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Die Zahnwurzeln unserer Vorfahren

Australopithecis africanus (Taung Child) – entdeckt 1924.

Australopithecis africanus (Taung Child) – entdeckt 1924.

Was haben unsere Vorfahren gegessen? Diese Frage diskutiert die Wissenschaft seit der Entdeckung der fossilen Überreste von Australopithecus africanus in Taung vor knapp einem Jahrhundert sowie darauffolgender Funde von Paranthropus robustus. Ein internationales Forscherteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der Universität Chile und der Universität Oxford in Großbritannien hat sich jetzt der Frage nach dem "Wie?" gewidmet. Die Wissenschaftler haben die Ausrichtung der Zahnwurzeln dieser beiden Homininenarten aus Südafrika genau untersucht. Das Ergebnis: Paranthropus robustus muss seine Nahrung auf völlig andere Art und Weise zerkaut haben als andere Homininen.

Ernährung als Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Evolution

Bevor Nahrung geschluckt und dann verdaut werden kann, muss sie in der Mundhöhle zerkleinert werden. Wie dies genau geschieht, ist von vielen Faktoren abhängig, beispielsweise von den mechanischen Eigenschaften der Nahrung oder der Morphologie des Kauapparats.

Paläoanthropologen verwenden viel Zeit darauf, die Ernährung unserer Vorfahren zu rekonstruieren, denn Ernährung ist der Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Evolutionsgeschichte. So hat eine qualitativ hochwertige (und fleischhaltige) Nahrung wahrscheinlich die Entwicklung unserer großen Gehirne erst möglich gemacht, während ein Mangel an Nährstoffen zum Aussterben anderer Arten (beispielsweise Paranthropus boisei) beigetragen haben dürfte. Besonders umstritten geblieben ist jedoch, wie sich die südafrikanischen Homininen ernährt haben.

Richtung der Kaukräfte

Ausgehend von der Ausrichtung der Zahnwurzeln im Kiefer hat nun ein Forschungsteam aus Leipzig, Santiago de Chile und Oxford mit Hilfe hochauflösender computertomograpischer Verfahren und der Gestaltanalyse die Hauptrichtung der Kräfte bestimmt, die während des Kauvorgangs wirken. Anhand von virtuellen Rekonstruktionen von fast 30 oberen Molaren von Homininen aus Süd- und Ostafrika stellte das Forscherteam fest, dass die Zahnwurzeln von Australopithecus africanus sehr viel stärker gespreizt waren als die von Paranthropus robustus und die des ostafrikanischen Paranthropus boisei. „Das ist ein Zeichen für ein stärkeres Wirken seitwärts gerichteter Kaukräfte bei Australopithecus africanus, während bei den beiden Paranthropus-Arten eher vertikale Kräfte zum Tragen kommen“, erläutert Kornelius Kupczik vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Im Unterschied zu den anderen in der Studie untersuchten Arten weisen die Zahnwurzeln von Paranthropus robustus eine ungewöhnliche Ausrichtung auf, eine Art „Verdrehung “, was auf eine leichte Rotations- sowie Vor- und-Rückwärtsbewegung des Kiefers während des Kauens schließen lässt. Für diese Interpretation sprechen weitere morphologische Merkmale des Schädels von Paranthropus robustus. Beispielsweise deutet die Struktur des Zahnschmelzes auf komplexe, multidirektionale Krafteinwirkungen hin. Auch das ungewöhnliche Abnutzungsmuster der Zähne lässt eher auf eine abweichende Kieferbewegung als auf das Kauen neuartiger Nahrungsressourcen schließen. Offensichtlich wird die Morphologie des Schädels nicht nur davon bestimmt, was Hominine aßen und wie kräftig sie zugebissen haben, sondern auch davon, wie die Kiefer während des Kauvorgangs aufeinandertrafen.

Beitrag zum Verständnis der Ernährungsökologie

Die aktuelle Studie zeigt, dass die Analyse der Ausrichtung der Zahnwurzeln im Kiefer viel dazu beitragen kann, die Ernährungsökologie unserer Vorfahren und ausgestorbenen Verwandten besser zu verstehen. „Vielleicht haben Paläoanthropologen die fossilen Funde nicht immer unter den richtigen Gesichtspunkten betrachtet“, folgert Gabriele Macho von der Universität Oxford. „Wir sollten uns nicht nur darauf konzentrieren, was unsere ausgestorbenen Verwandten aßen, sondern auch darauf, wie sie ihre Nahrung kauten.“

Pathologien besser verstehen

Die Variabilität in der Ausprägung der Wurzeln der Molaren bei den Homininen verraten uns wahrscheinlich mehr als bislang vermutet. „Für mich als Anatomin und Zahnärztin ist es sehr wichtig zu verstehen, wie die Kiefer unserer Vorfahren arbeiteten, da wir diese Erkenntnisse schlussendlich auf das Gebiss des heutigen Menschen übertragen können. Das hilft uns, Pathologien wie beispielsweise Zahnfehlstellungen besser zu verstehen“, fügt Viviana Toro-Ibacache von der Universität Chile und Co-Autorin der Studie hinzu.

Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie