Dentalhygienikerin Birgit Stalla über den Einfluss von Vitamin D auf ein gesundes orales Mikrobiom
Eine Dentalhygienikerin ist mehr als nur die perfekte Putzfrau für die Zähne. Es macht so viel Spaß, die unterschiedlichen Facetten dieses kreativen Berufs zu erleben und auszuprobieren. In meiner Ausbildung zur DH habe ich gelernt jeden Patienten, jede Mundhöhle und jeden Zahn individuell zu betrachten. Genau das ist es, was ich an diesem Beruf so schätze und liebe. Das Management des Biofilms beherrschen wir alle in Perfektion.
Der Biofilm — ein Leben im Schleim
Dieser Biofilm befindet sich in allen feuchten Gebieten unserer Mundhöhle, besonders auf der stark zerklüfteten Zunge. Mit dem Biofilmmanagement unterstützen wir die Etablierung eines gesunden oralen Mikrobioms. Aber unser Körper muss mit seinem Immunsystem selbst die Aufräum- und Reparaturarbeiten leisten. Dafür werden Mikronährstoffe wie Mineralstoffe und Vitamine benötigt. Eins der wichtigen Mikronährstoffe ist das Vitamin D.
Was bedeutet Vitamin D in der Zahnarztpraxis?
Als Dentalhygienikerin mit Leib und Seele fragte ich mich manchmal: „Warum ist der Behandlungserfolg bei manchen Patienten trotz guter häuslicher Mundhygiene und regelmäßiger professioneller Betreuung nicht so optimal?“ Mir schien ein kleiner Baustein zu fehlen, und so bin ich auf Vitamin D gestoßen. Vitamin D ist nichts neues, schon seit vielen Jahren weiß man um die Bedeutung für Knochen und Zähne. Heute gibt es die Möglichkeit, mit Chairside-Tests in nur 15 Minuten den Vitamin-D-Spiegel direkt in der Praxis zu testen.
Allgemein glaubt man ja, dass Vitamine mit der Nahrung zugeführt werden müssen, um damit ausreichend versorgt zu sein. Deshalb werden die Vitamine auch eher der Ernährungswissenschaft zugeordnet, nicht der Medizin. Auch Vitamin D wurde zunächst so eingestuft, dass man ausreichend Vitamin D über die Nahrung zuführen kann. Über die Ernährung, beispielsweise mit Seefisch, frischen Eiern, Avocados und Champignons können wir aber lediglich 10 bis 20 Prozent unseres Vitamin-D-Bedarfs decken. 80 Prozent des Bedarfs produziert unser Körper mithilfe von UV-B-Strahlen selbst. Deshalb wird Vitamin D auch den Hormonen zugeschrieben, weil unser Körper selbst in der Lage ist, es zu bilden.
Heute weiß man, dass es sich bei diesem Vitamin in Wirklichkeit um ein sogenanntes Steroidhormon handelt. Das Hormon Vitamin D ist nämlich ebenso wichtig wie unsere Sexualhormone, die unser gesamtes Leben und deren Fortbestehen sichern. Es steuert die Regulation und den Zugriff auf unsere Genaktivitiät und haben wir zu wenig davon, dann werden wichtige Gene ganz einfach vermindert aktiviert. Da wir dieses Vitamin-Hormon nur mithilfe der Sonne selbst herstellen können, sind in den Wintermonaten unsere Vitamin-D-Speicher meist leer und Mangelsymptome, wie grippale Infekte etc. nehmen deutlich zu.

Nur von April bis September reicht die Sonnenintensität hierzulande für die körpereigene Bildung von Vitamin D aus. Ein tägliches Sonnenbad von etwa 15 Minuten in der Mittagszeit füllt das Depot wieder auf.
Ab Oktober ist in unseren Breitengraden eine Vitamin-D-Produktion über die Haut nicht mehr möglich. Das heißt, im Februar sind unsere Vitamin-D-Speicher leer und dann beginnen die Krankheiten zu sprießen. Denn nur in den Monaten April bis September reicht die Sonnenintensität aus, damit wir Vitamin D bilden können. In diesen Monaten des Frühlings und Sommers müssen wir uns täglich in der Mittagszeit etwa 15 Minuten ein Sonnenbad gönnen. Möglichst wenig bekleidet und ohne starkes Sonnenschutzmittel, da diese die Produktion verhindern.
Also beginnen Sie schon im April damit, einen körpereigenen Sonnenschutz aufzubauen. Der so gebildete Vorrat reicht dann längstens bis November und ab dann fängt das Immunsystem an, nicht mehr richtig zu arbeiten. Denn Vitamin D ist absolut notwendig, damit das Immunsystem richtig aktiv wird.
Was hat Vitamin D mit Parodontitis zu tun?
Parodontitis wird als chronisch bakterielle Entzündung definiert, die Weich- und knöchernes Hartgewebe angreifet und so letztendlich zum Attachmentverlust führt. So konnte in Longitudinalstudien festgestellt werden, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel im Körper mit einer erhöhten Rate an Zahnfleischentzündungen und mit dem Verlust von parodontalem Gewebe vergesellschaftet ist.
Eine ausreichende Immunfunktion und Knochenbildungsfähigkeit ist selbstverständlich auch mit dem Erfolg einer Parodontitistherapie assoziiert. Analog konnte ein solcher Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Zufuhr und Gewinn von Attachment und Reduktion der Sondierungstiefen bestätigt werden. Die Beziehung zwischen Vitamin-D-Gabe und Parodontitis wird vor allem auf den antiinflammatorischen Effekt von Vitamin D zurückgeführt. Vitamin D ist der Steuermann der Autoimmuntoleranz. Es sorgt für ein gesundes Gleichgewicht und reduziert somit die überschießende Immunantwort bei einer Parodontitis durch Hemmung der Osteoklasten und Aktivierung der Osteoblasten. Dadurch haben wir eine antientzündliche Wirkung auf das Zahnfleisch und den Zahnhalteapparat.
Ein direkter Effekt des Sonnenlichts auf die Verringerung des Risikos parodontaler Erkrankungen wurde in einer norwegischen Studie [1] demonstriert, bei der eine enge Beziehung zwischen Zahnverlust und dem Breitengrad gefunden wurde. So verloren nur 11 Prozent dem im Süden lebenden Menschen Zähne, 43 Prozent waren es in der Zentralregion und 66 Prozent im Norden Norwegens.
Vitamin D3-Cholecalciferol spielt, neben der antiinflammatorischen Wirkung, eine wesentliche Rolle in der Resorption von Kalzium und Phosphat aus dem Darm [3]. Karies und MIH sind die aktuellen Herausforderungen in der Praxis [2]. Gerade die Mineralien Kalzium und Phosphat sind von besonderer Bedeutung beim Einbau in den Knochen und den Remineralisationsprozessen für Zahnschmelz und Dentin.
Was bedeutet Vitamin-D-Mangel für unseren Körper?
Aus der Perspektive der Zahnmedizin ist das natürlich hochinteressant, da die Zahnhartsubstanzen und der Alveolarknochen selbst zum Großteil aus Kalziumverbindungen bestehen. Eine Studie mit Vorschulkindern hat ergeben, dass kariesfreie Kinder etwa doppelt so hohe 25(OH)D-Konzentrationen aufwiesen wie Kinder mit schwerer Karies [2]. Ein Vitamin-D-Mangel führt nach und nach zum Herunterfahren vieler wichtiger Funktionen des voll aktiven Körpers. Ein zu geringer Vitamin-D-Spiegel senkt die Leistungsfähigkeit, die Stresstoleranz und Widerstandskraft und hat negative Auswirkungen auf unsere Psyche.
In Zusammenarbeit mit den Zahnärzten führe ich als Dentalhygienikerin und zertifizierter Vitamin-D-Coach und Berater die Tests an unseren Patienten durch. Getestet wird das Speicher- oder Transport-Vitamin-D (Calcidiol). Dafür braucht es nur einen Tropfen Kapillar-Blut aus dem Finger, das tut überhaupt nicht weh. Zusätzlich benötigen wir einen VHC-Reader, das ist ein mobiles handliches Messgerät. Weiterhin braucht es die dazu gehörigen Testkits und Verbrauchsmaterialien, wie Lanzette und Alkoholtupfer. Nach nur 15 Minuten haben wir das Testergebnis. Anhand des Testergebnisses können wir direkt erkennen ob aktuell ein Vitamin-D-Mangel vorliegt.
Eins möchte ich gleich vorweg erzählen: Das Feedback ist nur positiv, unsere Patienten sind begeistert. Begeistert, dass wir uns dem Thema Vitamin D angenommen haben und uns damit von anderen Zahnarztpraxen abheben. Vielen ist die Wichtigkeit des Vitamin D für einen vitalen Körper bewusst, aber sich darum kümmern machen die wenigsten, weil sie nicht wissen, wie es richtig geht.
Alle unsere Patienten sind wissbegierig und neugierig auf ihr Ergebnis. Sie sprechen von sich aus an, in drei Monaten den Test zu wiederholen, um sich ihren Erfolg bestätigen zu lassen. Was das für die Bindung der Patienten an unsere Praxis bedeutet, brauche ich nicht zu erklären.
Unsere Patienten strahlen, weil sie mehr Energie haben. Denn endlich stellt sich der gewünschte Behandlungserfolg ein. Die Parodontitis ist inaktiv und es zeigen sich keine sichtbaren Entzündungen mehr. Das Implantat ist gut eingewachsen und unser kleiner MIH-Patient hat weniger empfindliche Zähne. Unsere Testungen zeigen mir täglich, wie wichtig sie sind. Es besteht ein sehr großer Handlungsbedarf, da die meisten Patienten unterversorgt sind, einige sogar im grenzwertig niedrigen Bereich.
Vitamin D ist bestimmt kein Wundermittel. Es ist nur ein Instrument im gesamten Orchester der Mikronährstoffe. Wenn allerdings ein Instrument im Orchester fehlt, kann das musikalisch (oder eben gesundheitlich) schon einen Unterschied machen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, mein Wissen und meine Erfahrung aus der Praxis weiterzugeben, an die Kolleginnen, die mehr wissen möchten.
Birgit Stalla, Dentalhygienikerin und zertifizierter Vitamin-D-Coach,
Durmersheim
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in „Die Assistentin“, Ausgabe 1/2022
[1] Henriksen, B. (2003). Mundgesundheit bei älteren Menschen in Norwegen. Eine deskritive epidemiologische Studie. Schwed. Delle. J. Suppl. , S. 1 – 56.
[2] Schroth RJ, R. R. (Februar 2016). Vitamin D. Zahnkaries bei Kindern. J Dent Res. , S. 95 (2):173–179.
[3] Uwitonza Anna Maria, D. o., & J. (Januar 2018 ). Auswirkungen des Vitamin-D-Status auf die Mundgesundheit. Das Journal of Steroid Biochemistry and Molecular Biology, S. 190–194.
Über die VitaminDental-Akademie möchte Birgit Stalla zeigen, wie die Vitamin-D-Testung in den Praxisalltag integriert werden kann. Vom Wissen über Vitamin D, die Testung, Auswertung, Empfehlungen und Abrechnung, all das lernen die Teilnehmer in Webinaren und Präsenzkursen der Akademie.
In Kooperation mit der LCHF Deutschland Akademie kann zudem die Ausbildung zum zertifizierten Vitamin-Dental-Coach absolviert werden, unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Dr. Spitz. Das nächste Webinar zum Thema „Vitamin D
in der Zahnarztpraxis“ findet am Samstag,
12. Juli, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr statt.
Mehr Informationen gibt es auf www.vitamindental-akademie.de
Birgit Stalla
Birgit Stalla ist eine erfahrene Dentalhygienikerin und zertifizierte Vitamin-D-Coach. Seit ihrer Ausbildung zur ZFA hat sie sich kontinuierlich weiterentwickelt. Inzwischen ist sie selbst als Kursleiterin und Dozentin für die Fortbildung zur ZMP und DH tätig.
Im Jahr 2015 erfand sie den Zungensauger TS1. Die Gründung der Vitamin Dental Akademie erfolgte im Coronajahr 2021. Aktuell macht sie eine Ausbildung zum Ernährungs- und Gesundheitscoach LCHF. Den Praxisbezug hat sie als Dentalhygienikerin in der Praxis von Dr. Sven-Marcus Beschnidt in Baden-Baden.