdessen verweist die BZÄK auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das uneingeschränkt gilt.
2012 hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden, dass es ein Verstoß gegen das AGG sei, wenn ein privater Arbeitgeber die Bewerbung einer Kopftuchträgerin nur deswegen ablehne, weil sie sich weigere, bei der Arbeit das Kopftuch abzunehmen. Die Klägerin bekam damals drei Monatsgehälter als Entschädigung.
Empfehlungen der DGKH
Darüber hinaus macht die BZÄK auf eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) aufmerksam. Darin heißt es, dass das Tragen privater Kleidung einschließlich Kopftücher im Gesundheitswesen unterbunden werden sollte. Darüber hinaus müsse bei mehrtägigem Tragen von Kopftüchern laut DGKH auch mit Kontamination von sogenannten Pathogenen (Krankheitserreger) ausgegangen werden.
Die DGKH rät Zahnarztpraxen zu folgenden Rahmenbedingungen, die eingehalten werden müssen:
Kopftücher sollen täglich - bei Verschmutzung oder Kontamination sofort - gewechselt werden. In die Ordnung zur Berufskleidung sollen deshalb auch Kopfbedeckungen wie Kopftücher aufgenommen werden. Des Weiteren gibt die DGKH weitere Empfehlungen zum Tragen von Kopftüchern:
- Sie müssen frei von sichtbaren Beschmutzungen sein.
- Sie müssen im Allgemeinen täglich gegen frisch gewaschene Kopfbedeckungen getauscht werden. In medizinischen Bereichen mit hoher Kontaminationsmöglichkeit und einer antizipierbaren häufigen Wechselfrequenz stehen auch Einwegkopftücher zur Verfügung, die für die Mitarbeiterinnen bereit gestellt werden können.
- Sie sollen dicht anliegen und die Haare gut bedecken.
- Sie müssen maschinell in definierten Reinigungs-Desinfektions–Waschverfahren aufbereitet werden können. Maschinelle Verfahren mit Temperaturen von mindestens 60 Grad Celsius oder mindestens 40 Grad Celsius sind notwendig. Darüber hinaus sollte ein Desinfektionswaschmittel zur Wäsche hinzugefügt werden.
Zahnarzt distanziert sich öffentlich
In seiner im Internet veröffentlichten Entschuldigung hat sich der Stuttgarter Zahnarzt derweil für die "völlig falsche Formulierung" entschuldigt. Gleichzeitig betont er, politisch "weit weg von AFD und Neonazis" zu stehen. Nachdem die Absage der Bewerberin öffentlich gemacht wurde, sieht sich der Zahnarzt mit Hass- und Drohmails konfrontiert.
Klage wegen Diskriminierung
Nach Informationen der "Stuttgarter Nachrichten" sei die Möglichkeit, eine OP-Haube aufzusetzen, mit der Bewerberin nicht erörtert worden. Der Zahnarzt hätte ihr gleich abgesagt und sie gar nicht erst zu einem Gespräch eingeladen. Die Online-Ausgabe der Zeitung beruft sich dabei auf Aussage des Anwalts der Klägerin, für den ein eindeutiger Fall von Diskriminierung vorliegt.
Laut Informationen der "Stuttgarter Nachrichten" habe die Bewerberin die Absage des Zahnarztes nicht ins Netz gestellt. Wie ihr Anwalt der Zeitung berichtet, habe dies ein Freund von ihr getan. Das Thema de Kopftuchverbots ist im Gesundheitswesen angekommen. Wie der Streit weitergeht, bleibt derzeit offen.