Die kürzlich vorgestellte Studie "Krankenversicherungspflicht für Beamte und Selbstständige – Teilbericht Beamte" der Bertelsmann Stiftung hat die finanziellen Auswirkungen einer Ausdehnung der Versicherungspflicht auf Beamte untersucht. Ergebnis: Von den derzeit gut drei Millionen privat versicherten Beamten und Pensionären wären zwei Drittel versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Weitere 21 Prozent würden aus finanziellen Gründen freiwillig in die GKV wechseln. Insgesamt wären dann neun von zehn Beamten gesetzlich versichert. Den Bund würde das im ersten Jahr um 1,6 und die Länder um 1,7 Milliarden Euro entlasten. Bis 2030 würden die öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern insgesamt sogar mehr als 60 Milliarden Euro einsparen.
In Wirklichkeit 6 Milliarden weniger im Topf
Dieses Einsparpotenzial zweifelt Bundesärztekammer-Präsident Montgomery in seiner Stellungnahme jedoch an. "Nicht weiter thematisiert wird von den Studienautoren, dass das Bertelsmann-Modell der medizinischen Versorgung mehr als sechs Milliarden Euro pro Jahr entziehen würde", so Montgomery. Dies treffe nicht nur Ärzte, Physiotherapeuten oder Hebammen, sondern auch und gerade die Patientinnen und Patienten. "Denn Privatversicherte ermöglichen mit ihrem die tatsächlichen Kosten deckenden Finanzierungsbeitrag eine hochwertige medizinische Ausstattung von Krankenhäusern und Praxen, die allen Patienten unabhängig von ihrem Versicherungsstatus zur Verfügung steht."
Erst die PKV ermöglicht medizinischen Fortschritt
So ermögliche erst die Private Krankenversicherung die rasche Übernahme des medizinischen Fortschritts für alle Patienten, sagt Montgomery. Denn die Existenz der PKV führe mit einem hohen Leistungsversprechen dazu, dass auch das GKV-System versuche, trotz aller Sparbemühungen einen hohen Versorgungsstandard aufrechtzuerhalten. "So fördert die private Krankenversicherung Innovationen bei Diagnostik und Therapie, genehmigt sie schnell und setzt damit die Krankenkassen in der Regel unter Zugzwang", argumentiert Montgomery.
Gesundheitsexperte sieht keine Alternative zum Ausstieg aus dem dualen System
Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung, sieht dagegen angesichts wachsender Belastungen für Bund und Länder keine Alternative uu einer Umstellung des Systems: "Angesichts der Schuldenbremse muss der Ausstieg aus dem Beihilfesystem für Beamte eingeleitet werden. Je konsequenter die gesetzliche Versicherungspflicht umgesetzt wird, desto positiver sind die Effekte für die öffentlichen Haushalte."
Neben der privaten Krankenversicherung (PKV) profitierten derzeit vor allem niedergelassene Ärzte in Regionen mit hohem Beamtenanteil vom bestehenden Versorgungssystem. Denn Leistungen für privat Versicherte würden nach der privaten Gebührenordnung im Durchschnitt 2,6-mal besser vergütet als bei gesetzlich Versicherten.
Brigitte Mohn: Krankenversicherungssystem würde gerechter und nachhaltiger
Laut Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, würden alle gesetzlich Versicherten von einem "gerechteren Krankenversicherungssystem" profitieren: "Von einer Einführung der Krankenversicherungspflicht für Beamte würden alle gesetzlich Versicherten profitieren. Ihr Beitragssatz könnte um 0,34 Prozentpunkte gesenkt werden. Unter dem Strich würde unser Krankenversicherungssystem somit gerechter und nachhaltiger", so Mohn.
Montgomery: Verfassungs- oder beamtenrechtliche Bewertung hat nicht stattgefunden
Montgomery hält dem entgegen, dass hier ein Szenario zurecht gezimmert werde, dass jeglichem rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Realitätssinn entbehre. So würden selbst die Autoren eingestehen, dass eine verfassungs- oder beamtenrechtliche Bewertung ihres Modells nicht erfolgt sei. "Das wäre aber aufschlussreich gewesen, zum Beispiel um die Frage zu klären, was aus den angesparten Alterungsrückstellungen der privat versicherten Beamten wird", moniert Montgomery. Unklar sei auch, wie zwei Dritteln der rund drei Millionen Beamten Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung auferlegt werden könnten, ohne dies bei der Besoldung und Versorgung finanziell zu kompensieren.
Das Modell, dessen Name nicht genannt werden darf
Peinlich genau achteten die Autoren zudem darauf, den Begriff "Bürgerversicherung" in ihrer Studie zu vermeiden, so Montgomery. "Ihr Modell ist aber nichts anderes als der Totengräber des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland und der Wegbereiter der Einheitskasse. Wenn man das will, muss man die Menschen aber auch über die Risiken und Nebenwirkungen einer solchen Reform aufklären."
Einheitssysteme führen zu Begrenzungen in den Leistungskatalogen
Aspekte der gesundheitlichen Versorgung blieben bei der Bertelsmann-Studie komplett außen vor, kritisiert der Bundesärztekammer-Präsident.
"In den Niederlanden oder in Großbritannien sehen wir, dass Einheitssysteme zu Rationierung, Wartezeiten und zu Begrenzungen in den Leistungskatalogen führen. Diejenigen, die es sich leisten können, sichern sich einen exklusiven Zugang zur Spitzenmedizin als Selbstzahler oder durch teure Zusatzversicherungen. Was uns also als gerechtere Alternative zum dualen Krankenversicherungssystem angeboten wird, ist in Wirklichkeit der Turbo-Lader für die Zwei-Klassen-Medizin."