Im zweiten Gang schlängelt sich das Auto gemächlich den kurvenreichen Berg hoch. Das Ziel ist das Haus von Birgit Maus in Eitorf. Oben angekommen fällt der Blick auf die malerische Landschaft des Mittellaufs der Sieg. Die nachmittägliche Sonne und die milden Temperaturen laden geradezu zum Verweilen im Freien ein.
Niklas lebt mit Down-Syndrom
Vor dem Haus spielen ein Mädchen und ein Junge miteinander. Es sind die beiden Kinder von Maus. Und obwohl die zwei Sechsjährigen Zwillingsgeschwister sind, können sie unterschiedlicher nicht sein. Denn im Gegensatz zu seiner Schwester hat Niklas eine geistige Behinderung. Er ist mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen – einem Gendefekt, bei dem die Chromosomen in den Zellen eine Anomalie aufweisen. Bekannt ist das Down-Syndrom auch unter dem Namen Trisomie 21.
Statistisch gesehen kommt alle drei Minuten ein Baby mit Down-Syndrom zur Welt. Insgesamt leben etwa fünf Millionen Menschen mit dem Gendefekt.
Niklas ist also einer von ihnen. Der erste Eindruck des quirligen Jungen: Er ist neugierig auf seine Umgebung und trägt sprichwörtlich den Schalk im Nacken. Denn um einem Erwachsenen ein herzliches „Blödmann, Blödmann“ zur Begrüßung an den Kopf zu werfen, bedarf es schon einigen Mutes. Doch so ist Niklas – immer geradeaus und direkt.
Down-Syndrom hemmt in Entwicklung
Und doch ist die schützende Distanz zum Fremden da. Seine aufmerksamen Augen verfolgen den Besucher, der sich dem Haus nähert, unentwegt. Einen Meter Abstand halten – das genügt, um alles genau zu beobachten und zu schauen, was der „Fremdling“ in dem Haus möchte.
Durch das Down-Syndrom verhält sich Niklas anders als andere Kinder in seinem Alter. Zwar tobt er herum, hat Spaß mit seinen Altersgenossen zu spielen und probiert gerne Dinge aus. Dennoch bleibt die Behinderung sein kleines Extra, die ihn insgesamt in seiner geistigen und körperlichen Entwicklung hemmt.
Das bestätigt auch seine Mutter. "Manchmal muss ich ihm bis zu hundert Mal etwas erklären, was er machen soll.“ Mit ihrem Mann, Niklas, seiner Schwester und sechs weiteren Kindern wohnt sie in dem Haus, das viel Platz für die ganze Familie bietet. „Wenn alle da sind, kann es hier schon mal ganz schön turbulent zugehen", erzählt sie.
Der Trubel lässt dann auch nicht lange auf sich warten. Fremden Besuch hat man natürlich nicht alle Tage im Haus. Zum Gespräch gibt es eine Tasse Kaffee. Niklas greift sich selbstbewusst und sicher Kaffeemühle und Kaffeebohnen und fängt an, den Kaffee zu malen. „Niklas, du musst in die andere Richtung drehen“, ermahnt ihn seine Mutter Birgit.
Die lebensfrohe und junggebliebene Frau und ihr Mann haben gelernt, mit dem Down-Syndrom von Niklas zu leben, obwohl sie am Anfang schon geschockt waren, dass er damit leben muss. Heute lacht sie über viele Dinge, die ihr mit Niklas in der Vergangenheit schon passiert sind. Dennoch bleibt es für sie eine enorme Herausforderung, ein Leben mit einem behinderten Kind zu führen. Für Eltern ist es immer schwer, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter einen Herzfehler hat, ein Hörgerät tragen muss und im allgemeinen langsamer im Denken ist, als andere Kinder im selben Alter.
Denn all das ist bei Niklas der Fall. Doch die wahren Tücken des Alltags bekommt der Besucher während der kurzen Zeit des Kennenlernens nicht zu sehen. Vielmehr bekommt man im Gespräch mit der Mutter den Eindruck, dass sie alles im Griff hat.
Zahnfehlstellungen durch den Gendefekt
Bei Familie Maus ist nach sechs Jahren ein Stück Normalität eingekehrt. Obwohl er das Down-Syndrom hat, bekommt Niklas im Alltag keine Sonderbehandlung. Wie jedes andere Kind muss er sich an Regeln halten. Das sei auch das Wichtigste, worauf Eltern achten müssen, weiß auch Maus. Zur Normalität gehört natürlich auch das tägliche Zähneputzen. Gerade bei Menschen mit Down-Syndrom muss im Kindesalter ganz besonders auf die Zahnpflege und-prophylaxe geachtet werden.
Wie andere Menschen mit einer geistigen Behinderung, hat auch Niklas durch den Gendefekt Zahnfehlstellungen.
Darüber hinaus sind die zahnärztlichen Untersuchungen nicht immer einfach. Laut Angaben des gemeinnützigen Vereins „Down-syndrom Köln“ würden die besonderen Anforderungen bei der Behandlung von Kindern und Erwachsenen zu einer Unterschätzung der tatsächlichen zahnmedizinischen (buccofazialen) Probleme führen.
Zähne werden beim Zahnarzt geduscht
Doch die Zahnpflege war für Niklas und seine Eltern anfangs alles andere als normal. "Es war schon ein kleiner Kampf", erinnert sich Maus. Doch bei der Schlacht um die bei ihm noch vorhandenen Milchzähne zeigen sich erste Erfolge. "Zwangsputzen müssen mein Mann und ich nun nicht mehr", so Maus. Stattdessen habe sich bei Niklas das Bewusstsein entwickelt, das die Zahnpflege etwas Normales ist, was im Leben dazugehört wie beispielsweise duschen.
"Geduscht" werden nämlich die Zähne bei Zahnärztin Linda Radwan-Meyer, Niklas’ behandelnder Zahnärztin. Seit vier Jahren ist der Junge bei ihr in Behandlung und einer von zahlreichen Kinderpatienten ihrer Praxis. Eine Expertin für Patienten mit Trisomie 21 sei sie nicht, "aber im Laufe der Zeit habe ich eine spezielle Behandlungsmethode entwickelt", so Radwan-Meyer.
Das war auch notwendig, denn wie jedes andere Kind hatte auch Niklas anfänglich Scheu, den Mund auf dem Behandlungsstuhl aufzumachen. "Man muss etwas Zeit investieren, bevor man die ersten Behandlungserfolge bei den Patienten sieht. Doch bei Niklas hat sich die Methode mit der vereinfachten Sprache zu hundert Prozent gelohnt", erläutert Radwan-Meyer.
Im Gespräch mit der Zahnärztin wird auch bestätigt, dass sich Niklas' anfängliche Behandlungsunwilligkeit heute gelegt hat und er die Therapien als etwas Regelmäßiges ansieht und sie über sich ergehen lässt. Wichtig sei während der Behandlung mit dem Kind und nicht über das Kind zu sprechen.
Zahngesundheit hängt von Eltern ab
Laut Zahnärztin Radwan-Meyer hängt sehr viel von den Eltern ab, wie sich die Zähne von Kindern mit Down-Syndrom entwickeln und wie oft sie zum Zahnarzt müssen. "Auch, wenn die Zahnstellung bei Patienten mit Down-Syndrom eine andere als bei normalen Patienten ist, sind sie nicht automatisch anfälliger für Karies", so Radwan-Meyer.
Je mehr Eltern auf die Prophylaxe und das Zähneputzen ihrer Kinder achten, desto weniger aufwendig und umfangreich wird die Behandlung beim Zahnarzt. "Das gilt aber auch für Eltern, deren Kinder keinen Gendefekt haben", sagt die Zahnärztin.
Distanz zum Fremden verschwunden
Acht geben muss auch der Fremdling, der mittlerweile mit Niklas hinter dem Haus im Garten Fußball spielt. Der Junge ist für sein Alter unglaublich wendig und weiß genau, was er tut. Mit einer Leichtigkeit drippelt er den Ball um den Besucher herum und schießt durch ein imaginäres Tor – direkt in den Garten des Nachbarn.
Als der Fremde über den Zaun in den Garten steigt und den Ball wieder ins heimische Spielfeld wirft, ist Fußball plötzlich kein Thema mehr. Nun kommt das Trampolin an die Reihe. Der neue Freund muss natürlich mitspringen. Freund? Richtig, die anfängliche Distanz ist verschwunden und es wird sogar der Name des Besuchers gerufen. Dieser ist nicht "Blödmann".
Doch auch ein Besuch muss irgendwann einmal gehen. Niklas schaut etwas verwirrt, als es Zeit wird, Abschied zu nehmen. Doch der neue Freund bekommt ein kurzes und herzliches Tschüss, steigt dann in das Auto und fährt wieder gemächlich den Berg hinunter.