Jeder Zahnmediziner wird sich schon einmal mit der Schweigepflicht auseinandergesetzt haben. Regelmäßig kommt es zu Situationen, in denen sich Zahnärzte fragen „Was darf ich sagen?“ beziehungsweise „Was muss ich sagen?“. Die Antworten sind selten eindeutig.
Erkennt der Behandler Indizien für ein strafbares Verhalten, wie eine Körperverletzung, kann ein moralischer Konflikt hinzukommen, der den Umgang mit der Schweigepflicht verkompliziert. Er sollte zunächst klären, inwiefern die Schweigepflicht reicht, um in einem zweiten Schritt mögliche Ausnahmen von der grundsätzlichen Vorgabe der Verschwiegenheit zu benennen. Die Grundlagen der ärztlichen Schweigepflicht folgen sowohl aus dem Strafgesetzbuch (Paragraf 203 StGB) als auch der Berufsordnung der Zahnärzte (Paragraf 7 MBO). Dennoch ist vielen Zahnärzten unklar, wie weit die ärztliche Schweigepflicht in sachlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht reicht.
Umfang der Schweigepflicht
Grundsätzlich gilt, dass der Zahnarzt über alles schweigen muss, was ihm im Rahmen seiner Berufsausübung bekannt wird: Diagnosen, Befunde und Behandlungen. Aber auch über die Tatsache, dass eine bestimmte Person bei ihm in Behandlung ist, darf er nicht reden. Neben den medizinischen Aspekten schützt die ärztliche Schweigepflicht auch sonstige Inhalte von Gesprächen zwischen Arzt und Patient. Zudem umfasst sie Umstände, die der Behandler in Zusammenhang mit der Berufsausübung (zum Beispiel bei Haus- oder Heimbesuchen) wahrgenommen hat. Auch die Verpflichtung zur Geheimhaltung von Sozialdaten gerät in der Praxis oft in Vergessenheit.
Der strafrechtlichen Schweigepflicht unterliegen auch in der Praxis angestellte Personen, zum Beispiel Zahnarzthelferinnen oder Vorbereitungsassistenten. Der Zahnarzt ist berufsrechtlich dazu verpflichtet, diese Personen über ihre Verschwiegenheitspflicht zu belehren und dies schriftlich festzuhalten.
Zeitlicher Anwendungsbereich der Schweigepflicht
Die Schweigepflicht endet nicht mit dem Tod des Patienten. Soweit Angehörige oder andere Personen Einsicht in die Krankenunterlagen oder Auskünfte vom Zahnarzt begehren, ist der mutmaßliche Wille des verstorbenen Patienten zu erforschen. Entscheidendes Kriterium dabei ist das Interesse des Verstorbenen an der weiteren Geheimhaltung der dem Zahnarzt anvertrauten Tatsachen. In einer solchen Situation ist mit einer hohen Emotionalität der Beteiligten zu rechnen. Dennoch sollte die Entscheidung für oder gegen die geforderte Auskunft erst nach einer sorgfältigen Abwägung erfolgen.
Personeller Anwendungsbereich
Ein Irrglaube ist, dass die Schweigepflicht nur gegenüber Nicht-Medizinern gilt. Sie ist grundsätzlich auch gegenüber anderen Zahnärzten zu beachten. Ebenso besteht die Geheimhaltungspflicht gegenüber Familienangehörigen des Patienten einschließlich seines Ehegatten. Der Zahnarzt ist also, sofern keine Einwilligung des Patienten oder ein sonstiger Ausnahmetatbestand vorliegt, nicht zur Auskunft berechtigt. Ausgenommen sind Angestellte, die der Zahnmediziner in eine Behandlung mit einbezieht. Der Arzt darf den beteiligten Angestellten alle Informationen mitteilen, die eine umfassende und ordnungsgemäße Behandlung erfordern.
Mögliche Ausnahmen von der ärztlichen Schweigepflicht
Die ärztliche Schweigepflicht verbietet es also grundsätzlich, jegliche Informationen über Patienten an Dritte weiterzugeben – in der Regel, denn es gibt Ausnahmen. Diese können zwei übergeordneten Bereichen zugeordnet werden. Zum einen gibt es Ausnahmetatbestände, in denen der Behandler auf Basis einer (mutmaßlichen) Einwilligung und damit im (mutmaßlichen) Interesse des Patienten handelt. Zum anderen gibt es verschiedene Ausnahmetatbestände, infolge derer der Schweigepflicht und dem entsprechenden Anspruch des Patienten vorrangige Pflichten entgegenstehen.
Einzelne Ausnahmetatbestände im Detail
Die (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten
Ein Patient kann den behandelnden Arzt grundsätzlich immer von der Schweigepflicht entbinden. Dies kann sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen. Auch ein stillschweigendes beziehungsweise mutmaßliches Einverständnis ist denkbar. Von einem mutmaßlichen Einverständnis ist auszugehen, wenn der Patient situativ- oder behandlungsbedingt nicht mehr entscheidungsfähig ist und der Behandler sicher ist, dass der Patient in diesem Fall sein Einverständnis zur Entbindung von der Schweigepflicht gegeben hätte. Ausschlaggebend ist dabei in der Regel der Rückgriff auf übliche Überlegungen aus Sicht eines Dritten.
Ein rechtfertigender Notstand
Eine weitere Ausnahme liegt vor, wenn ein Bruch der Schweigepflicht die einzige Möglichkeit ist, Gesundheit, Leben oder Eigentum des Patienten zu schützen (rechtfertigender Notstand gemäß Paragraf 34 StGB). Diese Ausnahme greift, wenn situativ bedingt der Schutz der Gesundheit und des Lebens des Partners eines Patienten notwendig erscheint und der behandelnde Arzt zuvor vergeblich versucht hat, seinen Patienten davon zu überzeugen, eine potenzielle, auch den Partner betreffende, Erkrankung gegenüber diesem zu offenbaren. Vermutet ein Arzt im Rahmen einer Sprechstunde oder einer Behandlung eines erwachsenen Patienten häusliche Gewalt, sind mögliche Gewalteinwirkungen fachgerecht zu dokumentieren. Darüber hinaus ist es aber ratsam, zunächst ein klärendes Gespräch mit dem Patienten zu suchen und zu verdeutlichen, dass eine Unterstützung und Hilfe durch Dritte möglich und unter Umständen notwendig ist. Unabhängig davon unterliegt der Arzt grundsätzlich weiterhin der ärztlichen Schweigepflicht. Im Fall eines rechtfertigenden Notstandes (hier eine Gefahr für Gesundheit und Leben) ist ein Bruch der ärztlichen Schweigepflicht situativ bedingt möglich und rechtmäßig.
Auskunftspflicht in Bezug auf gesetzliche Bestimmungen
Soweit Auskunftspflichten gesetzlich geregelt sind, besteht nicht nur ein Recht zur „Missachtung“ der Schweigepflicht, sondern sogar mitunter eine echte Handlungspflicht. Erfährt der behandelnde Arzt zum Beispiel von den Plänen seines Patienten, eine schwerwiegende Straftat zu begehen, muss er diese Pläne anzeigen.
Sonstige Auskunftspflichten
Ein Arzt muss zum Beispiel Berufsunfälle an die Unfallversicherung melden, und es liegt auch dann eine Ausnahme zur Verschwiegenheitspflicht vor, wenn Mitteilungen oder Befunde an die Sozialversicherungsträger oder an sonstige Kostenträger erforderlich sind oder zur Abrechnung erforderliche Daten übermittelt werden müssen.
Eigene rechtliche Interessen
Zuletzt kann auch dann eine Ausnahme greifen, wenn der behandelnde Arzt seine eigenen rechtlichen Interessen nur durch einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht schützen kann. Zum Beispiel, wenn der Arzt mit dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers konfrontiert wird und er sich entsprechend verteidigen muss oder Honorar eingeklagt wird und der Anspruch auf Bezahlung begründet werden soll.
Sonderfall bei minderjährigen Patienten?
Die Schweigepflicht des Arztes gilt auch bei minderjährigen Patienten und ist damit gegenüber den Eltern oder einem Vormund zu wahren. Bei minderjährigen Patienten kann zwar eine Offenbarung gegenüber den Eltern oder einem Vormund gerechtfertigt sein, sie muss jedoch sehr sorgfältig abgewogen werden. Dabei ist zu beachten, ob der Minderjährige in der Lage ist, seine gesundheitliche Situation, also die Schwere der Erkrankung und die Risiken einer Behandlung, selbst einzuschätzen (Einsichtsfähigkeit). Sofern der Minderjährige die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsreife hat, ist sein Wunsch auf Geheimhaltung auch gegenüber den Eltern zu respektieren.
Ausnahmen davon sind Fälle häuslicher Gewalt oder Misshandlung. Dann muss der Arzt erneut abwägen – und zwar zwischen der körperlichen und seelischen Unversehrtheit des minderjährigen Patienten und seiner ärztlichen Schweigepflicht. Zunächst sollte der Zahnarzt überlegen, ob es ausreicht, die Situation mit dem Minderjährigen oder den Sorgeberechtigten zu erörtern und eine eigenständige Problemlösung anzustreben. Erscheint dies nicht zielführend und liegt eine Wiederholungsgefahr vor, kann das Jugendamt oder die Polizei eingeschaltet werden. Hieraus kann sich dann sogar eine Handlungspflicht für den behandelnden Arzt ergeben.
Fazit
Bei Verstößen gegen seine Pflicht zur Verschwiegenheit muss der Arzt sowohl mit einer strafrechtlichen Verfolgung als auch mit berufsrechtlichen Sanktionen durch die Ärztekammer rechnen. Zudem können betroffene Patienten Schadenersatz fordern. Sofern Zweifel bestehen, ob im Einzelfall ein Bruch der Schweigepflicht gerechtfertigt ist, sollte zuvor rechtlicher Rat eingeholt werden.
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