Patienten werden in Zukunft grundlegend anders sein als heute, und die Veränderung ist in vollem Gange. Betriebswirtschaftler und Marketingexperte Prof. Dr. Ralf Ueding (Paderborn und Bielefeld) typisierte für seine These nach dem Alter: Patienten ab 65 Jahren hätten nach aktuellen Analysen eine enge Arztbeziehung, Babyboomer (bis 1970 Geborene) wünschten dagegen häufig eine zweite Meinung. Die Arztbindung nehme entsprechend signifikant ab, vor allem ab der Generation Y/Selfie (nach 1985 Geborene).
Aufgrund wachsender Internetorientierung suchen junge Patienten laut Ueding nach spezialisierten Medizinern und wünschen zugleich – widersprüchlicherweise – eine „ganzheitliche“ Betreuung. Aus Letzterem ergebe sich ein Trend zu engerer interprofessioneller Zusammenarbeit, zum Beispiel von Zahnmedizin und Zahntechnik.
Nach 2000 Geborene (Generation Z/Greta) orientierten sich einerseits zentral am Thema Nachhaltigkeit („Sind Sie Teil der Bewegung?“). Dessen ungeachtet seien sie „Technoholics“ und glaubten an künstliche Intelligenz und Robotertechnik. Medien und Internet seien für diese Generation die primäre Informationsquelle, Arzttermine müssten die eigene Zeitgestaltung berücksichtigen. Praxen sollten laut Ueding entsprechend digitale Kommunikationsmöglichkeiten anbieten.
Zunehmend therapeutisch relevant könnte der Trend zu Selbst- einschließlich Körperoptimierung sein. Da die Außendarstellung über Instagram oder Tiktok immer wichtiger werde, investierten junge Leute schon heute viel Geld und Zeit und akzeptierten sogar Unannehmlichkeiten oder Schmerzen. Ueding nannte das aktuell in Japan übliche „therapeutische Crowding“ als umgekehrten Trend zur Begradigung mit Alignern und zeigte auch Beispiele für invasive Veränderungen, zum Beispiel raubtierartiges Zuspitzen von Zähnen.
Risiken kontinuierlich überwachen
Extrem skeptisch bewertete Prof. Dr. Christoph Benz (München) die Themen Big Data und künstliche Intelligenz. Der BZÄK-Vizepräsident, zuständig unter anderem für Qualitätsmanagement und Berufsrecht, zitierte den Medizinethiker Giovanni Maio, der vor einer Entmündigung von Medizinern warnt. Algorithmen führten zu schematischen Entscheidungen und könnten ärztliche Beurteilungskunst nicht ersetzen.
Aus Benz’ Sicht wird künstliche Intelligenz die Gesundheit von Patienten daher nicht verbessern, sondern vor allem zu mehr Bürokratie und Überwachung führen. In diesem Zusammenhang attackierte Benz scharf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Mitautor eines Buchs zum Thema digitale Medizin („App vom Arzt“). Spahn kritisiere einerseits einen „Überwachungskapitalismus“ aus dem Silicon Valley, gefährde mit seiner Gesetzgebung aber selbst den Datenschutz.
Parodontale Diagnostik in neuer Dimension?
Perspektiven molekularbiologischer Diagnostik präsentierte Dr. Jan H. Koch (Freising), freier Journalist und dzw-Autor (unter anderem „ZahnMedizin kompakt“): Eine hypothetische Beispielpatientin stellt sich im Jahr 2050 mit parodontalen Problemen an einem biotechnologisch erzeugten Zahn vor. Für sie liegt in der digitalen Akte eine umfassende genetische und immunologische Risikoanalyse vor, die durch eine aktuelle ergänzt wird. Dazu dienen Speichel- und Sulkusfluidproben und ein Mikrochiptest, der von einem Laborassistenten rechnergestützt in der Praxis ausgewertet wird. In Verbindung mit klinischer und bildgebender Diagnostik erlaubt die molekularbiologische Analyse für die Patientin personalisierte Ernährungs- und Recallempfehlungen.
Molekularbiologische Tests für Karies und Parodontitis befinden sich laut Koch im Jahr 2019 noch in der Entwicklung oder klinischen Evaluation. Für Karzinome im Kopf- und Halsbereich werden biomarkerbasierte Tests dagegen bereits erfolgreich angewendet. Allerdings lassen sich nur Rückfallrisiko und Prognose für bereits behandelte Patienten bestimmen, eine primäre Diagnostik ist nicht möglich.
Wirklich gut ist nur, was funktioniert (Volker Ludwig, Grips Theater, Berlin). Auch Karies- und Parodontitistests müssen laut Koch erkrankte, aber auch gesunde Patienten zuverlässig identifizieren. Mit bakteriologischen Tests ließen sich zwar einige Spezies sicher identifizieren, der prognostische Wert sei aber zu hinterfragen. Ob sich Risikoprognosen durch Kombination mikro- oder molekularbiologischer Tests mit klinischen Befunden und Verlaufsprofilen verbessern lassen, ist bisher nur in Ansätzen bekannt.
Dental-MRT und bewohnbare Planeten
Verbundprojekte mit Wissenschaft, medizinischen Einrichtungen und der Industrie gewinnen an Bedeutung, das gilt auch für neue bildgebende Methoden. Für die Zahnmedizin hält Prof. Dr. Waldemar Zylka (Gelsenkirchen) die Magnet-Resonanz-Tomografie für vielversprechend. Aufnahmen mit dem ersten Dental-MRT-Gerät, das bereits in der Zulassungsphase sei, dauerten bei reduziertem Kontrast nur noch eine Minute. Wie Zylka anhand von In-vitro-Aufnahmen zeigte, erlaubt die Technik eine hoch interessante Darstellung parodontaler Gewebe oder kariösen Dentins, das weißlich erscheint. Wie beim DVT sei auch eine dreidimensionale Bildgebung möglich.
Im abschließenden Vortrag verriet der Physik-Professor Dr. Metin Tolan (Dortmund), dass wahrscheinlich zahlreiche Planeten im Sonnensystem die Voraussetzungen für Leben erfüllen. Sogar die Zusammensetzung der Atmosphäre könne heute zum Teil bestimmt werden. Das Problem sei eher die Entfernung zur Erde, die trotz ständig von uns ausgesandter Radiosignale von möglichen Lebewesen in einem sinnvollen Zeitkorridor empfangen werden müssten. Im Vergleich sollten Probleme in der Zahnmedizin einfach lösbar sein.
Dr. Jan H. Koch, Freising