Akademie widmete zwei Tage dem Thema Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin
18 Programmpunkte, neun Stunden und 14 Referenten umfasste die diesjährige Karlsruher Konferenz. Es herrschte Aufbruchstimmung in Richtung einer nachhaltigeren Zahnmedizin. Zu diesem Zweck bildeten in diesem Jahr die Karlsruher Konferenz, der Tag der ZFA sowie der Karlsruher Vortrag „Mund auf“ eine thematische Einheit. So konnte sich die Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe ganze zwei Tage umfassend dem Thema Nachhaltigkeit widmen.
Mit der Wahl des Konferenzthemas „Nachhaltige Zahnmedizin – von Prävention bis Klimaschutz“ griff PD Dr. Daniel Hellmann, Direktor der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe, mehrere Ziele aus dem umfassenden Katalog der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung auf. Zu den richtungsweisenden Zielen im Hinblick auf eine nachhaltige Zahnmedizin zählen, wie er einleitend skizzierte, insbesondere „Gesundheit und Wohlergehen“, die „Maßnahmen zum Klimaschutz“ und der in verschiedenen Zielen zum Ausdruck kommende Wille zum Umwelt- und Naturschutz.
Mythen und Fakten der häuslichen Mundhygiene
Den Anfang der zahnmedizinischen Fachvorträge machte Prof. Dr. Stefan Zimmer, Universität Witten, mit seinem Vortrag über Mythen und Fakten der häuslichen Mundhygiene. Mit der These, dass Zähneputzen eine der am häufigsten durchgeführten täglichen Hygienemaßnahmen weltweit sei, sieht Zimmer in der Optimierung dieser Präventionsmaßnahme großes Potenzial zum nachhaltigen Erhalt der Mundgesundheit vieler Menschen.
Was sollten wir also wissen, um das Zähneputzen zu verbessern? Zimmer arbeitete systematisch Zahnbürste, Zahnputztechnik, Putzdauer und Zahnpasta ab. Entgegen aktueller Trends riet er von Naturborsten unter anderem aus Hygienegründen ab. Nachhaltig produziertes Nylon bleibe das Material der Wahl, so Zimmer. Es war
ein Vortrag, der bei Zahnärzten und im Programm der ZFAs auf großes Interesse stieß.
PD Dr. Andreas Bartols, stellvertretender Direktor der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe, referierte zu „Endodontie – Wege in die Nachhaltigkeit“. Dabei stellte er als wichtigsten Baustein zur CO₂-Einsparung die Therapie nach dem Single-Visit-Konzept vor. Grundsätzlich liegen bereits aus anderen Untersuchungen Daten vor, die zeigen, dass die Anfahrtswege der Patienten den größten Teil des CO₂-Ausstoßes im Rahmen der endodontischen Therapie verursachen.
Auf Grundlage seines überwiegend auf externen Überweisungen basierenden Patientengutes errechnete er, wie viel CO₂ durch seine zu 90 Prozent als Single-Visit durchgeführten endodontischen Behandlungen eingespart werden konnte. Dazu zog er die konkreten Anfahrtswege der Patienten heran und veranschaulichte die Verteilung anhand einer Zehn-Felder-Matrix. Das Ergebnis: Im Laufe der Jahre würden rund 32 Tonnen CO₂ eingespart, was einer jährlichen Reduktion um zirka 1,9 Tonnen im Beobachtungszeitraum entsprach.
Während Prof. Dr. Nicole Arweiler, Universität Marburg, in ihrem Vortrag die UPT als Schlüssel zum parodontologischen Langzeiterfolg sah, stellte Prof. Dr. Sven Rinke, MSc, MSc, Universität Göttingen und niedergelassener Zahnarzt, in seinem Referat eine „Behandlung mit System – 7 Schritte der evidenzbasierten Therapieplanung im parodontal vorgeschädigten Gebiss“ vor. Der Schlüssel zu einer nachhaltigen Behandlung liege laut Rinke bei diesen Behandlungsfällen häufig in einer langzeitprovisorischen Versorgung mittels Schalenprovisorium. Der Nachhaltigkeitsaspekt komme hier besonders zur Geltung, da es zu einer Einsparung von Behandlungsterminen, Materialeinsatz (keine weitere Abformung nötig) und Fahrkosten kommt. Die lange Tragedauer des Schalenprovisoriums ermögliche eine prospektive Einschätzung der Compliance, der Mundhygiene, die Entwicklung der Risikofaktoren und die Einhaltung der Termine, so der Referent.
Tag der ZFA 2022
Der Tag der ZFA 2022, moderiert durch Dr. Robert Heiden, zeichnete sich durch seinen hohen Praxisbezug aus. Dass Nachhaltigkeit viele verschiedene Dimensionen hat, wurde schon in der Einleitung klar. Unsere Gesellschaft hat sich verändert und so stehen wir alle, auch wir in der Praxis, vor immer neuen Herausforderungen. Wie wir uns im Team gegenseitig unterstützen können, zeigte der Vortrag von Kendra Bernhardt, Badegül Top und Veronica Leo mit dem Thema „Provisorium, Abformung & Co. – durch Fehlervermeidung zu mehr Nachhaltigkeit“.
Hierbei wurden praktische Hinweise gegeben, die schon am nächsten Tag in der Praxis anwendbar sind. Auch Prof. Dr. Dirk Ziebolz, Universität Leipzig, stellte die Teamleistung mit der Vorbehandlung und Erfolgssicherung von parodontalen Behandlungsfällen in den Fokus. Bei gemeinsamen Übungen mit dem Physiotherapeuten Matthias Thoni konnten sich alle Teilnehmenden schließlich auch vor den Bildschirmen wieder auflockern.
Noch vor der Mittagspause wurde erstmals der Exzellenz-Preis der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe vergeben. Der Preis ging an Prof. Dr. Dirk Ziebolz, MSc, Universität Leipzig, den PD Dr. Hellmann in seiner Laudatio mit den Worten „verbindlich und verlässlich, sympathisch, schnörkellos und ohne Eitelkeiten“ beschrieb. Ziebolz wurde geehrt für seine herausragenden Verdienste um die zahnmedizinische Wissenschaft sowie seine exzellente Lehre innerhalb und außerhalb der Universität, mit der er einen mehr als wertvollen Beitrag zur Entwicklung unserer Profession vorantreibt. Dr. Torsten Tomppert, der Präsident der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg, überbrachte die Glückwünsche des LZK-Vorstands.
„Mehr Klimawandel macht kränker“
Nach der Mittagspause berichtete Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Fachärztin für Dermatologie, Lehrstuhlinhaberin für Umweltmedizin und Institutsdirektorin in Augsburg, in ihrem leidenschaftlichen Vortrag zu „Gesundheitsschutz braucht Klimaschutz – wie die Klimakrise unsere Gesundheit gefährdet“. Die Referentin ist in medizinischen Fachkreisen auch als eine der Herausgeberinnen des Buches „Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän“ bekannt. Sie lotete in ihrem Vortrag die Konsequenzen der Erderwärmung für die Gesundheit aus. So gab Traidl-Hoffmann einen profunden Überblick zu medizinischen Erkrankungen infolge des Klimawandels.
Beispielsweise referierte sie zu Neurodermitis bei Kindern, die in der Nähe stark befahrener Straßen aufgewachsen sind und dann in der Folge mehr Allergien entwickeln. Der Verlust an Grünflächen bedeute eine geringere Biodiversität. Biodiversität sei entscheidend für unsere Gesundheit und ein Verlust der Biodiversität führe zu Krankheiten. Auch Allergien und Pollen im Zusammenhang mit dem Klimawandel wurden kurz beleuchtet. Der Klimawandel führe zu einer längeren Pollenflugzeit und es gebe sowohl mehr als auch aggressivere und neue Pollen.
Traidl-Hoffmann sieht Klimaresilienz als eine Zukunftslösung. First line therapy sei die Energiewende. Adjuvant empfiehlt sie die Edukation. Also weitersagen: „Mehr Klimawandel macht kränker.“
Der am Trinity College in Dublin tätige Prof. Dr. Brett Duane stellte in seinem Vortrag „Sustainability in Dentistry“ zahlreiche Aspekte vor, die den CO₂-Fußabdruck rund um eine zahnmedizinische Behandlung beeinflussen, wobei dieser maßgeblich mit knapp 60 Prozent auf der Mobilität von Patienten und Praxispersonal beruht. Neben der theoretischen Aufarbeitung des Themas gab er abschließend für die tägliche Praxis eine klare Empfehlung: „Reduce, Reuse, Recycle!“
Der Anästhesist PD Dr. Christian Schulz stellte das Netzwerk der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. (KLUG) und deren Arbeitsgruppen vor.
Peter Frieß vom Unternehmen Fokus Zukunft berichtete in seinem Vortrag „CO₂ einsparen und ausgleichen – mit System in die Klimaneutralität“ über Möglichkeiten zur Kompensation von am Ende unvermeidbaren Emissionen.
In der abschließenden, hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion wurden die Themen des Tages nochmals reflektiert. Es wurde herausgearbeitet, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel real ist und eine bedeutende Gefahr für die Gesundheit und die Zukunft der Menschheit bedeutet. Die Beteiligten waren sich einig, dass aus diesem Grund eine nachhaltige Entwicklung sofort und mit aller Kraft vorangetrieben werden muss.
Auch im 40. Karlsruher Vortrag blieb die Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe trotz dem inzwischen gewohnten „Fernsehformat“ der ursprünglichen Idee des öffentlichen Diskurses treu. Prof. Dr. Michael Braungart, Professor für Innovation und Qualität an der Rotterdam School of Management der Erasmus Universität (RSM) und Professor für Öko-Effektivität an der Leuphana Universität Lüneburg, folgte der Einladung, den traditionellen Karlsruher Vortrag „Mund auf“ 2022 zu halten.
Sehr unterhaltsam stellte er seinen innovativen Ansatz „Cradle to Cradle“ – „Von der Wiege zur Wiege“ vor. In anschaulichen Vergleichen schärfte er den Zuhörern ein, nicht nur nachhaltiger und damit „weniger schädlich“ für das Klima zu sein, auch klimaneutral reiche nicht, sondern dass es hierfür eines radikaleren Ansatzes bedürfe. Alles was weggeworfen wird, müsse für die Biosphäre nützlich sein – dann sei Verschwendung kein Problem mehr.